Das Wichtigste in Kürze
* Der Politikwissenschaftler Thomas König diskutiert ein mögliches AfD-Verbot durch das Bundesverfassungsgericht. * Ein Verbot könnte nach einer Meinung den Populismus nicht wirksam bekämpfen und neue Probleme schaffen. * Die politische Lage beeinflusst die Entscheidungen des Gerichts.
Mannheim. Herr König, die AfD hat Klage gegen ihre Einstufung als gesichert rechtsextremistische Partei durch den Verfassungsschutz eingereicht.
Thomas König: Das war ja zu erwarten. Ob sie damit Erfolg hat, darf bezweifelt werden, da die AfD als populistische Partei gesellschaftliche Gruppen gegeneinander aufhetzt. Allerdings will der Verfassungsschutz die AfD bis zu einer Gerichtsentscheidung über den Eilantrag nicht mehr öffentlich als gesichert rechtsextremistisch bezeichnen. Das ändert aber nichts am Inhalt des Gutachtens.
Die Geheimhaltungspflicht fördert dagegen Verschwörungstheorien, Transparenz das Vertrauen in demokratische Institutionen wie den Verfassungsschutz.
Der Verfassungsschutz hat das Gutachten als geheim eingestuft und will es deshalb nicht veröffentlichen. Was halten Sie denn davon?
König: Gar nichts. Das Gutachten soll doch schließlich ein Signal an die Bürger senden, dass die AfD nachweislich einen rechtsextremistischen Charakter hat, der andere Gruppen aus unserer Gesellschaft aus nationalistisch ethnisch-religiösen Motiven ausschließen möchte. In einer Demokratie sollte jeder die Möglichkeit haben, das nachzulesen und sich die Frage zu stellen, ob das in Ordnung ist. Die Geheimhaltungspflicht fördert dagegen Verschwörungstheorien, Transparenz das Vertrauen in demokratische Institutionen wie den Verfassungsschutz.
Was sind denn die Konsequenzen aus dem Gutachten des Verfassungsschutzes?
König: Der Verfassungsschutz erhält, wenn das Verfahren für ihn positiv ausgeht, bei der geheimdienstlichen Überwachung der AfD einen viel größeren Spielraum. Es stellt sich auch die Frage, ob aus dem Gutachten Konsequenzen für AfD-Mitglieder im Staatsdienst zu ziehen sind. Übersetzt heißt das, ob es einen Radikalenerlass wie in den 1970er Jahren erneut geben soll.
Beamte verpflichten sich, für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintreten. Dass die AfD wegen ihres völkischen Charakters noch auf dem Boden der Verfassung steht, bezweifeln ja viele Experten.
König: Das ist richtig. Aber klar ist auch, dass in einem demokratischen Rechtsstaat ein Berufsverbot nur im Fall einer Einzelfallprüfung erfolgen kann. Und in den 1970er Jahren - Stichwort Radikalenerlass - hat es sich gezeigt, wie sehr das schiefgehen kann beziehungsweise das Vertrauen dadurch in den demokratischen Rechtsstaat verringert wird.
Welche Aussicht auf Erfolg hätte denn ein Verbotsverfahren gegen die AfD?
König: Da Bundesverfassungsgericht würde nach aller Voraussicht das Gutachten als ein Beweismittel für seine Entscheidung verwenden. Ob die Karlsruher Richter die AfD dann verbieten werden, kann niemand mit Gewissheit sagen. Auf dieser ersten Stufe ist auch möglich, dass das Bundesverfassungsgericht kein Verbot aussprechen wird, sondern der AfD nur die Gelbe Karte zeigen könnte. Nach dem Motto: Wenn ihr weiter einen diskriminierenden Populismus betreibt, dann kommt das Gericht um ein Verbot nicht mehr herum. Auf der zweiten Stufe stellt sich allerdings die strategische Frage, ob ein Verbot der AfD wirklich das geeignete Mittel ist, um einen diskriminierenden Populismus à la AfD wirklich zu bekämpfen.
Und?
König: Das Bundesverfassungsgericht wägt in der Regel auch politischen Widerstand und Folgen seiner Urteile ab. Dabei gibt es, wie die politikwissenschaftliche Literatur aufzeigt, eine Faustregel für das Machtgleichgewicht zwischen Politik und Gericht. Je weniger handlungsfähig und geringer die öffentliche Unterstützung der Politik ist, desto weiter geht das Bundesverfassungsgericht mit seinen Urteilen.
Können Sie da mal ein Beispiel nennen?
König: Exemplarisch dafür ist das Urteil über den Haushaltsentwurf der Ampelkoalition, den die Karlsruher Richter 2023 für verfassungswidrig erklärt haben. Das war ein weitreichender Eingriff in die Politik, der auch das Aus der Ampel mitverursacht hat. Aus Sicht unserer Forschung ging das Bundesverfassungsgericht auch nur so weit, weil die Regierungskoalition handlungsunfähig war und kaum noch öffentliche Unterstützung hatte. Wenn man diesen Mechanismus auf den Ausgang eines möglichen Verbotsverfahrens für die AfD überträgt, dann wird sich Karlsruhe allerdings mit einem Verbot eher zurückhalten. Sie stellt im Bundestag die zweitgrößte Fraktion und ist im Osten Deutschlands die stärkste parlamentarische Kraft. Deshalb glaube ich nicht, dass das Bundesverfassungsgericht bei der AfD dieselben Maßstäbe anlegen wird wie bei der NPD, die 2017 nur deshalb nicht verboten wurde, weil sie aufgrund ihres geringen parlamentarischen Stimmenanteils praktisch bedeutungslos war.
Thomas König
Thomas König wurde am 2. Februar 1961 in Münster geboren.
König ist seit 2007 Professor für Politikwissenschaft und Europäische Politik an der Universität Mannheim . Zuvor hatte er eine Professur in Speyer.
Seit 2017 ist Thomas König auch Mitglied in der renommierten Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina . was
Wirklich? Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Bundesverfassungsgericht eine Partei nur deshalb nicht verbietet, weil sie anders als die NPD eine enorm starke Kraft in Deutschland ist.
König: Das Bundesverfassungsgericht wird sich zumindest die Frage stellen, ob ein Parteiverbot erfolgreich für die Bekämpfung eines Populismus sein wird, der aus nationalistisch ethnisch-religiösen Motiven Gruppen in unserer Gesellschaft gegeneinander aufhetzt. Dieses Populismusproblem ist schließlich größer als der Name der AfD. Nach einem Verbot könnte man sogar eine neue Organisation formal gründen, die mit denselben Abgeordneten und Mitgliedern diesen Populismus verfolgt und auch noch eine Verschwörungstheorie propagieren kann, nach der eine Partei wie die AfD, die vorgibt, den nationalistisch ethnisch-religiösen Volkswillen zu repräsentieren, in unserem demokratischen Rechtsstaat verboten wird.
Dann müssten sie sich aber erst einmal wieder in Parlamente wählen lassen. Denn nach einem Verbot fallen ja die Mandate nach Paragraf 46 des Bundeswahlgesetzes weg.
König: So einfach dürfte das nicht werden. Auf Bundesebene trifft das aktuell zu, aber auf Landesebene kann das wiederum anders geregelt sein. Schließlich sagt auch Paragraf 38, dass das freie Mandat der Abgeordneten nicht an ihre Parteizugehörigkeit gebunden ist. Wahrscheinl
ich müsste sich letztlich wieder das Bundesverfassungsgericht mit dem Entzug von Mandaten beschäftigen. Hinzu kommt die Frage, wie zum Beispiel der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte urteilen würde, wenn die AfD gegen ein Verbot in Straßburg klagen würde.
Also einfach abwarten und hoffen, dass die AfD nicht irgendwann die Mehrheit der Stimmen bei der Bundestagswahl bekommt.
König: Dass die AfD an die Regierung kommt, ist doch völlig unrealistisch, auch wenn sie 20, 25 oder 30 Prozent der Wähler mobilisieren kann. Klar ist aber: Die Schwäche der Ampel ...
... und auch die Union als größte Oppositionspartei ...
König: ... diese zwei Faktoren haben die AfD bei der Bundestagswahl enorm gestärkt. Ich setze dennoch große Hoffnungen darin, dass die neue Bundesregierung die AfD wirksam bekämpfen kann.
Naja, Schwarz-Rot hat ja gleich einen Fehlstart hingelegt, weil Friedrich Merz es nicht einmal geschafft hat, im ersten Wahlgang Kanzler zu werden. Ich bin skeptisch, ob es mit dieser Regierung wirklich besser als bei der Ampel läuft.
König: Viele denken wie Sie. Und viele haben Friedrich Merz überhaupt nichts zugetraut und die Berichterstattung war bislang ausschließlich negativ.
Auch die Mehrheit der Deutschen hält Friedrich Merz laut der Umfrage der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen nicht für kanzlertauglich. Es ist nicht immer die böse Presse, die für schlechte Stimmung sorgt.
König: Mag sein. Aber die die neue Bundesregierung ist erst kurz im Amt. Für eine Prognose kann man Stand heute zwei Perspektiven anlegen, die sich nicht ausschließen. Die eine Perspektive ist, dass die Erwartungen an die neue Bundesregierung von Friedrich Merz so gering sind, dass die Koalition nur positiv überraschen kann. Sind die Erwartungen dagegen sehr hoch, wie beispielsweise bei Barack Obama und vielleicht auch Olaf Scholz, dann ist die Enttäuschung wahrscheinlicher. Die andere Perspektive lautet, dass Koalitionen die Art der Partnerschaft im Laufe ihrer gemeinsamen Regierungszeit erlernen. Erlernen sie, dass der andere Partner ausschließlich eigene Interessen verfolgt und vielleicht deshalb Friedrich Merz im ersten Wahlgang nicht gewählt wurde, dann wird ein gemeinsames Regieren schwierig. Warten wir mal die ersten 100 Tage ab.
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