Konflikte

Was hat die Türkei in den syrischen Kurdengebieten vor?

Seit dem Sturz Assads gilt die Position Ankaras in Syrien als gestärkt. Viele gehen davon aus, dass sich das zum Nachteil der kurdischen Milizen im Land auswirkt

Von 
Anne Pollmann, Johannes Sadek, Weedah Hamzah
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Kurden in Brüssel sorgen sich um ihre Landsleute in der autonomen Region Rojava in Nordsyrien. Sie fürchten einen Angriff der Türkei. © Wiktor Dabkowski/ZUMA Press Wire/dpa

Damaskus/Istanbul. Auch mehr als eine Woche nach dem Umsturz bleibt die Situation in Syrien unübersichtlich. Im Norden fürchten die Kurden einen großangelegten Angriff durch die Türkei und von ihr unterstützten islamistischen Milizen. Die Konsequenzen einer solchen Eskalation könnten bis nach Europa reichen.

Was sind die Kurdengebiete?

Als Kurdengebiete werden autonom regierte Teile im Norden Syriens bezeichnet, die unter der Kontrolle der sogenannte SDF stehen. Die SDF ist ein Zusammenschluss verschiedener Gruppen unter Führung der syrischen Kurdenmiliz YPG. Die an die Türkei grenzende Region wird von Kurden, aber etwa auch von arabischer Bevölkerung bewohnt. Im Konflikt in Syrien wollen die Kurden vor allem ihre selbstverwalteten Gebiete im Nordosten erhalten und haben erklärt, mit einer neuen Regierung in Damaskus zusammenarbeiten zu wollen. Sie zählen zu einer der weltweit größten Volksgruppen ohne eigenen Staat.

Was passiert derzeit in den Kurdengebieten?

Seit dem Sturz von Machthaber Baschar al-Assad haben von der Türkei unterstützte islamistische Rebellen –die Syrische Nationale Armee (SNA) – ihre Angriffe auf die Gebiete unter kurdischer Kontrolle ausgeweitet und strategisch wichtige Gebietsgewinne gemacht. Die YPG befürchtet, Ankara könne bald Bodentruppen schicken. Es werde erwartet, dass die Türkei Truppen und Türkei-nahe Milizen in die syrisch-kurdische Grenzstadt Kobane schicken werde, teilten die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte und die kurdisch angeführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) mit. Ein SDF-Sprecher sagte, die Türkei habe umfassende militärische Verstärkung geschickt. Kurdischen Quellen zufolge will die Türkei versuchen, in der Gegend eine Militärbasis aufzubauen und die Städte Kobane und Rakka einzunehmen.

Was will die Türkei?

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Jan Jessen
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Die Türkei begründet ihr Vorgehen mit dem Kampf gegen „Terror“ in Nordsyrien. Ankara sieht die YPG als Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, die seit Jahren gegen den türkischen Staat kämpft. Die Türkei hält als Konsequenz mehrerer Offensiven in Syrien bereits grenznahe Gebiete besetzt. Beobachter sagen, eine kurdische autonome Region in Nordsyrien könne aus Sicht der türkischen Regierung die Gefahr bergen, separatistische Bestrebungen in der eigenen kurdischen Bevölkerung zu verstärken.

Welche Folgen könnte ein Angriff der Türkei haben?

Wie bei vergangenen Offensiven der Türkei in Nordsyrien könnten erneut Hunderttausende vertrieben werden. Amnesty International warf der Türkei vor, das Leben von Zivilisten missachtet und auch Ziele in Wohngebieten schwer angegriffen zu haben. Bereits jetzt wurden in Nordsyrien 100 000 Menschen durch die Angriffe der SNA seit dem Umsturz vertrieben. Der Konflikt zwischen den Türkei-nahen Milizen und den SDF spitzt sich derzeit weiter zu, nachdem eine Waffenruhe zwischen beiden Seiten ausgelaufen ist.

Neben der generellen Sorge um neu aufflammende Kämpfe im Land, fürchten Beobachter, dass eine Schwächung der kurdischen Milizen im Umkehrschluss eine Stärkung des IS in Syrien zur Folge haben könnte. Die freie Journalistin Kristin Helberg etwa warnte im WDR, Erdogans Vorgehen untergrabe den Einigungsprozess in Syrien.

Was haben die USA damit zu tun?

Die USA unterstützen die Kurden und sehen die SDF als wichtigen Partner im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS). Die Türkei fordert die USA seit Jahren auf, die Unterstützung aufzugeben und unterstellt ihnen, „Terrorismus“ zu finanzieren. Den bevorstehenden Machtwechsel im Weißen Haus könnte die Türkei nun für sich nutzen wollen. Vertreter der kurdischen Selbstverwaltung drängten die künftige Regierung von Donald Trump bereits zum Druck auf den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, wie die dpa aus kurdischen Quellen erfuhr. dpa

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