Interview

Mannheimer Trainer Gernot Rohr: „Ich habe noch Lust auf ein paar Abenteuer“

Von 
Alexander Müller
Lesedauer: 
Trainer-Ruhestand kein Thema: Gernot Rohr sucht mit 68 Jahren eine neue Herausforderung bei einer Nationalmannschaft. © dpa

Claouey. Für 64 Monate und 64 Spiele war Gernot Rohr (68) Trainer der nigerianischen Fußball-Nationalmannschaft, bis er im Dezember entlassen wurde. Im Interview spricht der gebürtige Mannheimer und Wahl-Franzose über seine Zeit in Nigeria, den am Sonntag beginnenden Afrika-Cup und seine Zukunftspläne.

Herr Rohr, Sie sind im Dezember nach über fünf Jahren als nigerianischer Nationaltrainer beurlaubt worden. Wie groß ist die Enttäuschung darüber, dass Sie das Team beim Afrika Cup im Januar und der WM in Katar im November – sofern Sie sich qualifiziert hätten – nicht mehr betreuen dürfen?

Gernot Rohr: Die Enttäuschung ist immer da, wenn man eine junge Mannschaft mit Zukunft aufgebaut hat. Den Afrika Cup und die WM hätte ich sehr gerne gemacht. Aber es ging einfach nicht mehr, deshalb ist auch ein bisschen Erleichterung dabei. Die Probleme mit einigen Verantwortlichen im Verband sind am Schluss immer größer geworden.

Sportlich lagen Sie mit der Qualifikation für die WM-Play-offs im März voll im Soll. Wo lagen die Gründe, dass sich die Wege dennoch getrennt haben?

Rohr: Die Bilanz war hervorragend. Wir haben von 24 Qualifikationsspielen für WM und Afrika Cup nur zwei verloren. Aber das Umfeld war sehr kompliziert und sehr speziell. Ich bin nicht immer auf deren Wünsche eingegangen, zum Beispiel was die Mannschaftsaufstellung angeht.

Mannheimer und Wahl-Franzose: Gernot Rohr

  • Geboren wurde Gernot Rohr am 28. Juni 1953 in Mannheim. Mit dem Kicken begann der Spross einer großen Fußballerfamilie 1961 in der Jugendabteilung des Stadtteilvereins VfL Neckarau. Sein Großonkel Oskar „Ossi“ Rohr gewann in den 1930er Jahren die deutsche Meisterschaft mit dem FC Bayern und spielte bei Racing Straßburg, sein Vater Philipp „Fips“ Rohr war ebenfalls Spieler und Trainer.
  • Als Profi spielte Gernot Rohr für den FC Bayern, den SV Waldhof, Kickers Offenbach und Girondins Bordeaux. Dort wurde der Defensivspieler dreimal französischer Meister und fand eine neue Heimat am Atlantik. Als Trainer betreute der Vater von vier Kindern mehrere Vereinsmannschaften in Frankreich, der Schweiz und in Tunesien. In Afrika trainierte Rohr Gabun, Niger, Burkina Faso und Nigeria (bis Dezember 2021).

Ein Vorwurf vonseiten des nigerianischen Verbandes war, dass Sie zu wenig auf einheimische Spieler gesetzt und vor allem die Legionäre aus Europa nominiert haben.

Rohr: Wenn ich Spieler nicht genommen habe, gab es dafür Gründe. Ich will immer die beste Mannschaft haben, sonst würde ich mir ja ins eigene Fleisch schneiden. Auch bei anderen afrikanischen Top-Nationen wie Senegal ist oft kein Einziger aus den lokalen Ligen dabei. Leider ist es nun mal so, dass die besten afrikanischen Spieler schon sehr früh ins Ausland gehen. Die anderen sind einfach nicht gut genug.

Gabun, Niger, Burkina Faso, Nigeria – seit über einem Jahrzehnt haben Sie verschiedene Nationalmannschaften in Afrika trainiert. Welche besonderen Fähigkeiten muss man für diese Jobs als Deutscher und Wahl-Franzose mitbringen?

Rohr: Es gibt ein schönes französisches Wort, das heißt „souplesse“, auf Deutsch: Flexibilität. Man muss in der Lage sein, sich anzupassen. Man muss seine Ziele mit viel Toleranz und Menschlichkeit durchsetzen, aber trotzdem Disziplin und Organisation verlangen. Das habe ich gelernt.

Seit vielen Jahren, spätestens seit Kamerun mit Roger Milla bei der WM 1990 ins Viertelfinale einzog, wartet die Welt auf eine afrikanische Mannschaft, die bei einer WM einmal ins Endspiel kommt oder sogar den Titel gewinnt. Warum hat es dennoch bisher nicht mit einem großen Coup geklappt?

Rohr: Es gibt ein paar Topspieler wie Sadio Mané oder Mohamed Salah in Liverpool, die bei großen Vereinen spielen. Aber eben nicht genug. Aus Nigeria ist zum Beispiel keiner mehr in der Champions League dabei. Außerdem muss es immer noch in der Organisation und der Infrastruktur Fortschritte geben.

Am Sonntag startet der Afrika-Cup in Kamerun. Viele Vereinstrainer wollen Ihre Spieler dafür nicht abgeben, vor allem aufgrund des Zeitpunkts mitten in der Saison in den europäischen Top-Ligen.

Rohr: Ja, das ist das Hauptproblem. Das Turnier findet im Januar statt und das stört viele Clubs. Der Zeitpunkt mitten in der Saison ist sicher ein Faktor, man sollte aber akzeptieren, dass es internationale Wettbewerbe gibt, die nicht im Juni ausgetragen werden. Der Afrika-Cup verdient mehr Respekt. Vom sportlichen Wert und von der Popularität in Afrika her ist das Turnier ein Höhepunkt im internationalen Fußball. Auch Afrika hat das Recht, bei einem Turnier zu vibrieren und mit seinen Mannschaften zu feiern.

Afrika-Cup 2022: Große Stars und viele Fragezeichen

  • Inmitten der Omikron-Welle und begleitet von Sorgen um bewaffnete Konflikte in Kamerun ringt der Afrika-Cup um seinen Stellenwert im Weltfußball. Die Euphorie für das Kontinentalturnier vom 9. Januar bis 6. Februar mit Weltstars wie Liverpools Mohamed Salah (Ägypten) und Man-City-Angreifer Riyad Mahrez (Algerien) wird von den europäischen Spitzenclubs nicht geteilt. Das Problem ist bei jeder Ausgabe der mit der Europameisterschaft vergleichbaren Afrika-Endrunde dasselbe: Speziell die britschen Clubs stellen während der Saison viele Spieler ab, weil sie es müssen.
  • In diesem Jahr sind die Sorgen wegen der Corona-Lage im zudem innenpolitisch instabilen Gastgeberland Kamerun noch größer – nach Ansicht vieler Spieler und Experten aber das falsche Signal. Der Ex-Frankfurter Sébastien Haller, Stürmer der Elfenbeinküste und beim niederländischen Fußballclub Ajax Amsterdam, kritisierte in einem Interview „den Mangel an Respekt für Afrika, wenn Spieler gefragt werden, ob sie nicht lieber im Land ihres Vereins bleiben wollen. „Jeder europäische Verein, der einen afrikanischen Spieler verpflichtet, weiß um diese Problematik“, sagte der nigerianische Sportjournalist Osasu Obayiuwana der „Sportschau“.
  • Der FC Liverpool muss neben Salah auch auf Sadio Mané (Senegal) verzichten. Beide Spieler zählen mit ihren Nationen zu den Favoriten. Senegal musste sich vor drei Jahren Titelverteidiger Algerien im Finale (0:1) geschlagen geben.
  • Eigentlich wird das Event alle zwei Jahre ausgetragen – 2021 wurde es wegen der Pandemie um ein Jahr verschoben. Neben den Debatten über Spielerabstellungen und Corona wird das Turnier von der unklaren Sicherheitslage belastet. Kameruns Norden wird seit Jahren von Unruhen und Angriffen auf die Zivilbevölkerung erschüttert. Ende 2016 hatten die zwei größten englischsprachigen Regionen bekanntgegeben, dass sie sich abspalten und ein neues Land namens Ambazonia gründen wollen. Immer wieder kommt es zu Protest, gegen den die Sicherheitskräfte teils mit Gewalt vorgehen. (dpa)

Was trauen Sie ihrer ehemaligen Mannschaft Nigeria zu?

Rohr: Sie kann den Titel holen. Die Mannschaft ist zusammengewachsen, es herrscht eine gute Harmonie. Mein Nachfolger Augustine Eguavoen war ja vorher schon technischer Direktor und braucht nur weiter zu führen, was man begonnen hat. Alles weniger als das Halbfinale wäre schon eine Enttäuschung.

Und wer sind für Sie die anderen Favoriten?

Rohr: Auf jeden Fall Gastgeber Kamerun, Senegal sehe ich stark, außerdem Algerien und Marokko. Außenseiterchancen besitzen Elfenbeinküste und Ghana.

Sie werden in diesem Jahr 69 Jahre alt, führen ein beneidenswertes Leben in Lège-Cap-Ferret an der französischen Atlantikküste. Ist es Zeit für den Trainer-Ruhestand und haben Sie noch Energie für neue Aufgaben?

Rohr: Ich fühle mich jünger als 68 und bin total fit (lacht). Ich genieße die Zeit mit der Familie, aber ich habe noch Lust auf ein paar Abenteuer. Es gab es schon ein paar Kontakte und Telefonate . . .

Wird es wieder ein Job in Afrika oder könnten Sie sich grundsätzlich auch einen anderen Kontinent vorstellen?

Rohr: Es gibt bestimmt auch andere Destinationen, an denen man Spaß haben kann. Es soll auf jeden Fall wieder eine Nationalmannschaft und kein Club mehr werden. Ich habe die Erfahrung in Afrika. aber warum nicht auch mal etwas anderes? Ich lasse mir ein bisschen Zeit, verfolge den Afrika Cup. Und dann beiße ich irgendwann wieder zu. Ich möchte mit Leuten zusammenarbeiten, mit denen man sich versteht.

Redaktion Fußball-Reporter: Nationalmannschaft, SV Waldhof, Eintracht Frankfurt, DFB

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen