Fußball - Tasmania Berlins schwarzer Bundesliga-Rekord schien für die Ewigkeit – bis Schalke 04 kam / Ein historischer Rückblick

Ackergäule aus Neukölln

Von 
Alexander Müller
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Die Mannschaft von Tasmania Berlin bei einem Freundschaftsspiel gegen den Schweizer Club FC Winterthur am 31. Juli 1965. © dpa

Mannheim/Berlin. Der Sport liebt seine Helden. In Erinnerung bleiben die großen Triumphe und außergewöhnlichen Leistungen. Manchmal schaffen es aber auch die Verlierer, bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Sie müssen nur so oft verlieren, dass man sie in den Status von Legenden erhebt. Wenn der FC Schalke 04 am Samstag nicht gegen die TSG 1899 Hoffenheim gewinnt, hätten die Gelsenkirchener einen Bundesliga-Rekord eingestellt, der als für alle Zeiten in Stein gemeißelt galt. Schalke wäre mit 31 Spielen ohne Sieg dann genauso schlecht wie Tasmania Berlin vor 65 Jahren.

Tasmania, dieser Name steht für Pleiten, Pech und Pannen. Als Symbol für das Scheitern auf ganzer Linie, als Markenzeichen für Misserfolg in der Fußball-Bundesliga. Schlimmer geht’s nimmer.

Der Sporthistoriker Hanns Leske hat die kuriose Geschichte der Loser aus Neukölln in seinem Buch „Tasmania Berlin. Der ewige Letzte“ aufgeschrieben. Der Titel bezieht sich auf den wohl für immer festgeschriebenen letzten Platz der Berliner in der ewigen Bundesliga-Tabelle: Tasmania schoss in der Spielzeit 1965/66 in 34 Spielen die wenigsten Tore (15), kassierte die meisten Gegentreffer (108) und errang nur 8 Pluspunkte (nach der damals geltenden Zweipunkteregel für einen Sieg).

Wie konnte es dazu kommen? Das sportliche Debakel ist schon in den Begleitumständen des „Aufstiegs“ von Tasmania in die höchste deutsche Spielklasse angelegt. Da der große Nachbar Hertha BSC Berlin wegen der Zahlung unerlaubter Handgelder in der Vorsaison die Lizenz aberkannt bekommen hat, sucht der Deutsche Fußball-Bund (DFB) einen Nachrücker aus der damals geteilten Stadt. Tasmanias Aufnahme in die Beletage des deutschen Fußballs ist also vor allem politisch motiviert: West-Berlin soll auf der Landkarte der Bundesliga bleiben, dafür wird auf 18 Teams aufgestockt.

Der Alptraum beginnt

Am 1. August 1965 fällt der DFB die Entscheidung, schon drei Wochen später soll die Saison starten - die Folge ist eine chaotische Vorbereitung. Teilweise müssen die Tasmanen mit dem „ADAC-Ferienfunk“ im Radio zurück zum Training nach Berlin beordert werden. Der Traum vom großen Fußball startet dennoch überraschend verheißungsvoll - mit einem 2:0-Sieg vor sagenhaften 81 500 Zuschauern im Olympiastadion gegen den Karlsruher SC, beide Tore erzielt Wulf-Ingo Usbeck. Doch dann beginnt der Alptraum.

„Man kann aus Ackergäulen keine Rennpferde machen“, hat der damalige Kapitän Hans-Günter Becker einmal zu den Gründen für die Horror-Saison der Tasmanen gesagt. „Die meisten Spieler von uns waren damals schon über ihrem Zenit.“ An lustigen Spitznamen mangelt es dem Team nicht: die Torhüter Hans Joachim „Jockl“ Posinski und „Jumbo“ Rohloff, Kapitän „Atze“ Becker, „Ringo“ Usbeck, Ekkehard „Funkturm“ Peschke, „Keule“ Neumann oder der einzige wirklich namhafte Zugang Horst „Schimmi“ Szymaniak. An Konkurrenzfähigkeit aber sehr wohl.

Die Tasmania verliert und verliert, holt mal einen Punkt in Kaiserslautern (0:0) oder gegen Gladbach (0:0), ist aber schnell abgeschlagen Tabellenletzter. Gegen die Borussia vom Niederrhein kommen Mitte Januar 1966 offiziell nur noch 827 Zuschauer in die riesige Schüssel Olympiastadion - auch das ist bis heute Bundesliga-Negativrekord.

Das letzte bisschen Hoffnung schwindet schnell. „Kein Mensch glaubt daran, dass den Neuköllnern noch der Ligaverbleib gelingt. Es geht zwar noch um Punkte, aber mehr als Beschäftigungsspiele bis zum bitteren Ende sind es nicht“, schreibt der „Tagesspiegel“ vor dem Rückspiel gegen den FCK. Die Partie endet mit einem achtbaren 1:1, die Pfälzer sind die einzige Mannschaft, gegen die Tasmania ungeschlagen bleibt. Nach einem 0:4 beim 1. FC Köln steht Anfang April der Abstieg fest, zumindest lindert der zweite Saisonsieg am 33. Spieltag (ein 2:1 gegen Borussia Neunkirchen) ein wenig den Schmerz.. Der Verein geht 1973 pleite, unter dem neuen Namen SV Tasmania Gropiusstadt 73 spielen die Neuköllner momentan in der Oberliga Nordost.

„Rettet TAS den Rekord“

Doch die historische Saison des Grauens ist in Erinnerung geblieben. „Es gibt in der Bundesrepublik keinen in der Versenkung verschwundenen Verein, an dem nach so langer Zeit noch ein so großes Interesse besteht“, sagt der frühere Kapitän Becker. Mittlerweile sind die Tasmanen sogar stolz darauf, als Schlechtester der Schlechten in die Geschichtsbücher eingegangen zu sein.

Vor dem Schalker Auswärtsspiel bei Hertha BSC am vergangenen Samstag demonstrierten einige Fans des Oberligisten vor dem Berliner Olympiastadion. „Rettet TAS den Rekord“, stand auf ihren Schildern. Aber Hertha gewann 3:0, und somit bleibt Schalke nur noch eine letzte Chance, um zu verhindern, genau so schlecht wie einst Tasmania zu sein. Am Samstag gegen Hoffenheim.

Andere Negativrekorde in der Fußball-Bundesliga

  • Es gibt nicht nur Tasmania Berlin. Auch andere Vereine haben in der Geschichte der Fußball-Bundesliga Negativrekorde aufgestellt. Ein Auszug.
  • Die höchste Niederlage: Beim Saisonfinale 1977/78 unterliegt Borussia Dortmund mit Trainer Otto Rehhagel gegen Borussia Mönchengladbach mit 0:12. Meister wird dennoch der 1. FC Köln – mit drei Toren Vorsprung auf Gladbach.
  • Der Rekord-Absteiger: Diese unschöne Bestmarke hält der 1. FC Nürnberg – neunmal mussten die Franken schon runter in die 2. Liga, zuletzt 2019. Der Tiefpunkt vom Tiefpunkt: In der Saison 1968/69 steigt der „Club“ als amtierender Meister ab – das gab es davor und danach nie wieder.
  • Die schlechteste Auswärtsmannschaft: Auch dieser „Rekord“ geht nach Nürnberg: In der Spielzeit 1983/84 holt der „Club“ keinen einzigen Auswärtspunkt – saisonübergreifend setzt es damals sogar 27 Niederlagen in Folge in der Fremde.
  • Die längste Durststrecke ohne Tor: Dieser unrühmliche Preis geht an den 1. FC Köln. Die Rheinländer bleiben in in ihrer Abstiegssaison 2001/02 1034 Minuten und mehr als zehn Spiele ohne eigenen Torerfolg.
  • Der schlechteste Meister: In einer denkwürdigen Saison holt der FC Bayern 2001 am Ende mit 63 Punkten den Titel – sonst hat man für die Meisterschaft immer mindestens 68 Zähler benötigt. Am letzten Spieltag entreißen die Münchner durch ein Tor von Patrik Andersson in der Nachspielzeit dem FC Schalke noch die Schale. Der „Meister der Herzen“ weint.

Redaktion Fußball-Reporter: Nationalmannschaft, SV Waldhof, Eintracht Frankfurt, DFB

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