Interview

Wie Europa auf Donald Trumps Brachial-Kurs reagieren soll

Nach Ansicht des Mannheimer Politikwissenschaftlers Thomas König soll sich Europa neue Partner suchen. Er macht aber auch einen sehr brisanten Vorschlag.

Von 
Walter Serif
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Machtvakuum: Olaf Scholz (SPD) ist ein Regierungschef auf Abruf, und Friedrich Merz ist noch nicht in Amt und Würden. © Christophe Ena/Pool AP/AP/dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Politikwissenschaftler Thomas König empfiehlt Europa, neue Partner zu suchen.
  • Europa sollte das Mercosur-Abkommen mit Südamerika abschließen.
  • Thomas König sieht finanzielle Herausforderungen für die Verteidigung und Ukraine-Unterstützung.

Mannheim. Die Welt gerät seit dem Amtsantritt Donald Trumps aus den Fugen. Kein Wunder also, dass Union und SPD ihre Sondierungsgespräche vorantreiben. Wie der Mannheimer Politikwissenschaftler Thomas König die Lage einschätzt.

Herr König, die SPD hat mal wieder eine Wahl gewonnen. Glauben Sie, dass sie jetzt nach ihrem Erfolg bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg mit Blick auf die Sondierungsgespräche mit der Union übermütig wird?

Thomas König: Nein, ich glaube eher, dass der Wahlsieg die Verhandlungen erleichtern wird, weil die Sozialdemokraten sich nicht mehr so in die Enge getrieben fühlen wie nach der für sie desaströsen Bundestagswahl eine Woche zuvor.

Die CDU hat dem Wahlsieger Peter Tschentscher auch brav gratuliert.

König: Ja. Union und SPD wollen etwas fürs gute Klima tun, also kein Öl mehr ins Feuer gießen und diese Koalitionsverhandlungen erfolgreich gestalten. Alle Akteure, das hat man am Sonntag gemerkt, sind da jetzt sehr bemüht, deshalb gehe ich davon aus, dass sie die Gespräche professionell führen werden.

Thomas König



Thomas König wurde am 2. Februar 1961 in Münster geboren.

König ist seit 2007 Professor für Politikwissenschaft und Europäische Politik an der Universität Mannheim . Zuvor hatte er eine Professur in Speyer .

Seit 2017 ist Thomas König auch Mitglied in der renommierten Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina . was

Kann sich Deutschland nach Donald Trumps perverser Machtshow im Weißen Haus überhaupt noch so etwas Archaisches wie Koalitionsverhandlungen erlauben?

König: Natürlich. Koalitionsverhandlungen haben ja mehrere Zwecke. Es müssen die Ministerposten aufgeteilt und zumindest ein Fahrplan für eine gemeinsame Koalitionspolitik vereinbart werden. Bei aller Dringlichkeit angesichts der weltpolitischen Lage nützt es nichts, wenn Union und SPD überstürzt handeln und sich dann wieder in der Regierung wie in einer Ehe über ihre gemeinsame Koalitionspolitik entzweien.

Das ändert nichts daran, dass wir ein Machtvakuum haben, weil Kanzler Olaf Scholz nur noch eine lahme Ente ist und Friedrich Merz die Geschehnisse nur am Seitenrand verfolgen kann.

König: Dass es ein Machtvakuum gibt, haben wir ja in der Tat am Sonntag beim Ukraine-Gipfel in London gesehen, als sich die Koalition der Willigen getroffen hat. Scholz hat sich erneut bemüht, zu betonen, dass Deutschland einen großen Beitrag leistet, er stand allerdings beim Gruppenfoto nur in der dritten Reihe. Das deutet darauf hin, dass der Einfluss Deutschlands gegenwärtig als begrenzt angesehen wird.

Können wir aber wirklich mit dem Abschluss der Koalitionsverhandlungen bis Ostern warten?

König: Es ist schon interessant, wie schnell sich die Bewertung zurzeit ändert. Als Merz zuerst Ostern ins Spiel gebracht hat, war das den meisten zu forsch. Jetzt will man, dass es noch schneller geht. Aus der Forschung wissen wir aber, dass Koalitionsverhandlungen normalerweise mehrere Monate dauern. Aber natürlich, wir haben jetzt auch keine normalen Umstände.

Scholz hat sich in der Ukraine-Politik immer eher wie ein Zauderer verhalten, Merz verlangt dagegen schon lange die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine.

König: Womöglich bewerten jetzt alle die Lage anders. Im Nachhinein sagen viele, dass es effektiver gewesen wäre, die Ukraine früher, stärker und entschlossener zu unterstützen. Spätestens seit Sonntag hat sich die Lage für die Ukraine grundsätzlich verändert und man muss daraus die richtigen Schlüsse ziehen. Es geht nicht mehr nur um Taurus oder andere Waffensysteme. Es geht darum, einen Waffenstillstand zu erreichen und um die Frage, welche Rolle ein Teil von Europa dabei übernimmt und welches Verhältnis man zu den USA aufbaut.

Trauen Sie Friedrich Merz zu, dass er das hinkriegt?

König: Naja, in der öffentlichen Wahrnehmung kommt er überhaupt nicht gut weg. Ich kann mich an keine Äußerung von ihm erinnern, die in der Öffentlichkeit nicht negativ aufgenommen wurde.

Aber?

König: Immerhin ist es Merz gelungen, nicht nur die CDU, sondern auch die CSU im Wahlkampf hinter sich zu bringen. Sie wissen ja auch, wie schwierig das in der Vergangenheit mit CSU-Chef Markus Söder war. Von daher sollte man Merz nicht unterschätzen.

Zurück zur Ukraine. Können Sie sich vorstellen, dass ein Waffenstillstand ohne die USA überhaupt zustande kommen kann? Wären die Europäer dazu in der Lage, sie müssten ja vielleicht sogar eigene Friedenstruppen stellen?

König: Zuerst muss man sich doch die Frage stellen, warum die USA eine solche Wende vollzogen haben. Für mich ist die Antwort da klar: Donald Trump will den Hauptgegner der USA isolieren, also China - auch auf Kosten der Ukraine und Europas.

Glauben Sie wirklich, dass die USA Chinas Verbündeten Russland auf ihre Seite ziehen können, wenn sie dafür die Ukraine opfern?

König: Der Feind deines Feindes ist dein Freund. Auf dieser Grundlage haben sich nicht nur China und Russland während des Ukraine-Kriegs angenähert und dem Westen unter Führung der USA eine Mitverantwortung für den Krieg in der Ukraine beigemessen. Mit Indien, Brasilien und Südafrika hat sich die sogenannte BRICS-Gruppe dieser Meinung angeschlossen, der sich auch die Türkei anschließen wollte. Die USA versuchen nun durch Freundschaft mit Putin, die „Feind-Feind-Freund“ Logik zu durchbrechen. Aber mit Blick auf diese Logik müssen sich die Europäer fragen, welche Rolle sie gegenüber den USA einnehmen wollen.

Welche denn?

König: Was ist Europa in den Augen Donald Trumps, der eine Sicherheitspolitik zugunsten einer amerikanischen Wirtschaftspolitik auf Kosten von Freunden betreibt? Wie reagieren wir, wenn Trump wie angekündigt die europäische Wirtschaft mit hohen Zöllen bedroht, von denen Deutschland mit seiner Exportwirtschaft besonders betroffen wäre? Müssen wir uns nicht neue Freunde suchen? Meiner Meinung nach sollten wir zum Beispiel schleunigst das Mercosur-Freihandelsabkommen mit den südamerikanischen Staaten unter Dach und Fach bringen.

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Warum?

König: Für unsere Exportwirtschaft würde ein zollfreier Markt mit mehr als 700 Millionen Menschen entstehen. Auch mit Indien und Asien müssen solche Abkommen geschlossen werden, die vielleicht das R für Russland in der BRICS-Gruppe durch ein E für Europa ersetzen. Trump würde dann vielleicht überlegen, ob sich für die USA eine Feindschaft gegen den weltweit größten Markt auszahlt.

Europa muss aber auch viel Geld in die Verteidigung stecken und wahrscheinlich die Ukraine stärker finanziell unterstützen, wenn die USA nicht mehr zahlen.

König: Klar, die sicherheitspolitische Debatte läuft ja schon. Ich habe den Eindruck, dass es in Deutschland auf ein neues Sondervermögen hinauslaufen könnte, das der alte Bundestag noch beschließen könnte.

Die Linke hat dagegen Klage vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt.

König: Das ist ihr gutes Recht. Ich glaube allerdings nicht, dass die Karlsruher Richter die gegenwärtige sicherheitspolitische Lage ignorieren und das Sondervermögen kippen würden.

Im Gespräch sind da ja gigantische Summen.

König: Das ist richtig. Man könnte natürlich auch das von der EU beschlagnahmte Russland-Vermögen für die Unterstützung der Ukraine einsetzen. Wir reden hier immerhin von rund 300 Milliarden Euro.

Es gibt Stimmen, dass dies internationales Recht brechen würde und unabsehbare Folgen für das Vertrauen in die Finanzmärkte hätte.

König: In erster Linie hat doch Russland das internationale Recht gebrochen, des Weiteren scheinen die Finanzmärkte auch nicht darauf zu reagieren, wenn die USA internationales Recht ignorieren. Aber am Ende haben Finanzmärkte Vertrauen in eine starke Wirtschaft, über die man die Sicherheitspolitik finanzieren kann.

Russland könnte europäische Firmen enteignen.

König: Wer dort noch tätig ist, handelt nach meiner Ansicht auf eigenes Risiko.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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