Biografie - Zwei Journalisten präsentieren aufschlussreiche neue Facetten aus dem Leben der Kanzlerin vor der Wende

Wie viel DDR steckt in Merkel?

Von 
Hans-Dieter Füser
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Unser Bild zeigt Angela Kasner (später Merkel) im Juli 1973 mit 19 Jahren. Nach dem Abitur verbringt sie mit Freunden einen Campingurlaub im brandenburgischen Himmelpfort (damals DDR).

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Berlin/Mannheim. Es ist eine der zentralen Fragen, die schon mehrere Autoren vergeblich zu beantworten suchten: "Wie viel DDR steckt in Angela Merkel?" Ihr am Montag verstorbener Biograf Gerd Langguth hat der Kanzlerin bereits 2005 etwas "Sphinxhaftes" attestiert. Trotz aller medialen Präsenz "sind sich viele, im Osten wie im Westen Deutschlands, in der Beantwortung dieser Frage nicht sicher". Auch das mit viel publizistischem Getöse auf den Markt gebrachte Buch von Ralf Georg Reuth und Günther Lachmann über "Das erste Leben der Angela M." vermag nicht wirklich eine Antwort zu geben. War sie tatsächlich die "Reformkommunistin", für die die Autoren sie halten? Die Fülle an Fakten lenkt immerhin den Blick auf ein Verhaltensmuster, das Merkel bis heute zu prägen scheint.

Lehren aus der Vergangenheit

Gerade in einem Bundestagswahljahr ist die Frage nach dem Erfolgsgeheimnis dieser Kanzlerin von Interesse. Wie schafft sie es, ohne große Visionen und ohne ein erkennbares längerfristiges Konzept durch Krisen wie etwa den Atomausstieg zu lavieren und doch erstaunlich hohe Zustimmungsraten bei den Wählern zu erhalten? Den Schlüssel dafür glauben die Autoren in Merkels Vergangenheit gefunden zu haben. Es sind die DDR-Erfahrungen, die die promovierte Physikerin Merkel gelehrt haben, Probleme aller Art als Gleichung zu betrachten und die unterschiedlichen Variablen auszutarieren - sehen, was geht. Eine starre eigene Position wäre bei dieser Vorgehensweise eher hinderlich. Es wird so lange laviert, bis sich eine Mehrheit in die eine oder andere Richtung abzeichnet.

Als Beispiel dafür kann Merkels Rolle als angebliche "Reformkommunistin" dienen. Die Episode spielt Ende 1989. Die Schriftsteller Christa Wolf und Stefan Heym veröffentlichen zusammen mit anderen Intellektuellen am 29. November dieses Jahres unter einer gewaltigen Medienresonanz den polarisierenden Aufruf "Für unser Land". Darin stellen sie die Bevölkerung vor die Wahl: entweder eine "solidarische Gesellschaft" auf dem Boden der DDR, in der "Friede und soziale Gerechtigkeit" gewährleistet seien, oder "Ausverkauf unserer materiellen und moralischen Werte", "veranlasst durch starke ökonomische Zwänge und durch unzumutbare Bedingungen, an die einflussreiche Kreise aus Wirtschaft und Politik in der Bundesrepublik ihre Hilfe für die DDR knüpfen".

Fünf Tage später reagiert Merkel, die zu dieser Zeit bereits beim "Demokratischen Aufbruch" ist, mit einem offenen Brief an Christa Wolf, weil sie glaubt, dass der Aufruf "dem ohnehin gefährdeten Projekt eines demokratischen Sozialismus schade". Doch zu diesem Zeitpunkt ist der Begriff "Sozialismus", ob reformiert oder nicht, in der DDR zutiefst diskreditiert. Das alles, schreiben Reuth und Lachmann, passe "nicht zu dem von Angela Merkel im Nachhinein gezeichneten Bild von der Orientierung suchenden Wissenschaftlerin".

Ähnliches lässt sich auch über die FDJ-Karriere sagen. Die vielen Belege aus der Schul- und Studienzeit legen nahe, dass sie keineswegs nur eine Mitläuferin war. Seit Jahren gibt es Stimmen, die behaupten, Merkel sei nicht Kulturbeauftragte ihrer FDJ-Gruppe an der Ost-Berliner Akademie der Wissenschaften gewesen, sondern habe sich um Agitation und Propaganda gekümmert. Eigentlich sollte man so etwas auch nach 30 Jahren noch wissen. Doch Merkel erinnert sich nicht.

Nun präsentieren Reuth und Lachmann mit dem damaligen FDJ-Sekretär Gunter Walther einen Zeitzeugen, der sagt: "Angela Merkel war Sekretärin für Agitation und Propaganda." Und die Kanzlerin? Sie reagiert wie schon zuvor ausweichend. Bei einer Veranstaltung der Deutschen Filmakademie in Berlin am Sonntagabend sagte sie: "Ich kann mich da nur auf meine Erinnerung stützen. (...) Wenn sich jetzt etwas anderes ergibt, kann man damit auch leben."

War Merkel also eine Träumerin, die einem reformierten Sozialismus noch lange nachtrauerte? Oder war sie nicht doch eine Suchende - immerhin trat sie dem "Demokratischen Aufbruch" des Theologen Rainer Eppelmann schon im Herbst 1989 bei? Die Antwort muss wohl lauten: Sie war eine Lavierende, die im Rahmen ihres Möglichen am Ende auf das richtige Pferd setzt - ein Verhaltensmuster bis heute. Unter dem Strich bieten die Autoren aufschlussreiche neue Facetten in Merkels Vita, eine radikale Neu-Bewertung machen sie jedoch nicht nötig.

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