Stefan Effenberg hat den deutschen Fußball geprägt. Vor dem Start der Bundesliga-Rückrunde spricht er im Interview mit dieser Redaktion über den Impf-Eiertanz von Joshua Kimmich, die Dortmunder Mentalitätsdebatte und die Anziehungskraft der englischen Premier League. Außerdem verrät der 53-Jährige zwei Szenarien, die für ein Ende der Bayern-Dominanz sorgen könnten.
Herr Effenberg, der FC Bayern hat einen neuen Trainer mit Julian Nagelsmann, Stammspieler David Alaba abgegeben und viele Corona-Infektionen erschwerten die Arbeit. Trotzdem steht München mit neun Punkten Vorsprung an der Tabellenspitze. Was sagt das über die Fußball-Bundesliga aus?
Stefan Effenberg: Erst einmal spricht es für die Qualität von Bayern München, dass diese Mannschaft trotz ihrer Probleme schon wieder so souverän auf Platz eins steht. Auf der anderen Seite muss ich ebenso ganz klar sagen: Borussia Dortmund und insbesondere RB Leipzig werden ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht, weshalb die deutsche Meisterschaft nach 17 Spieltagen praktisch entschieden ist. Dass es im Kampf um die Schale keine Spannung mehr geben wird, ist natürlich bitter…
…und spricht gegen die Qualität der Bundesliga, was sich ja auch im Europapokal zeigt.
Effenberg: In den vergangenen 20 Jahren hat mich in der Europa League nur eine einzige deutsche Mannschaft begeistert: Eintracht Frankfurt. Ich finde es schlimm, wie sich die anderen deutschen Vereine in diesem Wettbewerb seit Jahren präsentieren. In den nächsten Monaten hat die Bundesliga nun aber mit Leipzig, Frankfurt, Dortmund und Leverkusen eine sehr große Möglichkeit, in der Europa League für positive Schlagzeilen zu sorgen. Alle vier Mannschaften haben das Potenzial, das Halbfinale zu erreichen. Ein Team sollte im Endspiel stehen. Das muss das Ziel sein. Alles andere würde mich tief enttäuschen.
Effenberg – ein Gladbacher und Münchner Idol
- Privates: Stefan Effenberg wurde am 2. August 1968 in Hamburg geboren. Er ist mit Claudia Effenberg, der früheren Frau von Ex-Nationalspieler Thomas Strunz, verheiratet.
- In der Jugend: Der Mittelfeldspieler begann seine Fußballkarriere in der Jugend des SC Viktoria Hamburg und beim Bramfelder SV.
- Profistationen: Gladbach (1987-1990), FC Bayern (1990-1992), AC Florenz (1992-1994), Gladbach (1994-1998), FC Bayern (1998-2002), VfL Wolfsburg (2002-2003), Al-Arabi/Katar (2003-2004).
- Erfolge: deutscher Meister 1999, 2000, 2001 (mit dem FC Bayern); deutscher Pokal-Sieger 1995 (mit Gladbach) und 2000 (mit dem FC Bayern); Champions-League-Gewinner 2001 (mit dem FC Bayern); Weltpokalsieger 2001 (mit dem FC Bayern).
- Nationalteam: Effenberg bestritt 35 Länderspiele und erzielte fünf Treffer für Deutschland. Mit der DFB-Elf wurde er 1992 Vize-Europameister.
- Trainerlaufbahn: Von Oktober 2015 bis März 2016 saß Effenberg auf der Bank des Zweitligisten SC Paderborn.
Wieder einmal…
Effenberg: Ja. Seit vielen Jahren vertritt nur der FC Bayern die Bundesliga konstant würdig im Europapokal. 2020 stand Leipzig zwar mal im Halbfinale der Champions League, aber die folgende Entwicklung hat bewiesen, dass das eher ein Ausrutscher war.
Sie haben als Spieler des FC Bayern noch Vize-Meisterschaften mit dem Club erlebt. Was muss passieren, dass es mal wieder Platz zwei für die Münchner wird?
Effenberg: Es gibt nur zwei Szenarien, die ein Ende der Bayern-Dominanz bedeuten könnten.
Welche?
Effenberg: Variante eins: Der Meister wird künftig im Play-offs-Modus ermittelt.
Was wenig realistisch ist. Wie lautet Variante zwei?
Effenberg: Manuel Neuer, Thomas Müller und Robert Lewandowski verlängern allesamt ihre Verträge nicht über 2023 hinaus und verlassen den Verein. Diese drei Spieler bilden das Gerüst dieser Mannschaft und sind die Haupt-Verantwortlichen für den Erfolg. Wenn der FC Bayern es schafft, diese drei Topstars zu halten, wird er weiterhin Meister. Denn die anderen Vereine wie Dortmund und Leipzig verlieren regelmäßig ihre Spitzenspieler.
Wie schlägt sich Trainer Nagelsmann in München?
Effenberg: Wir können nur bewerten, was bislang passiert ist. Die Vorrunde in der Champions League war überragend, neun Punkte Vorsprung in der Liga sind top. Aber das Pokal-Aus tut weh – und es kann noch einmal mehr schmerzen, als wir uns das jetzt vorstellen können.
Inwiefern?
Effenberg: Wenn der FC Bayern in der Champions League nicht sein gestecktes Ziel erreicht und am Ende nur eine Meisterschaft steht, dann war die Saison zwar gut, aber nicht sehr erfolgreich. Der Anspruch in München ist es immer, ins Halbfinale oder Finale der Champions League zu kommen. Deswegen wird das Abschneiden in diesem Wettbewerb das Gesamtfazit massiv beeinflussen. Meister muss man als Trainer des FC Bayern immer werden.
Erfolgreich wäre die Saison also nur mit Meisterschaft plus Halbfinale in der Champions League?
Effenberg: So pauschal kann ich das nicht sagen. Wenn der FC Bayern im Viertelfinale unglücklich an einem großen Gegner wie etwa Liverpool oder Manchester City scheitert oder plötzlich viele Leistungsträger verletzt ausfallen, dann kann es auch in Ordnung sein, das Halbfinale zu verpassen. Nur gegen Salzburg dürfen die Münchner im Achtelfinale natürlich nicht ausscheiden.
Der BVB ist Zweiter in der Liga und verweist darauf, weniger Geld als der FC Bayern zu haben.
Effenberg: Da macht es sich der BVB ein wenig zu einfach. Der Abstand zu den Münchnern ist zu groß. Anfang Dezember betrug der Rückstand einen Punkt auf den FC Bayern und es stand das Heimspiel gegen München an. Drei Spiele später war der FC Bayern enteilt. Das zeigt, dass es dem BVB an Qualität in der Spitze und an der Breite im Kader fehlt.
Und auch an Mentalität? Diese Debatte hören sie in Dortmund nicht gerne.
Effenberg: Die Dortmunder müssen sich schon der Mentalitätsdebatte stellen und die Führungsspieler können dieses Thema nicht einfach so wegwischen und sagen, dass sie das nicht mehr hören wollen. Mentalität ist eine Qualität. Und genau diese Qualität war in einigen Phasen der Hinrunde bei den Dortmundern nicht hoch genug.
Was passiert mit BVB-Superstar Erling Haaland im Sommer?
Effenberg: Wir sollten uns über jedes Spiel freuen, in dem wir ihn noch in der Bundesliga sehen. Ich gehe davon aus, dass Erling Haaland Dortmund in diesem Sommer verlassen wird. Er ist mit dem BVB Pokalsieger geworden, doch mehr ist nicht drin. Die vergangenen Monate haben das gezeigt. Erling Haaland weiß jetzt, dass er die ganz großen Titel mit Borussia Dortmund nicht gewinnen wird. Deutscher Meister oder Champions-League-Gewinner – das wird mit dem BVB in nächster Zeit unmöglich sein.
Für den BVB wäre sein Weggang der nächste schwere Schlag.
Effenberg: Aber man sollte doch nie vergessen, dass bei solch einem Wechsel alle Seiten profitieren. Dortmund wird eine sehr hohe Ablösesumme kassieren.
Die nur ein Verein aus England bezahlen kann.
Effenberg: Ja, der Fußball hat sich nun mal in diese Richtung entwickelt. Die Premier League ist in finanzieller Hinsicht die mächtigste Liga der Welt. Der FC Bayern muss vor diesen Vereinen momentan noch keine Angst haben, aber Clubs wie Dortmund, Leipzig und Leverkusen können da nicht mehr mithalten. Machen wir uns nichts vor: Mit Florian Wirtz wird es in Leverkusen genauso laufen wie mit Kai Havertz. In absehbarer Zeit wird er Bayer verlassen und nach England wechseln.
Ist die Bundesliga also eine Ausbildungsliga für die Premier League?
Effenberg: Diese These wäre mir zu steil. Ich würde es etwas anders formulieren: Ich finde grundsätzlich, dass die Bundesliga ihren Reiz hat und unabhängig von der Meisterfrage auch spannend ist. Die Liga ist aber eben auch eine gute Plattform, um sich dort für die ganz großen europäischen Vereine zu empfehlen. Die Premier League ist nun mal das Maß aller Dinge. Es stehen nicht umsonst vier englische Teams im Achtelfinale der Champions League.
Wird man auch irgendwann Nagelsmann in England sehen?
Effenberg: Julian Nagelsmann sollte erst einmal froh und stolz darauf sein, dass er beim FC Bayern ist und was er am FC Bayern hat. Er hat einen Fünfjahresvertrag in München erhalten, was ein enormer Vertrauensvorschuss ist. Für seine Entwicklung wäre es enorm wichtig, erst einmal beim FC Bayern zu bleiben. Macht er weiter wie bisher, wird er irgendwann auch bereit für den nächsten Schritt sein. Aber diesen Schritt sehe ich nicht in den nächsten drei oder vier Jahren.
Wird ein Trainer wie Jürgen Klopp oder Thomas Tuchel noch einmal den umgekehrten Weg gehen?
Effenberg: Ich würde es mir wünschen, kann mir das aber nur schwer vorstellen. Ich glaube, Klopp und Tuchel werden wir nicht mehr in der Bundesliga sehen. Es gibt für sie in sportlicher Hinsicht keinen Grund für eine Rückkehr, denn sie trainieren mit Liverpool und Chelsea zwei der stärksten Mannschaften in der besten Liga der Welt und spielen entsprechend immer um alle wichtigen Titel. Ich halte es aber für möglich, dass die beiden irgendwann als Trainer eine wirklich große Fußball-Nationalmannschaft übernehmen.
Stichwort Nationalmannschaft. Ist die Zeit von Mats Hummels in der DFB-Elf vorbei oder sehen wir ihn bei der WM Ende des Jahres?
Effenberg: Mats Hummels ist immer noch ein sehr guter Spieler. Aber er hatte zuletzt mit Verletzungen zu kämpfen und in seinem Alter wird es immer schwieriger, nach diesen Zwangspausen das frühere Niveau wieder zu erreichen. Mit Mitte 20 ist das einfacher. Momentan muss der Bundestrainer Hansi Flick doch gar nichts ausschließen. Bis zur WM ist noch Zeit. Ich sage: Erreicht Mats Hummels in den Monaten vor der WM sein Potenzial zu 100 Prozent, wird er dabei sein. Kommt er da nicht mehr hin, fährt er nicht mit. Da bin ich mir ziemlich sicher.
Beim Thema Katar-WM geht es immer auch um den Gastgeber. Der dänische Verband hat angekündigt, dass Sponsoren ihren Platz auf der Trainingskleidung der Mannschaft zugunsten von Menschenrechts-Botschaften aufgeben werden. Begrüßen Sie das?
Effenberg: Man muss das Thema Menschenrechte diskutieren, das ist klar. Und wenn die Dänen das machen dürfen, sollen sie es machen. Ich bin nur gespannt, ob das Gastgeberland das einfach so akzeptieren wird. Und wenn wir ehrlich sind: Wären die Dänen 100-prozentig konsequent mit ihrem Protest, würden sie nicht zur WM fahren. Aber sie werden nicht verzichten. Und das wird auch keine andere Nation tun, weil allen diese WM dann doch zu wichtig ist. Das hat dann auch ein wenig etwas von einer Doppelmoral.
Sie sagen selbst, dass über das Thema Menschenrechte gesprochen werden muss. Was erwarten Sie von den Deutschen?
Effenberg: Wir sehen beim Deutschen Fußball-Bund, wie schwer sich die Verantwortlichen damit tun, klare Aussagen zum Thema Katar zu treffen. Alle wissen ja, dass sie sich da auf einem schmalen Grat bewegen. Ich finde es nur grundsätzlich falsch, die Verantwortung für einen Protest gegen Katar auf die Spieler abzuwälzen. Jeder Spieler will eine Weltmeisterschaft spielen, weil es nichts Größeres gibt. Und kein Spieler ist verantwortlich dafür, dass eine WM in Katar ausgetragen wird. Zur Rede müssen doch vielmehr diejenigen gestellt werden, die vor einigen Jahren bei der FIFA die WM nach Katar vergeben haben.
Wirbel gab es zuletzt außerdem um den deutschen Nationalspieler Joshua Kimmich und seinen Impfstatus. Kann er nach seinem Impf-Eiertanz noch Kapitän der Nationalmannschaft werden?
Effenberg: Joshua Kimmich hat sich mit seiner anfänglichen Skepsis gegenüber einer Corona-Impfung erst einmal keinen Gefallen getan. Ich kann auch nichts damit anfangen, dass anschließend gesagt wurde, die ganze Impfdebatte in Deutschland werde auf seinem Rücken ausgetragen. Das hatte er doch selbst zu verantworten. Wer Entscheidungen trifft, muss immer mit den Konsequenzen leben. Das gilt ja nicht nur für den Sport, sondern grundsätzlich im täglichen Leben.
Und wie kommt Joshua Kimmich da jetzt wieder raus?
Effenberg: Mit guten Leistungen. Jeder Mensch begeht Fehler. Aber die müssen auch verziehen werden. Ich bin mir sicher: Joshua Kimmich kann nach wie vor Kapitän der deutschen Nationalmannschaft werden. Er muss einfach nur die Leistung bringen und die Führungsqualitäten zeigen, die wir von ihm kennen. Dann qualifiziert er sich automatisch für dieses Amt.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/sport/fussball_artikel,-fussball-stefan-effenberg-im-interview-kimmich-kann-immer-noch-kapitaen-der-nationalmannschaft-werden-_arid,1900147.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/vereine_verein,_vereinid,4.html