Essay - Der in Mannheim geborene Grünen-Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer erinnert sich an das schwierige Verhältnis seiner Partei zu Helmut Kohl

"Wir stehen europapolitisch auf seinen Schultern"

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Reinhard Bütikofer
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Würdigt Kohl auf persönliche Weise: Reinhard Bütikofer. © Action-Press

Mannheim. Gesprochen habe ich mit Helmut Kohl nie. Aber zeitlebens ist sein Wirken für mich immer präsent gewesen. Es begann in Ludwigshafen: Helmut Kohl wohnte bekanntlich in Oggersheim - ich wuchs drei Jahre in Mundenheim auf. Später begegnete ich Kohls Spuren am Historischen Seminar der Universität Heidelberg und in der Heidelberger Kommunalpolitik. Wenn ich ausländische Freunde an der Weinstraße zu Saumagen animierte, kam jedes Mal das Gespräch auf Helmut Kohl. Ob es Menschen gibt, die mehr für die Erhaltung des wunderbaren Doms in meiner Heimatstadt Speyer getan haben als Helmut Kohl, weiß ich nicht. Sogar im Ausland begegneten mir Zeichen seines Wirkens. Ich erinnere mich, in drei asiatischen Ländern Restaurants gesehen zu haben, die vermerkten, Helmut Kohl habe dort einst gespeist.

Am gegenwärtigsten - auch für Nicht-Pfälzer, die sich oft zu meinem Groll über seinen Dialekt lustig machten - war Helmut Kohl natürlich als dem Beruf der Politik voll und ganz Verfallener. Die Annahme, dass wir Grüne uns gegen Helmut Kohl gegründet hätten, ist zwar falsch - unser antagonistischer Pate war der SPD-Kanzler Helmut Schmidt. Aber Helmut Kohl hätte die Entstehung der Grünen vielleicht verhindern können; hätte er Herbert Gruhl, jenen CDU-Bundestagsabgeordneten, der der Union die Ökologie beibringen wollte, nicht in historisch ignoranter Weise vergrault. Der half dann, die kritische Masse zusammenzubringen, aus der die Grünen hervorgingen.

Vorsichtiger Respekt

Als Joschka Fischer Helmut Kohl 1995, in Erwartung des kommenden rot-grünen Sieges, scharf attackierte, er werde als "drei Zentner fleischgewordene Vergangenheit" in Erinnerung bleiben, da traf er die Meinung vieler Grüner über Kohl. Doch im Satz vorher hatte Fischer dem Kanzler der Einheit attestiert: "Sie sind Geschichte, im guten und im schlechten Sinne." Da klang der Respekt vorsichtig an, der sich gegenüber Helmut Kohl nach seinem Ausscheiden als Bundeskanzler und auch nach seinem Finanzskandal bei etlichen Grünen, mir auch, entwickeln sollte.

Ich hatte 1989/90 bei den Grünen nicht zu denen gehört, die sich vor der Wiedervereinigung fürchteten. Ich erinnere mich, dass ich Kohls Zehn-Punkt-Programm vom November 1989 wegen seiner Kühnheit und Umsicht genauso bewunderte, wie ich später sein Versprechen der blühenden Landschaften für verantwortungslos hielt. In vielen Gesprächen mit den bürgerbewegten Mitgliedern der "Gruppe der 20" aus Dresden konnte ich erleben, wie sehr Helmut Kohl für sie ein unverzichtbarer Pfeiler bei der Errichtung des Gebäudes eines gemeinsamen Deutschland war. "Warum kommt ihr nicht zu uns Grünen", fragte ich diese Freunde, als sie zur CDU gingen. Die Antwort war: "Ihr habt keinen Helmut Kohl." Vom Stuttgarter Landtag aus verfolgte ich, wie die CDU im Sommer 1989 die nächste Bundestagswahl schon fast verloren gegeben hatte, wie Helmut Kohl dann die Bremer Verschwörung von Späth und Geißler niederschlug, wie die Wiedervereinigung ihn machtpolitisch rettete, weil bei SPD und Grünen viele zu diesem historischen Ereignis die richtige Haltung nicht fanden, wodurch sich Rot-Grün ein Jahrzehnt verzögerte.

Hochachtung vor dem Europäer

Im Rückblick habe ich die größte Hochachtung vor dem Europäer Kohl. Er wollte ein europäisches Deutschland und war bereit, dafür sehr viel zu tun. Einmal habe ich, wohl 2012, in einem Interview behauptet, die Grünen stünden inzwischen Kohls Europapolitik näher als Merkel. "Bild" befragte Helmut Kohl dazu. Er nannte das natürlich unwirsch Quatsch. Aber ich bin überzeugt, dass wir europapolitisch auf seinen Schultern stehen. Wie auch auf denen von Brandt und Adenauer. Ich hätte gerne einmal mit dem Historiker Helmut Kohl geredet.

Reinhard Bütikofer

Reinhard Bütikofer wurde 1953 in Mannheim geboren und lebte unter anderem in Speyer und Heidelberg.

Ab 1982 war er bei der Grün-Alternativen Liste (GAL) in Heidelberg tätig.

Von 1988 bis 1996 saß er als Abgeordneter im Landtag von Baden-Württemberg. Von 1997 bis 1999 war er zusammen mit Monika Schnaitmann Landesvorsitzender der Grünen in Baden-Württemberg.

Reinhard Bütikofer ist Co-Vorsitzender der Europäischen Grünen Partei (EGP) und seit 2009 Europaabgeordneter. Von 2002 bis 2008 war er Bundesvorsitzender der Grünen in Deutschland. mpt

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