Khartum/Berlin. Ein Ruf der Verzweiflung, mitten aus der sudanesischen Hauptstadt Khartum. Eine 44-jährige Frau sitzt mit ihrer Familie fest. Sie ist eine deutsche Staatsangehörige, die aus Sicherheitsgründen ihren Namen nicht sagen will. Mit dabei sind ihr griechischer Mann und ihre neun- und zwölfjährigen Töchter. Die Frau arbeitet in einer internationalen Schule im Zentrum von Khartum, nur wenige Hundert Meter von der strategisch wichtigen Al-Mek-Nimir-Brücke entfernt, in Reichweite des Präsidentenpalastes. „Seit die Kämpfe vor zehn Tagen losgegangen sind, sitzen wir hier auf dem Gelände der Gemeinde fest“, sagt die Frau im Gespräch per Whatsapp mit unserer Redaktion.
Es sei sehr unsicher, hinauszugehen, betont sie. Selbst auf den Hof könne sie nicht gehen. Man höre permanent Maschinengewehrfeuer. „Wir haben ein riesiges Flugabwehrgerät direkt hinter unserem Compound stehen. Von der anderen Seite des Flusses schmeißen sie Raketen zu uns rüber.“ Es sei unmöglich, mit dem Auto den Gebäudekomplex zu verlassen.
Widersprüchliche Anweisungen
Genau das haben die zuständigen Botschaften in Khartum von den ausharrenden Menschen gefordert. „Das Problem ist, dass wir sehr widersprüchliche Anweisungen von unseren Botschaften bekommen.“ Anfangs sei gesagt worden, dass sie sich auf keinen Fall bewegen sollten, bis Hilfe geschickt werde. „Gestern hieß es dann plötzlich innerhalb von zehn Minuten: Setzt euch in die Autos, der Weg ist frei, ihr seid sicher: Seht zu, dass ihr zur französischen Botschaft kommt, es wird euch unterwegs nichts passieren.“ Nach nur 600 Metern sei jedoch das Feuer auf die Insassen eröffnet worden. Die Familie sei daraufhin zurückgekehrt.
Die Evakuierung von deutschen Staatsbürgern aus dem afrikanischen Bürgerkriegsland Sudan wird zu einem Wettlauf gegen die Zeit. Bis Montag hatte die Bundesluftwaffe 311 Menschen aus dem Sudan ausgeflogen – gut die Hälfte davon seien Deutsche, hieß es im Verteidigungsministerium. Am Montagmorgen kam die erste von drei Maschinen, ein Airbus A321, in Berlin an. Sie war zunächst zur jordanischen Luftwaffenbasis Al Azrak geflogen.
Mehr als 300 Deutsche hätten sich im Sudan in einer sogenannten Krisen-Vorsorgeliste registriert, teilte die Bundesregierung mit. „Wir planen natürlich, diese Evakuierung heute noch fortzusetzen“, betonte ein Sprecher des Außenministeriums am Montag. Dies hänge aber „ganz entscheidend von der Sicherheitslage vor Ort ab“. Die Bundesregierung blicke „mit Sorge auf die Lage“, ergänzte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums. Im Sudan waren vor knapp zwei Wochen schwere Kämpfe zwischen dem Militär und paramilitärischen Milizen des Landes am Horn Afrikas ausgebrochen. De-facto-Präsident Abdel Fattah al-Burhan, der auch Oberbefehlshaber der Armee ist, kämpft mit dem Militär gegen seinen Stellvertreter Mohammed Hamdan Daglo, den Anführer der mächtigen paramilitärischen Gruppe Rapid Support Forces (RSF).
Nach Angaben der Apothekerin Rawda ist die Lage in Khartum äußerst angespannt. „In der ganzen Stadt finden Kämpfe statt“, sagte sie unserer Redaktion. „Überall wird mit schweren Waffen geschossen. Viele Menschen haben ihr Leben verloren“, fügte sie hinzu. „Die Straßen sind nicht sicher. Wir sind in unseren Keller geflüchtet.“
Die Bundesregierung hatte sich in der Nacht zum Sonntag zur Evakuierungsmission entschlossen, da die Kämpfe zunächst etwas abgeflaut waren. Beide Konfliktparteien hatten für die Eid-al-Fitr-Feierlichkeiten zum Ende des muslimischen Fastenmonats Ramadan seit Freitagabend eine Feuerpause vereinbart. Diese wurde aber nur teilweise eingehalten und sollte am Montagabend zu Ende gehen.
Für die Evakuierungsmission der deutschen Staatsbürger hat das Auswärtige Amt die Federführung. Die drei Bundeswehrmaschinen landeten nicht im umkämpften Flughafen der sudanesischen Hauptstadt Khartum, sondern in einem nahe gelegenen kleineren Airport. Die Deutschen wurden zuvor per Telefon, SMS oder Email vom AA informiert, wo und wann sie am Flughafen eintreffen sollen. Die Fahrt zum Airport müsse jeder privat organisieren, unterstrich die Bundesregierung.
Täglicher „Landsleutebrief“
Zuvor mussten sich die Deutschen in sogenannte Krisen-Vorsorgelisten eintragen. In dieser elektronischen Erfassung von Deutschen im Ausland (ELEFAND) werden Daten wie Email-Adresse, Telefon-, Handy- oder Whatsapp-Nummern gespeichert. Im derzeitigen Krisenfall verschickt das Auswärtige Amt einmal pro Tag einen sogenannten „Landsleutebrief“ per Email. Darin werden Informationen zur Evakuierung und zur Sicherheitslage gegeben und Vorsichtsmaßnahmen aufgelistet. Am Flughafen prüfen Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Khartum, ob die Dokumente der deutschen Staatsbürger mit den Daten der Listen übereinstimmen.
Bei der Mission in Khartum waren auch deutsche Soldaten im Einsatz. „Wir sprechen von einer dreistelligen Zahl“, sagte ein Sprecher des Einsatzführungskommandos unserer Redaktion. Kern der Mission seien Fallschirmjäger aus der Heeres-Division „Schnelle Kräfte“, die im Saarland stationiert seien. Die Luftwaffe stelle die Flugzeuge samt Personal, hinzu kämen weitere Kräfte wie zum Beispiel Logistiker oder Kampfmittel-Spezialisten.
Die Bundeswehr flog auch Menschen anderer Staaten aus Khartum aus. Nach einer vorläufigen Liste waren unter den 311 Evakuierten der ersten drei Flüge 42 Niederländer und mehr als 15 Österreicher. Zudem wurde Staatsangehörige aus der Ukraine, Australien, Bulgarien, Großbritannien, Belgien, Norwegen, Tschechien, Irland, Schweden und Portugal ausgeflogen.
Die deutsche Frau mitten in Khartum weiß nicht, wie sie es zum Flughafen schaffen soll. Am Sonntag habe es in der Nähe des Fahrzeugs Einschläge gegeben. „Den Geräuschen nach denke ich, dass der Wagen kaputt ist“, sagt die Frau. Darüber hinaus gebe es keinen Strom. Auch der Diesel für den Generator werde knapp.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/politik_artikel,-politik-wettlauf-gegen-die-zeit-_arid,2076724.html