Hamburg. Die Fußball-Bundesliga ist um eine Attraktion reicher. Hamburg ist nach dem umjubelten Aufstieg des FC St. Pauli wieder eine Reise wert.
Was war der Moment der Saison 2023/2024?
Eigentlich war das am 12. Mai um 15.33 Uhr. St. Pauli hatte mit 3:1 gegen den VfL Osnabrück gewonnen und damit den sechsten Aufstieg perfekt gemacht. Am Millerntor startete die wilde Party, die in die große Meisterschaftsfeier eine Woche später mündete, denn am letzten Spieltag wurde in Wiesbaden mit 2:1 gewonnen. Ganz St. Pauli lag sich freudetrunken in den Armen. Aufstiegstrainer Fabian Hürzeler wurde auf den Schultern seiner Spieler durch das Stadion getragen. Das Wort „Trainergott“ machte die Runde. Noch ahnte niemand das drohende Unheil, denn eigentlich folgte der Moment der Saison erst vier Wochen später.
Wie hat der Club die Fahnenflucht des Aufstiegstrainers verkraftet?
Schwer. Der 12. Juni war der Tag der Ernüchterung. Der „Aufstieg des Aufsteigers“ führte regelrecht zur Schockstarre bei den Paulianern. Dass Fabian Hürzeler den Club trotz Vertrag gen England verlassen wird, wurde als herber Rückschlag gewertet, denn der Trainer hatte die Mannschaft als Nobody vom Co-Trainer in eineinhalb Jahren in die Bundesliga geführt. Ohne Hürzeler in das Abenteuer starten zu müssen, war schon ein schwerer Schlag, dass aber ausgerechnet der St. Pauli-Trainer seine Jungs wegen des Geldes in der englischen Premier League im Stich lässt, hat die Fans tief in der Seele getroffen. Dass sein neuer Verein Brighton & Hove Albion geschätzte sechs Millionen Euro für den jungen Trainer zahlte, hat die Trübsal bei den Fans ein wenig geschmälert.
Kann der neue Trainer Alexander Blessin Bundesliga?
Vermutlich ja. Der 51-jährige gebürtige Stuttgarter war bisher ein weitgehend unbeschriebenes Blatt im Profi-Fußball. Zuletzt trainierte er Saint-Gilloise in Belgien. Völlig überraschend führte er den Club zur Vize-Meisterschaft und wurde Pokalsieger. Für Sportchef Andreas Bornemann gab es aber noch ein weitaus stärkeres Argument für die Verpflichtung: Alex Blessin hat acht Jahre im Nachwuchsbereich unter Ralf Rangnick bei RB Leipzig gearbeitet und favorisiert eine Spiel-Philosophie, die zu St. Pauli passt: Starke Defensive, schnelles Umschalten. Allerdings übernimmt Blessin nur bedingt die erfolgreiche Aufstiegstruppe, denn der Wechsel von Marcel Hartel zu St. Louis City (USA) tut extrem weh. Mit 17 Toren und 13 Vorlagen war der 28-jährige Mittelfeldspieler einer der Protagonisten im Kampf um den Aufstieg. Auch seine Standards werden Pauli in der Bundesliga fehlen.
Besteht eine realistische Chance, den Abstieg zu verhindern?
St. Pauli muss nur da weitermachen, wo es in der vergangenen Saison aufgehört hat: Auf eine starke Defensive setzen und die Heimspiele gewinnen. Die Stärke des Teams liegt im Spielaufbau aus der Dreierkette. Den Gegner laufen lassen und schnell in die Spitze spielen. Mit Eric Smith, Karol Mets und Hauke Wahl bleiben die Abwehrkanten an Bord. Bei den Zugängen dürfte Robert Wagner vom FC Freiburg als klassischer 8-er eine sofortige Verstärkung neben Kapitän Jackson Irvine sein. Vorn liegen viele Hoffnungen auf Elias Saad, während Publikumsliebling Johannes Eggestein eher zweite Wahl sein dürfte, denn mit Morgan Guilavogui wurde vom französischen Erstligisten RC Lens eine Sturmkante verpflichtet.
Gibt es noch den Mythos vom Millerntor?
Der FC St. Pauli ist ein Proficlub im Fußballgeschäft. Punkt. Aber einer, der seinen Mythos pflegt und mit seiner klaren Haltung für soziale Gerechtigkeit und Antidiskriminierung weiter als Fossil gelten kann. Das Motto des Vereins: „Kein Mensch ist illegal“, und im Stadion hängt ein Banner mit der Aufschrift „Respekt, Toleranz, Vielfalt“. Wer die AC/DC-Hymne beim Einlauf hört, kommt zur Erkenntnis, dass dies immer noch ein etwas anderer Club ist.
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