Österreich - SPÖ und FPÖ mit Misstrauensantrag gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz erfolgreich

„Zügelloser Griff“ zur Macht

Von 
Adelheid Wölfl
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War nur kurze Zeit im Amt: der 32-jährige österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz. © dpa

Wien. Sebastian Kurz war nur ziemlich kurz Kanzler. Am Montag verlor er durch einen Misstrauensantrag der SPÖ im Nationalrat gegen die gesamte Regierung sein Amt. Der von der SPÖ eingebrachte Misstrauensantrag wurde von der FPÖ und der Liste Jetzt unterstützt und hatte damit die Mehrheit der 183 Parlamentarier hinter sich. „Die Macht geht vom Volke aus“, dozierte die SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner bei ihrer Begründung für den Misstrauensantrag der SPÖ. Rendi-Wagner diagnostizierte einen „zügellosen Griff“ zur Macht bei Kurz.

Sie kritisierte außerdem, dass der junge Kanzler nicht in der Lage war, vorher abzuklären, ob die neue Bundesregierung aus den alten ÖVP-Ministern und ein paar Experten, die die FPÖ ersetzten, überhaupt eine Mehrheit vom Parlament habe oder nicht. Sie bekrittelte die „mangelnde Dialogbereitschaft“ des erfolgreichen ÖVP-Chefs mit der Opposition. „Sie stellen das Ich vor das Wir“, sagte sie. Kurz sah die Ärztin bei ihrer Rede von der Seite aus an, so als würde er etwas Unverständliches betrachten.

Tatsächlich gab es bereits in den vergangenen Tagen Kritik an Rendi-Wagner, weil sie den Misstrauensantrag nicht mit konkreten Forderungen verbunden hatte – etwa der Rücknahme des Zwölfstundentags oder der Einführung des Rauchverbots. Rendi-Wagner wird ein Mangel an Durchsetzungskraft bescheinigt, andererseits hat sie es auch innerparteilich sehr schwer, denn der rechte Flügel möchte lieber den burgenländischen Landeshauptmann (Ministerpräsident) Hans Peter Doskozil an der Spitze der Roten sehen.

Dank für die Zusammenarbeit

Kurz spielte am Montag wieder einmal den ruhigen Staatsmann, der Vertrauenswürdigkeit, Redlichkeit und Stabilität verkörpern will. Wie schon in den vergangenen Tagen nutzte er seinen Auftritt für Wahlkampfreden und lobte die Arbeit der Bundesregierung. Auffällig war seine Höflichkeit – er bedankte sich für die Zusammenarbeit bei der FPÖ, kritisierte aber die „Ideen von Machtmissbrauch“ und den „Umgang mit Steuermitteln“, die durch das Ibiza-Video bekannt wurden.

Sebastian Kurz – ganz der opferbereite, brave Schwiegersohn der Nation – sagte, er habe sogar Verständnis dafür, wenn man ihn aus wahltaktischen Gründen als Kanzler absetze, aber doch nicht gleich die gesamte Regierung. Der ehemalige Innenminister Herbert Kickl, der auf Antrag von Kurz vor ein paar Tagen abgesetzt worden war, sagte, dass die FPÖ nun „ein ganz anderes Gesichts des Bundeskanzlers“ erlebt habe.

Kurz habe die schwierige Phase der FPÖ ausgenutzt, um seinen eigenen Machtbereich zu erweitern. Es sei ihm nur um das Innenministerium gegangen, weil die ÖVP ihre alte Machtachse wieder habe herstellen wollen, nachdem in der Zwischenzeit die FPÖ das Innenministerium innehatte.

Offen ist, wer nun Österreich in der EU vertreten wird. Am Dienstag findet ein Sondergipfel in Brüssel statt, bei dem es um zentrale Personalentscheidungen geht. Aus der FPÖ hieß es, dass es keine ausgehandelte Einigung für eine Übergangskoalition mit der SPÖ gebe. Entscheidend ist, wie eine Mehrheit im Parlament für die Übergangsregierung zustande kommen kann.

Der 32-jährige Wiener Kurz war erst am 18. Dezember 2017 Kanzler geworden. Allerdings ist es höchstwahrscheinlich, dass er im Herbst wieder Bundeskanzler wird – vor allem angesichts des enormen Erfolgs der ÖVP bei der EU-Wahl und seiner Popularität.

Spur zu deutschem Verein?

Derweilen ging die Aufklärung rund um die Urheberschaft des Ibiza-Videos weiter. Laut Recherchen des Medienportals „EU Infothek“ und der „Kronen Zeitung“ soll ein deutscher Verein den Herstellern des Videos – einem Anwalt, einem Detektiv und zwei Sicherheitsexperten – 600 000 Euro in Krügerrand-Goldmünzen bezahlt haben. Die Hersteller des Videos hätten auch gute Geheimdienstkontakte. Der im Video gezeigte Ex-FPÖ-Chef Heinz Christian Strache bekam übrigens bei der EU-Wahl 33 500 Vorzugsstimmen. Damit könnte er über ein Direktmandat ins Parlament in Brüssel einziehen.

  • Im deutschen Grundgesetz ist festgeschrieben, dass der Bundestag im Zuge eines Misstrauensvotums zugleich einen neuen Kanzler bestimmen muss. Mit diesem „konstruktiven Misstrauensvotum“ sollten instabile Zustände verhindert werden.
  • In Österreich ist die Rechtslage ähnlich wie in der Weimarer Republik. Das Parlament kann dem Kanzler das Vertrauen entziehen, ohne sich auf einen Nachfolger zu einigen.
  • Wie jetzt in Österreich Kanzler Sebastian Kurz hatten sich in der Vergangenheit auch in Deutschland zwei Bundeskanzler im Parlament einem Misstrauensvotum zu stellen:
  • 27. April 1972: Die oppositionelle Union sieht die Chance auf einen Sturz Willy Brandts (SPD), weil es wegen dessen Ostpolitik in der sozialliberalen Koalition rumort. Doch scheitert die Wahl des CDU-Politikers Rainer Barzel zum Kanzler an zwei Stimmen. Stasi-Akten legen nach der Wende den Verdacht nahe, dass zwei Stimmen gekauft wurden.
  • 1. Oktober 1982: Der Misstrauensantrag von CDU/CSU ist erfolgreich. Helmut Schmidts SPD/FDP-Regierung zerbricht wegen Differenzen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Die FDP wechselt das Lager zur Union und wählt Kohl zum Kanzler. dpa

Korrespondent

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