Europäische Union

Zeitenwende für Autoverkehr

Ab 2035 müssen Neuwagen emissionsfrei sein. Wie lange dürfen Verbrenner noch fahren?

Von 
Christian Kerl
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Für Neuwagen, die im Betrieb Treibhausgase ausstoßen, ist in der EU bald Schluss. © Oliver Berg/dpa

Brüssel. Es ist eine historische Zäsur für den Autoverkehr in Deutschland und Europa: Ab 2035 dürfen in der Europäischen Union nur noch Neuwagen zugelassen werden, die kein klimaschädliches Kohlendioxid ausstoßen – sehr wahrscheinlich ist damit das Aus für Benzin- und Dieselmotoren in Europa eingeläutet, de facto kommt der Zwang zum Elektroauto. Auf ein entsprechendes EU-Gesetz einigten sich Unterhändler des EU-Parlaments und der EU-Mitgliedstaaten in Brüssel. Die-deutsche Autoindustrie ist besorgt.

Entwarnung für Gebrauchtwagen: Die Neuregelung gilt für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge (bis zu 3,5 Tonnen), nicht für Lastwagen. Und auch nicht für Fahrzeuge, die vor 2035 zugelassen werden – wer also 2034 noch einen neuen Benziner oder Diesel anmeldet, kann ihn weiterhin und, nach absehbarer Rechtslage, unbegrenzt lange fahren, wie beteiligte Fachleute in Brüssel und Berlin am Freitag versicherten. Allerdings dürfte der Wiederverkaufswert rasch sinken.

Die EU-Kommission geht davon aus, dass Pkw im Durchschnitt rund 15 Jahre lang auf europäischen Straßen unterwegs sind, die letzten Verbrenner also etwa bis 2050. Das ist nicht zufällig das Jahr, ab dem laut einem EU-Gesetz das gesamte vereinte Europa klimaneutral sein soll. Das Verbot bezieht sich auch nur auf Neuzulassungen in der EU, mindestens für den Export könnte die deutsche Autoindustrie also weiter Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor herstellen. Doch wird damit gerechnet, dass die Autobauer sich sehr schnell auf den Absatz von E-Autos konzentrieren.

Das soll künftig gelten: Schon bis zum Jahr 2030 muss der CO2-Ausstoß von neu zugelassenen Pkw um 55 Prozent im Vergleich zum Niveau von 2021 gesenkt werden. Ab 2035 gilt, dass neue Fahrzeuge gar keine Klimagase mehr ausstoßen dürfen, was nach jetzigem Stand wirtschaftlich nur mit Elektroautos zu erreichen ist. Zur Beruhigung von Kritikern sind in den Verhandlungen noch leichte Einschränkungen vereinbart worden: 2026 soll noch einmal überprüft werden, ob das Emissionsverbot bis 2035 umsetzbar ist, etwa mit Blick auf die Ladesäulen.

Zudem wird die Kommission jenseits des eigentlichen Gesetzestextes auch um einen Vorschlag gebeten, wie Autos mit Verbrennungsmotor, die ausschließlich mit CO2-neutralem Treibstoff (E-Fuels) betrieben werden, zugelassen werden könnten – aber nur außerhalb des Flottenstandards, was der möglichen Verbreitung enge Grenzen setzt.

Streit um synthetischen Kraftstoff: E-Fuels binden bei der synthetischen Herstellung Treibhausgase und sind damit trotz Verbrennung unterm Strich klimaneutral. Noch ist ihre Herstellung aber sehr teuer und energieintensiv, zudem werden sie in der Schiff- oder Luftfahrt gebraucht. Auch wenn sie absehbar wahrscheinlich allenfalls eine Nischenfunktion haben, fordern Teile der Autoindustrie, die Tür zu dieser Technologie nicht zu verschließen.

Die Bitte an die Kommission um E-Fuel-Vorschläge hatte die Bundesregierung auf Drängen der FDP durchgesetzt. Die Wirksamkeit ist jedoch umstritten: Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) nannte die Klausel „enorm wichtig“ zur Erreichung der Klimaziele. „Im Zusammenhang mit klimaneutraler Mobilität sind viele Fragen offen, deshalb ist es wichtig, sich viele Technologien offenzuhalten“, erklärte Wissing. Unterhändler in Brüssel erklärten aber, die Kommission könne selbst entscheiden, wie sie mit der Bitte umgehe.

Unionspolitiker in Berlin und Brüssel warnten deshalb, die rechtlich unverbindliche Bitte an die Kommission sei praktisch bedeutungslos: „Ab 2035 wird der Verbrennungsmotor verboten und damit endgültig zum Auslaufmodell deklariert“, sagte der CSU-Wirtschaftsexperte im EU-Parlament, Markus Ferber. Damit steuere die Europäische Union ihre zukünftige Verkehrspolitik per Einbahnstraße in die E-Mobilität. Der SPD-Europaabgeordnete Tiemo Wölken nannte synthetische Kraftstoffe einen „Irrweg“ – enorm teuer für die Verbraucher, praktisch nicht verfügbar und nur ein Fünftel so effizient wie Strom-Autos.

Das sagt die Industrie: Doch der Verband der Automobilindustrie (VDA) hegt große Hoffnungen: E-Fuels seien eine wichtige Ergänzung zum schnellen Hochlauf Elektromobilität, ohne solche Kraftstoffe könne die Bestandsflotte gar nicht klimaneutral betrieben werden, sagte VDA-Präsidentin Hildegard Müller. Sie nannte es „fahrlässig“, Ziele für die Zeit nach 2030 festzulegen, ohne später Anpassungen an aktuelle Entwicklungen zu ermöglichen. Müller verwies auf den schleppenden Ausbau der Ladeinfrastruktur und drohende Probleme bei der Versorgung mit Rohstoffen und Strom aus erneuerbaren Quellen.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie nannte den Brüsseler Beschluss „eine folgenschwere Entscheidung“ für die Autohersteller, die vor allem der Zulieferindustrie mit ihren Hunderttausenden Beschäftigten stark zusetze.

Der Beschluss kommt aber auch für die Autoindustrie nicht überraschend, die EU-Kommission hat das Gesetz schon vor einem Jahr vorgeschlagen. Die finale Einigung ist für die Brüsseler Behörde der erste Erfolg bei der Umsetzung eines ehrgeizigen Klimaschutz-Pakets. Die Unterhändler gaben sich große Mühe, die Entscheidung noch rechtzeitig zur Klimakonferenz COP27 Anfang November in Ägypten zu fällen. Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) meinte, die Europäische Union könne nun mit einer glaubhaften Verhandlungsposition zur Klimakonferenz fahren.

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