Berlin. Nadja Pechmann hatte den Fußball früh schätzen gelernt, weil sie auf dem Rasen nicht in die traditionelle Rolle eines Mädchens schlüpfen musste. Sie warf sich als Torhüterin in den Matsch oder brüllte über das ganze Spielfeld. Ihrer Mutter gefiel dieses Verhalten gar nicht. Als Jugendliche merkte Nadja Pechmann, dass sie auf Frauen steht. Eines Abends bei ihrem Verein, dem FC Spandau 06, rief der Trainer sie und ihre Freundin in die Kabine. Er verbat ihnen das Händchenhalten, schließlich könnten sie gesehen werden, von Nachbarn, Jugendspielerinnen oder deren Eltern.
Bald darauf wurde die Berlinerin Nadja Pechmann Schiedsrichterin. Vor allem bei Partien zwischen Männern musste sie sich einiges anhören: "Ich hoffe, du pfeifst so gut, wie dein Arsch aussieht." Pechmann entgegnete, dass sie Frauen mag - und erhielt die Antwort: "Du siehst gar nicht so lesbisch aus." Inzwischen ist Pechmann 30 Jahre alt, sie sagt: "Entweder wurde ich als Sexobjekt dargestellt oder als Kampflesbe." Vor drei Jahren wurde sie von einem Kreisligaspieler rüde geschubst. Sie legte eine Pause als Schiedsrichterin ein. Bis heute.
Im Fußball hängt alles mit allem zusammen, die Spitze mit den Amateuren, die Nationalteams mit den Jugendinternaten. Dass Sexismus und Homophobie an der Basis zum Alltag gehören, liegt auch an der fehlenden Thematisierung im Profigeschäft, findet Manuela Kay, Gründerin und Chefredakteurin von L-Mag, einem der wichtigsten Lesbenmagazine in Europa: "Es heißt immer, dass Homosexualität im Frauenfußball kein Problem sei. Ich sehe das genau anders herum: Manchmal sind bis zu 50 Prozent der Spielerinnen in Teams lesbisch. Trotzdem wird gar nicht oder nur sehr anrüchig darüber diskutiert."
Suche nach Vorbildern
Eigentlich, sagt Manuela Kay, "könnte ein Turnier wie aktuell die Fußball-Europameisterschaft in den Niederlanden auch als Errungenschaft für lesbische Frauen gewürdigt werden. In einer Zeit, in der Homosexuelle in vielen Ländern an den Rand gedrängt sind oder sogar um ihr Leben fürchten müssen." L-Mag erhält viele E-Mails und Briefe von Leserinnen, die nach der Sexualität ihrer Lieblingsspielerinnen fragen. Sie wünschen sich Vorbilder.
Elf Spielerinnen dieser EM sind offen lesbisch - fünf kommen aus Schweden. Die Bekannteste, Nilla Fischer, läuft bei ihrem Klub, dem VfL Wolfsburg, mit Regenbogen-Kapitänsbinde auf. Auch Schwedens Trainerin Pia Sundhage gilt als Ikone der LGBT-Bewegung. Ob Casey Stoney in England oder Ramona Bachmann in der Schweiz - etliche Spielerinnen gaben differenzierte Interviews über Homosexualität. Megan Rapinoe in den USA oder Erin McLeod in Kanada nahmen an politischen Kampagnen teil.
In Deutschland haben sich etwa Trainerin Steffi Jones oder die ehemalige Torhüterin Nadine Angerer schrittweise der Debatte genähert. Angerer postete 2016 ein Kuss-Foto von ihrer Verpartnerung.
Die Journalistin Manuela Kay hat in Szenebars auch andere Spitzenspielerinnern getroffen, doch öffentlich äußern wollten sich diese selten. "Privatsache", heißt es oft. Nur scheint dieses Argument vor allem für Homosexuelle zu gelten - Hetero-Beziehungen werden gerne ausgeleuchtet.
Vorauseilender Gehorsam
Hartnäckig hält sich die Erzählung vom kontrollwütigen DFB aus den 90er Jahren, der das Lesbisch-Sein zwar duldete, aber nicht das öffentliche Reden darüber. In jüngerer Vergangenheit hat der Verband in Dutzenden Projekten für Vielfalt geworben, doch manchmal wurden das ad absurdum geführt, zum Beispiel in der Vermarktung der heimischen Frauen-WM 2011.
Der offizielle Slogan: "20elf von seiner schönsten Seite". Für ein Kosmetikunternehmen posierten Nationalspielerinnen in engen Abendkleidern, fünf Bundesligaspielerinnen ließen sich im Playboy ablichten. Spielerinnen schienen also nur von Interesse, wenn sie die Klischees der lesbischen "Mannweiber" weit hinter sich ließen. "Die Spielerinnen sagen, es gibt keinen Druck von Vereinen und DFB", berichtet Kay. "Ich glaube das auch. Es ist eher vorauseilender Gehorsam". Laut Studien sind 50 Prozent der Lesben und Schwulen an ihren Arbeitsplätzen nicht offen homosexuell, im Fußball ist die Interessenlage komplexer, auch wegen der Sponsoren.
Der Verlag, in dem L-Mag erscheint, möchte Unternehmen klar machen, dass sie nur gewinnen können, wenn sie sich als weltoffen darstellen. "Aber da ist Deutschland 20 Jahre hinterher", sagt Kay. Der ehemalige Nationalspieler Thomas Hitzlsperger war nach seinem Coming Out 2014 auch auf die Resonanz der Wirtschaft gespannt - Anfragen erhielt er lange nicht.
Man muss das Thema nicht dauerhaft in den Mittelpunkt stellen, findet Nadja Pechmann, aber verschweigen sollte man es auch nicht. So lange Spielerinnen nicht selbstverständlich mit ihrer Freundin zur Weihnachtsfeier kommen, müsse man auf die Probleme hinweisen. Und die liegen auch in den hierarchischen Führungsstrukturen des Fußballs. Im Präsidium des DFB findet sich nur eine Frau, selbst bei der Frauen-EM wurden zehn der 16 Teams von Männern trainiert. "In gemischtgeschlechtlichen Strukturen würde das Thema weniger verkrampft diskutiert werden", glaubt Pechmann. Im Herbst möchte sie wieder als Schiedsrichterin aktiv werden. Sie hat wieder Kraft und Motivation. Sie möchte sich den Fußball nicht wegnehmen lassen.
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