Wyong. Es dauert noch eine Weile, bis der Wyong Race Club unweit des vielbefahrenen Pacific Highway wirklich wieder den Vollblütern gehört. Der nächste Renntag an der australischen Central Coast ist hier für den 3. August angesetzt. Somit können die deutschen Fußballerinnen nicht stören, die dann gerade ihr letztes WM-Gruppenspiel gegen Südkorea in Brisbane bestreiten. Ins zum Medienzentrum umfunktionierten VIP-Zelt auf dem Gelände ist zur ersten Pressekonferenz der DFB-Frauen am Mittwoch Alexandra Popp erschienen, denn niemand bindet gerade medial eine größere Aufmerksamkeit.
Dass die 32-Jährige sich so ungeduldig gab wie ein Rennpferd in der Box, passte irgendwie: „Ich bin extrem froh, dass es losgeht, man die Spiele schauen und das Feeling spüren kann“, sagte die Kapitänin mit Blick auf die Eröffnungsspiele in Australien und Neuseeland. „Ich hab‘ schon Bock auf die WM.“
Zu einem der wichtigsten Themen kam die Spiel- und Wortführerin schnell zur Sache. Welche Botschaft kommt an ihren Oberarm, nachdem die FIFA auch bei den weltbesten Fußballerinnen keinen Regenbogen erlaubt? Popp hat sich mit dem Mannschaftsrat entschieden, das ganze Turnier ein blaues Stückchen Stoff mit dem Slogan „Vereint gegen Gewalt gegen Frauen“ sein. „Das ist einfach ein riesengroßes Thema. Gerade was auch häusliche Gewalt angeht“, sagte sie. Zudem habe der DFB eine Kooperation mit UN Women und mache jährlich einen ‘Orange Day’ zu diesem Komplex.
Immense Popularitätswerte
Eins von acht möglichen Motiven wäre „Vereint für Inklusion“ gewesen, was der bei der Männer-WM 2022 in Katar verbotenen „One Love“-Binde geähnelt hätte. Doch diesen Bogen wollte der Verband sicher nicht spannen. Was Popp als Sprachrohr noch anmerkte: „Das Vielfalts-Thema ist eh unser Ding, das bespielen wir schon seit Jahren und werden es auch weiterhin machen.“ Weil sie mitunter noch so redet, als unterhalte sie sich in einem australischen Pub mit guten Kumpels, vereint sie Popularitätswerte, an die selbst die meisten Männer-Stars nicht mehr herankommen.
Der Auftritt in der ZDF-Show „Wetten, dass…?“ oder die Auszeichnung zur „Persönlichkeit des Jahres“ vom Fachmagazin „Kicker“ befeuerten diese Entwicklung. Eigentlich traurig, dass diese meinungsstarke Fußballerin vom VfL Wolfsburg vor vier Jahren in einem WM-Werbespot fragen musste: „Weißt Du eigentlich wie heiße?“. Damals bloß um aufzufallen. Heute kann sie nicht mehr ungestört in ein Berliner Kaufhaus gehen. „Sie, die ihr Privatleben mit Ehemann Patrick im Gegensatz zu vielen Mitspielerinnen völlig unter Verschluss hält, hat vom EM-Boom profitiert wie keine andere. „Diese Sichtbarkeit ist ein Stück weit Neuland, wie man damit umgeht“, gab sie zu. Und wenn im begrünten Basecamp die von der gelernten Tierpflegerin in einer Powerpoint-Präsentation vorgestellten gefährlichen Spinnen oder Schlangen auftauchen würde, würde „Poppi“ auch gerufen.
Aber eigentlich ist sie nach Aus-tralien gekommen, um eine WM zu erleben, die nicht mit Frust und Tränen endet. Der geplatzte Titeltraum beim Heimturnier 2011, der nicht wirklich zufriedenstellende vierte Platz 2015 in Kanada und das überflüssige Viertelfinal-Aus 2019 in Frankreich waren teils bittere Erfahrungen, die sie vor dem Auftaktspiel gegen Marokko (Montag 10.30 Uhr MESZ/ZDF) zu mahnenden Worten animierten: Ihr werde grundsätzlich mal „zu viel über die EM in England gesprochen: Die WM ist jetzt eine ganz andere Nummer“. Schon die Gruppe werde „definitiv kein Selbstläufer.“
Alleinretterin kann auch die 128-fache Nationalspielerin (62 Tore) nicht sein: Sie ist mehr Kämpferin als Künstlerin. Nur Popps Prominenz schießt keine Tore. Oder wie sie formulierte: „Auch wenn gefühlt in jedem Zeitungsartikel mein Name steht, verändert das nicht meine Position oder meine Führung der Mannschaft. Ich will einfach Fußball spielen.“
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