Berlin. Die Union spricht nüchtern von einem „vertretbaren Ergebnis“, die SPD geradezu euphorisch von einem „sozialpolitischen Meilenstein“. Schon die Wortwahl zeigt, dass der größere Koalitionspartner dem kleineren bei der Einführung einer Grundrente weit entgegengekommen ist. Nach der vom Koalitionsausschuss getroffenen Vereinbarung sind allerdings auch noch wichtige Fragen offen.
Wie profitiert von der Grundrente?
Nach den Worten von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sollen von der Grundrente 1,2 bis 1,5 Millionen Menschen mit geringen Einkommen profitieren. Davon 80 Prozent Frauen. Grundrente soll grundsätzlich erhalten, wer mindestens 35 Beitragsjahre vorweisen kann. Die genaue Zahl der Begünstigten ist aber deshalb noch unklar, weil hier eine „kurze Gleitphase“ geplant ist. Das heißt: Auch wer weniger als 35 Beitragsjahre hat, kann mit mehr Rente rechnen, aber mit Abschlägen. Wie hoch die Abschläge sind und wann die Gleitphase beginnt, ist Gegenstand weiterer Verhandlungen. Die Union hat allerdings durchgesetzt, dass die Grundrente maximal 1,5 Milliarden Euro pro Jahr kosten darf. Damit sind die Spielräume für die „Gleitzone“ sehr begrenzt.
Wie genau berechnet sich die Leistung?
Anspruch auf Grundrente bekommt, wer im Schnitt zwischen 30 und 80 Prozent des Durchschnittseinkommens aller Arbeitnehmer verdient hat. Menschen, die immer nur einem Minijob nachgingen, sind damit außen vor. Grundlage für die Berechnung sind die sogenannten Entgeltpunkte, die aufgrund der Beiträge während des gesamten Arbeitslebens erworben wurden. Ermittelt wird die individuelle Grundrente durch eine Höherbewertung der tatsächlich erzielten Rentenansprüche gepaart mit einem Abschlag. Eine Friseurin, die 40 Jahre auf dem Niveau von 40 Prozent des Durchschnittslohns in Vollzeit gearbeitet hat, kommt laut Arbeitsministerium dadurch in Zukunft auf eine monatliche Rente von insgesamt 933,66 Euro. Das sind rund 405 Euro mehr, als sie jetzt an Rente hat.
Wie erfolgt der Zugang zur Grundrente?
Durch eine Einkommensprüfung. Darunter fallen neben der Rente auch Kapitaleinkünfte oder Mieteinnahmen. Die Vermögensverhältnisse bleiben unberührt. Hier hat sich die SPD weitgehend durchgesetzt, denn die Union wollte ursprünglich eine umfassende Bedürftigkeitsprüfung. Ein Alleinstehender bekommt die Grundrente, wenn sein zu versteuerndes Einkommen unter 1250 Euro im Monat liegt. Für Paare gilt ein Freibetrag von 1950 Euro. Analog zu den Beitragsjahren soll es auch beim Freibetrag eine „Gleitzone“ geben, um „harte Abbruchkanten“ zu vermeiden. Die Details sind ebenfalls noch offen.
Was gilt für Bezieher von Grundsicherung?
Wer nur eine Mini-Rente hat und deshalb auch noch Grundsicherung im Alter (Hartz IV) bezieht, erhält ebenfalls einen Freibetrag. Bislang wird die Rente voll mit der Stütze verrechnet. Künftig soll gelten: Die ersten 100 Euro eigene Rente kommen oben drauf. Der Betroffene hat also 100 Euro mehr in der Tasche als jetzt. Bei einer höheren Rente sind es bis zu 212 Euro mehr. Ein Freibetrag wird auch für Wohngeldempfänger eingeführt, also jene Menschen, die etwas mehr verdienen und deshalb keinen Anspruch auf Grundsicherung haben. Der Freibetrag sorgt dafür, dass die Rentenerhöhung nicht durch eine Kürzung des Wohngeldes aufgefressen wird.
Wo gibt es noch Fallstricke?
Neben der Ausgestaltung der „Gleitzone“ dürfte auch strittig sein, dass Paare ohne Trauschein in einem gemeinsamen Haushalt von der Grundrente mehr profitieren als Verheiratete, sofern einer der beiden Partner ein gutes Einkommen hat. Denn das spielt bei der Ermittlung der Grundrente für den anderen Partner keine Rolle. Ein weiterer Punkt ist das Vorhaben, den Rentenzuschlag automatisch auszuzahlen, also ohne Antrag. Dafür muss ein Datenaustausch zwischen Finanzämtern und Rentenversicherung aufgebaut werden. Unklar ist, ob das bis 2021 zu stemmen ist. Dann soll die Grundrente in Kraft treten.
Was wurde noch beschlossen?
Zur Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge hat sich die Groko darauf verständigt, Betriebsrenten von Sozialbeitragen zu entlasten. Unter dem Stichwort „Doppelverbeitragung“ sorgt dieses Thema seit Jahren für erhitzte Gemüter. Bisher wird auf Betriebsrenten von bis zu 155,75 Euro im Monat kein Beitrag zur Krankenversicherung fällig. Wer mehr bekommt, zahlt den vollen Beitrag von durchschnittlich 15,5 Prozent für die gesamte Betriebsrente. Künftig soll gelten: Zahlungen bis 155,75 Euro sind immer beitragsfrei. Erst danach wird der volle Satz fällig. Für einmalige Kapitalauszahlungen wird der Beitrag fiktiv über zehn Jahre berechnet. Von dieser Umstellung profitieren alle Betriebsrentner. Je höher die Bezüge, desto geringer ist allerdings der Vorteil.
Welche Alternativen sehen Experten, um die Altersarmut zu bekämpfen?
Hans-Peter Grüner, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Mannheim, hält es für effizienter, Geringverdienern mehr Nettoverdienst vom Bruttogehalt zu lassen. Vor allem Hartz-IV-Empfänger, die dazuverdienen litten unter zu vielen Abzügen. „Weniger Abzüge schaffen höhere Anreize zu arbeiten und erhöhen die Fähigkeit, für das Alter privat vorzusorgen.“
Der nötige Einkommensabgleich soll laut Kompromiss automatisch per Datenaustausch zwischen den Finanzbehörden und der Rentenversicherung erfolgen. Ist das unter Datenschutz-Gesichtspunkten in Ordnung?
„Für den Datenfluss von einer Behörde zur nächsten braucht es eine gesetzliche Grundlage“, betont Stefan Brink, Landesbeauftragter für den Datenschutz in Baden-Württemberg. Und die müsse verfassungskonform sein. Denn immerhin werde mit der geplanten Regelung in ein Grundrecht eingegriffen – hier das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. „Das kann der Gesetzgeber tun, aber er muss dabei bestimmte Regeln einhalten“, betont Brink.
Wie könnte eine datenrechtlich akzeptable Lösung aussehen?
Da gibt es nach Ansicht des Datenschutzexperten zwei Möglichkeiten. So könne man im Vorfeld von Betroffenen eine Einwilligung einholen, etwa fragen, ob sie von der neuen Grundrente profitieren wollten und dafür bereit seien, dass in ihre Daten gesehen werde. Angesichts der Tatsache, dass wohl die meisten Menschen an einer Erhöhung ihrer Rente interessiert sein dürften, bietet sich dem Landesdatenschutzbeauftragtem zufolge außerdem eine Widerspruchslösung an. „Das hielte ich für eine verfassungsrechtlich zulässige Lösung“, sagt Brink. Sein Fazit: „Wenn der Gesetzgeber das ins Gesetz schreibt, dann ist alles gut. Wenn er es nicht macht, dann stellen sich allerdings Fragen.“ Er betont: „Einfach die Leute übergehen, was die Verwendung ihrer Daten betrifft, das geht nicht.“
Zuwachs bei Renten
Die rund 21 Millionen Rentner können sich im kommenden Jahr auf deutlich steigende Bezüge freuen.
Nach einem Entwurf für den Rentenversicherungsbericht 2019 sollen zum 1. Juli 2020 die Renten in Westdeutschland um 3,15 Prozent und in Ostdeutschland um 3,92 Prozent steigen.
Die Rentenerhöhung folgt vor allem der Lohnentwicklung, die ihre Basis in der konjunkturellen Lage hat. dpa
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