Fußball

50+1-Regelung: Ex-DFL-Geschäftsführer Rettig kritisiert die Liga und Leipzig

Ex-Manager Andreas Rettig kritisiert den neuen Vorschlag der Deutschen Fußball Liga (DFL) zur 50+1-Regelung und nennt ihn "wettbewerbsverzerrend"

Von 
Christoph Fischer
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Dass Vereine wie Hoffenheim jahrelang einen Vorteil hatten, ist Andreas Rettig ein Dorn im Auge. © Christian Charisius/dpa

Region. Das Präsidium der Deutschen Fußball Liga DFL hat dem Bundeskartellamt einen neuen Vorschlag zur 50+1-Regel vorgelegt. Der Vorschlag soll für mehr Rechtssicherheit im deutschen Profifußball sorgen und zukünftig keine Ausnahmeregelungen mehr zulassen. Seit Jahren wird über 50+1 diskutiert, obwohl die Regel an sich nicht zur Debatte steht, sichert sie doch, dass der Einfluss von Investoren im deutschen Fußball im Unterschied zur englischen Premier League berechenbar bleibt. Andreas Rettig, ehemaliger DFL-Geschäftsführer und erfolgreicher Bundesliga-Manager, kritisiert den Vorschlag der DFL als "unzureichend" und bemängelt weiter den "wettbewerbsverzerrenden Charakter" durch die Ausnahmeclubs und das "Konstrukt" RB Leipzig.

Herr Rettig, Clubchef Fernando Carro von Bayer Leverkusen spricht bei dem neuen Vorschlag des Präsidiums der Deutschen Fußball Liga zur 50+1-Regel von einem schmerzlichen Kompromiss. Können Sie das nachempfinden?

Andreas Rettig

Andreas Rettig, geboren am 25. April 1963 in Leverkusen, spielte Fußball für den FV Bad Honnef, Viktoria Köln und den Wuppertaler SV.

Er absolvierte seine kaufmännische Ausbildung bei Bayer Leverkusen, arbeitete danach als Bundesliga-Manager erfolgreich beim SC Freiburg, beim 1. FC Köln und beim FC Augsburg.

Zwischen 2013 und 2015 war er Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga, danach Finanzdirektor beim Fußball-Zweitligisten FC St. Pauli und bis Mai 2022 Vorsitzender der Geschäftsführung des Drittligisten Viktoria Köln.

Andreas Rettig: Wenn Fernando Carro damit Schmerzen hat, spricht das nur für ein überentwickeltes Schmerzempfinden bei ihm. Ich empfinde bei diesem Vorschlag eher Schmerzen in ganz anderer Richtung.

In welcher?

Rettig: Dieser sogenannte Kompromiss ist ganz sicher nicht der große Wurf, ich habe mir wesentlich mehr davon erhofft. Dieser Kompromiss geht auf die wichtigsten Probleme gar nicht ein. Ich sehe eine Fülle von offenen Fragen, die dieser neue Vorschlag jedenfalls nicht beantwortet.

Sie denken an die vorgeschlagenen Ausgleichszahlungen?

Rettig: Unter anderem. Man muss festhalten, dass die genannten Vereine, um die es geht – Bayer Leverkusen, der VfL Wolfsburg und mit Abstrichen 1899 Hoffenheim, die TSG bekam die Ausnahmegenehmigung erst 2015 –, über Jahrzehnte Vorteile für sich in Anspruch genommen haben, die den Konkurrenzvereinen nicht zur Verfügung gestanden haben. Konzerne haben Stadien finanziert, die andere Clubs aus eigenen Mitteln selbst realisieren mussten. Das, aber vor allem, dass sie mehr Eigenkapital einwerben konnten, da sie ja 100 Prozent der Stimmrechte verkaufen konnten, hat zu einem unvertretbaren Wettbewerbsvorteil der genannten Clubs geführt. Zudem konnten sie in der Vergangenheit Verluste im Fußballgeschäft gegen die Gewinne des Konzerns gegenrechnen.

Was bedeutet der sogenannte „Ausgleichsbetrag“, der zukünftig erhoben werden soll, konkret in Zahlen?

Rettig: Ein Club macht in einem Jahr 200 Millionen Euro Umsatz, 7,5 Prozent davon dürfen straffrei als Verlustausgleich durch den Mutterkonzern, Bayer und VW, gezahlt werden, macht 15 Millionen pro Jahr. Über den von der DFL zugrunde gelegten Betrachtungszeitraum von drei Jahren können damit 45 Millionen ausgeglichen werden. Würde der Verlustausgleich in einem Jahr 100 Millionen Euro betragen, werden diese 45 Millionen als sogenannter Freibetrag in Abzug gebracht und nur für 55 Millionen – bei den aktuell vom Verband vorgegebenen fünf Prozent Zinsen – knapp drei Millionen Euro an „Strafzahlungen“ fällig. Bei 600 Millionen Umsatz in drei Jahren eine Strafzahlung von knapp drei Millionen, das kann ja wohl kein fairer Ausgleichsbetrag sein. Diese Ausgleichszahlung steht in keinem Verhältnis zu dem Wettbewerbsvorteil, deutlich mehr Geld einsetzen zu können als die Wettbewerber.

Von RB Leipzig ist nirgends die Rede.

Rettig: Auch das ein Umstand, der mich sehr verwundert und nicht zu akzeptieren ist. Ich habe RB Leipzig in meiner damaligen Zeit als DFL-Geschäftsführer die Lizenz verweigert, weil sie für mich juristisch spitzfindig die Regel ausgehebelt haben. Der Lizenzierungsausschuss hat meine Entscheidung zugunsten Leipzigs verändert. Für mich ist dies nach wie vor ein Umgehungstatbestand. Deshalb hat der Präsident des Bundeskartellamtes auch noch 2021 zu Recht erklärt, dass man sich Leipzig noch einmal genau anschauen sollte. RB Leipzig genießt alle Vorteile der Ausnahmeclubs, fliegt aber unter dem Radar. Und diese Clubs können die genannten Vorteile weiter nutzen – mit den erwähnten sehr marginalen Veränderungen. Der DFL-Vorschlag sagt ja nur, dass zukünftig keine weiteren Ausnahmen mehr zugelassen werden. Die Ausnahmeclubs konnten über 20 Jahre mehr Eigenkapital einwerben, in den Sport investieren und durch sportlichen Erfolg mehr Geld aus den Töpfen der Medienerlöse erhalten. Dass keiner der genannten Clubs jemals aus der Bundesliga abgestiegen ist, sei nur am Rande erwähnt.

Nochmals. Für die genannten Clubs ändert der Vorschlag auch zukünftig nichts.

Rettig: Die Ausnahmeclubs profitieren weiter. Einzig die Tatsache, dass keine neuen Ausnahmen mehr zugelassen werden sollen, ist ein erkennbarer Fortschritt. Eine Verbesserung der Integrität des Wettbewerbes kann ich aber nicht erkennen. Zudem wird jetzt gewissermaßen die Ausnahme legitimiert. Und da zukünftig keine Ausnahmen mehr zugelassen werden, ergibt sich sogar noch ein Vorteil, dass jetzt die Türe geschlossen ist – was natürlich zu begrüßen ist.

Der Vorschlag reklamiert für die Zukunft aber verstärkte Mitspracherechte der Clubmitglieder in ausgegliederten Kapitalgesellschaften.

Rettig: Dabei handelt es sich aber zum einen um Minderheitsstimmrechte, anders als bei 50+1, wo der Verein immer die Mehrheit besitzt. Zum anderen bezieht sich das zukünftig eingeräumte Vetorecht auf Selbstverständlichkeiten wie der Umbenennung des Vereinsnamens oder der Verlegung des Vereinssitzes. Großartig (lacht).

Stehen Sie mit Ihrer nachvollziehbaren Kritik eigentlich allein?

Rettig: Ich hoffe nicht, dass ich allein stehe. Ich vertraue auf die ausstehenden Gespräche der beigeladenen Clubs mit dem Bundeskartellamt.

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