Georgien

Auf Schlingerkurs

Geht’s in Richtung Russland oder EU?

Von 
Lothar Leuschen
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Der Ministerpräsident von Georgien, Irakli Kobachidse, gibt im Bundeskanzleramt eine Pressekonferenz. (zu dpa: «Georgiens Regierungschef kritisiert deutschen Botschafter») +++ dpa-Bildfunk +++ © picture alliance/dpa

Tiflis. Die Vorzeichen haben sich dramatisch verändert. Der EU-Beitrittskandidat Georgien vollzieht gegenwärtig eine Kehrtwende. Dass die Regierung von Irakli Kobachidse (Bild) abermals den Versuch gestartet hat, ein Gesetz nach dem Vorbild des russischen Agentengesetzes zu verabschieden, lässt in Brüssel die Alarmsignale schrillen. Die Europäische Union und auch Bundeskanzler Olaf Scholz kritisierten das Vorhaben scharf. Sie sehen Georgien auf dem Weg in die falsche Richtung. Es scheint, als peile die amtierende Regierung mehr Nähe zu Wladimir Putins autokratischem Russland an.

Dabei ließ sich in der kaukasischen Republik über die vergangenen Jahre einiges ganz gut an. Die Partei „Georgischer Traum“ stellt seit zwölf Jahren den Regierungschef. Und das Ziel war eindeutig. Georgien will in die Europäische Union. Das Land zwischen Russland und der Türkei, ohne direkte Grenze zu einem EU-Land, hat sich nach dem Ende der Sowjetunion deutlich zum Westen bekannt und einiges dafür getan, sich mit den vereinten demokratischen Staaten in Europa an einen Tisch setzen zu dürfen. Doch damals wie heute machten sich immer wieder Geburtsfehler bemerkbar.

Krasser Außenseiter

Georgien hat sich zum ersten Mal für ein großes Fußballturnier qualifiziert. Der entscheidende Elfmeter von Nika Kvekveskiri gegen Griechenland wird wohl in die Annalen des kleinen kaukasischen Landes eingehen.

Dass ein Franzose jetzt Nationalheld in Georgien ist, beschreibt den netten Nebeneffekt einer Qualifikation, die mit sensationell noch zurückhaltend umschrieben ist. Dank Kvekveskiri und Trainer Willy Sagnol, der viele Jahre sehr erfolgreich beim FC Bayern München Gegentore verhindert hat.

Dass die Reise durch Deutschlands Fußballarenen viele Stationen haben wird, ist indes nicht zu erwarten. Wertvollste Spieler im Kader sind Georgi Marmadashwili (Marktwert 35 Millionen Euro) und Khvicha Kvaratskhelia (80 Millionen Euro) vom der SSC Neapel.

In der EM-Vorrunde geht es gegen Portugal, Tschechien und die Türkei.

Der milliardenschwere Ingenieur Bidsina Iwanishwili trat 2011 auf den Plan, um mit seiner heute regierenden Partei das amtierende Establishment aus dem Amt zu jagen. Dass er sich im Wahlkampf seinerzeit auch der Dienste des ehemaligen US-Botschafters in Deutschland, John Kornblum, bediente, zeigt, dass Oligarchen ins oberste Regal greifen können, wenn es um Dienstleistung geht. Iwanishwili hat seinen Wohlstand in Russland erzeugt und offenbar schnell gelernt, das westliche Kommunikationsgeschäft für sich zu nutzen. Sein Ziel, Regierungschef zu werden, erreichte er. Doch schon 2013 stellte er sein Amt zur Verfügung. Seither gilt er in Georgien als wichtigster und mächtigster Strippenzieher hinter den Kulissen der Macht. Ob der Milliardär und ehemalige Spitzenpolitiker tatsächlich hinter den Bestrebungen steht, Organisationen zu kontrollieren, die sich zu mehr als 20 Prozent mit Geld aus dem Ausland finanzieren, ist indes noch nicht erwiesen.

Zehntausende gehen auf die Straßen

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Sicher ist hingegen, dass unter vielen Georgiern Panik ausgebrochen ist. Umfragen zufolge wollen 80 Prozent der etwa 3,8 Millionen Bürgerinnen und Bürger ihr Land in der Europäischen Union sehen. Das war bisher auch Politik der Regierung. Doch der neuerliche Versuch, das „Agenten-Gesetz“ durchzupeitschen, stellt alles infrage. Zu Zehntausenden gingen die Menschen zuletzt auf die Straße. Auseinandersetzungen mit der Polizei waren die Folge. Und erst die unabhängige Staatspräsidentin Salome Surabishwili hat den Zug in die falsche Richtung zumindest vorläufig aufhalten können, in dem sie ihr Veto einlegte.

Damit ist das Vorhaben nicht vom Tisch. Dazu müsste die Regierung ihr Gesetz zurückziehen. Ob sie das macht, ist fraglich. Der Opposition bleibt nur, auf Zeit zu spielen. Im Herbst wird in Georgien ein neues Parlament gewählt. (Bild: dpa)

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