Porto. Eine gute Stunde vor Anpfiff des großen Spiels stand Stefan Kuntz in der Mixed Zone des Estadio do Dragao. Der 59-Jährige wirkte tiefenentspannt. Kein schwarzer Anzug, sondern weiße Turnschuhe und Kapuzenpullover. Die Hände tief in den Taschen vergraben, scherzte der im saarländischen Neunkirchen geborene Ex-Nationalspieler mit seinem Trainerteam und dem Pressesprecher des türkischen Fußballverbandes. So wirkt niemand, der angesichts der bevorstehenden Herkulesaufgabe in Ehrfurcht versinkt.
Knapp drei Stunden später war der Trainer zwar nicht mehr ganz so locker, aber immer noch gefasst und aufgeräumt. Kuntz klatschte in die Hände, lief auf den Rasen, um mit seinen Spielern einen Kreis zu bilden und schritt dann auf den Teil der Tribüne zu, in dem sich die wenigen türkischen Fans versammelt hatten. Es war – wenn man die Geschehnisse richtig interpretierte – die angemessene Reaktion auf eine Niederlage in einem für die Nation verdammt wichtigen Spiel.
Versierteres Fachpersonal
Der deutsche Trainer wusste das Geschehen angemessen einzuordnen: Der Herausforderer war im ausverkauften Stadion nicht nur deshalb als klarer Außenseiter ins Spiel gegangen, weil er vor 48.010 Zuschauern ein Auswärtsspiel bestreiten musste. Erschwerend kam hinzu, dass die Gastgeber technisch und läuferisch über das versiertere Fachpersonal verfügten.
Das galt es anzuerkennen, und damit hatte Kuntz keine Probleme. Die Kräfteverhältnisse schienen festgezurrt, und doch hatte sich dieses Ausscheidungsspiel zwischendurch viel mehr zugespitzt, als es das Ergebnis von 3:1 für die Portugiesen suggerieren mochte. Nur ein Mal verlor Kuntz für einen kurzen Moment die Contenance, als ihm ein türkischer Reporter während der Pressekonferenz nach dem Spiel mit den statistischen Werten von Ballbesitz und Torschüssen konfrontierte. „Haben Sie das Spiel gesehen“, bellte der Deutsche in den Saal, „wir hatten doch mehr Chancen als die Portugiesen.“
So kann man das sehen, doch de facto waren die Türken mehr als eine Stunde lang bemerkenswert unterlegen, bevor sie durch einen Treffer ihres Kapitäns Burak Yilmaz wie aus dem Nichts ins Spiel zurückfanden. Erst danach entwickelte sich ein Schlagabtausch auf Augenhöhe, den Yilmaz endgültig in die für die Türken richtige Richtung hätte wenden können. Doch als der Stürmer in der 85. Minute zu einem Foulelfmeter antrat, jagte er den Ball in den portugiesischen Himmel, anstatt das Spiel ausgeglichen zu gestalten.
Es war die Szene, die das Spiel entschied, doch Kuntz mochte deshalb nicht den Stab über seinen Anführer brechen. Im Gegenteil, er berichtete, er habe dem tragischen Helden des Abends noch auf dem Rasen versichert, „Du kannst stolz darauf sein, Kapitän dieses Teams zu sein.“ Auch sonst hinterließ Kuntz nicht den Eindruck, als sei sein Job am Bosporus mit dem Ende der Mission Katar gescheitert. Im Gegenteil: „Keiner in der Türkei muss sich schämen für dieses Team.“
Im Vergleich dazu befindet sich ein anderer Protagonist dieses Abends auf der Zielgeraden einer Karriere, die ihresgleichen sucht: Cristiano Ronaldo (37) erzielte in 185 Länderspielen für Portugal sagenhafte 115 Tore, ein Weltrekord, der durchaus für die Ewigkeit taugen könnte. Allerdings war darunter kein einziger gegen die Türkei. Viel wichtiger ist doch, dass der Stürmer am Dienstag die Chance bekommt, durch die Hintertür seine fünfte WM-Teilnahme perfekt zu machen.
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