Kabul. „Ich habe meinen Bruder verloren, ich habe meine Freunde verloren, ich habe meine Verwandten verloren. Ich werde in meinem Leben nie wieder glücklich sein“, sagt Mirwais, der Bräutigam, im afghanischen Fernsehen. Seine Hochzeitsfeier in der gläsernen Dubai City Wedding Hall im Westen der afghanischen Hauptstadt Kabul endete am Samstag in einem Blutbad. Ein Selbstmordattentäter sprengte sich inmitten der großen Hochzeitsgesellschaft in die Luft, als Musiker gerade auf der Bühne im voll besetzten Saal auftraten: Mindestens 63 Menschen starben, mehr als 180 wurden verwundet. Unter den Opfern sind viele Frauen und Kinder.
Allgemeine Unsicherheit
Die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS), der sich in Afghanistan „Daesh“ nennt, bekannte sich zu dem Anschlag. Die Gegend um den Veranstaltungsort ist mehrheitlich von Schiiten bewohnt, die in Afghanistan eine religiöse Minderheit sind und in der Vergangenheit bereits das Ziel von Terrorattentaten des IS waren. Nach Aussagen von Augenzeugen war auch die Hochzeitsgesellschaft schiitisch.
Afghanistans Präsident Aschraf Ghani bezeichnete den Anschlag als „unmenschlich“ und erklärte, auch die aufständischen Taliban könnten sich nicht aus der Verantwortung ziehen, da sie eine „Plattform für Terroristen“ bieten würden.
Der Seitenhieb von Ghani auf die Taliban kommt zu einer Zeit der allgemeinen Unsicherheit über die Zukunft des Landes. Ein historisches Abkommen zwischen den Taliban und den USA über Frieden soll offenbar kurz vor der Unterzeichnung steht. Im Wüstenemirat Katar ist gerade eine weitere Verhandlungsrunde zwischen den beiden Konfliktparteien zu Ende gegangen. Die USA suchen fieberhaft ein Ende des fast 18-jährigen Konfliktes. US-Präsident Donald Trump will sich im US-Wahlkampf 2020 damit brüsten, den Afghanistan-Krieg beendet zu haben. Amerika stehe kurz vor einem „Deal“, sagte Trump am Samstag.
Angesichts des engen Zeitfensters wächst die Angst in Afghanistan vor einem überstürzten Ausstieg der USA und einer Rückkehr der Schreckensherrschaft der Taliban. Denn trotz der laufenden Friedensverhandlungen in Katar hat sich die Lage in Afghanistan eher verschlechtert. Weil beide Seiten versuchen, ihre militärische Stärke zu zeigen und so Druck auf die Verhandlungen in Doha auszuüben, haben die Kämpfe am Hindukusch an Intensität zugenommen. Mehr als ein Drittel der 3812 zivilen Todesopfer im Vorjahr waren Kinder.
Am Ende soll in der katarischen Hauptstadt Doha eine Vereinbarung stehen, in der sich die Taliban verpflichten, nach dem Abzug der amerikanischen Soldaten vom Hindukusch Terrororganisation wie Al Qaida keine Rückzugsbasis zu bieten. Der 2010 getötete Al-Qaida-Führer Osama bin Laden hielt sich auf Einladung der Aufständischen zwischen 1996 und 2002 im afghanischen Kandahar auf.
Doch ein möglicher Friedensplan zwischen den Taliban und den USA schließt Terrorgruppen wie den „IS“ und andere Islamisten nicht ein. Auch wird die angestrebte Vereinbarung keine Einigung darüber erhalten, ob die Taliban und die afghanische Regierung künftig koexistieren werden und ob beide die Waffen niederlegen. Die Taliban weigern sich, offiziell mit der Regierung in Kabul zu verhandeln, solange die Amerikaner auf afghanischen Boden sind. Diese Haltung sorgt viele in Afghanistan, die glauben, das hart erkämpfte Errungenschaften wie Menschenrechte, insbesondere Frauenrechte, geopfert werden.
Hochzeiten in Afghanistan
- Hochzeiten werden in Afghanistan groß gefeiert: mehr als 400 Gäste sind nicht ungewöhnlich. Reiche Familien laden zwischen 1500 und 2000 Leute ein.
- Im Zentrum von Kabul sind nach dem Sturz der Taliban 2001 zahlreiche „Hochzeitspaläste“ entstanden, die große Räumlichkeiten für solche oft mehrtägigen Feiern anbieten.
- Während des Taliban-Regimes in den 1990er Jahren waren opulente Hochzeitsfeiern verboten. Es gab weder Musik noch Tanz und Frauen und Männer mussten zudem streng getrennt feiern.
- Nun befürchten viele Afghanen eine Rückkehr in alte Zeiten.
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