Berlin. Vor dem Fenster im Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung sehen die Bäume schon im August herbstlich aus, die Wiese ist trocken und spröde. Klimaökonom Ottmar Edenhofer kann an seinem Arbeitsplatz besichtigen, wovor er seit Jahrzehnten warnt. Die Krise ist hier. Im Interview erklärt er, warum es noch nicht zu spät ist und welches Problem uns diesen Winter erwartet.
Herr Edenhofer, den Rhein kann man im Moment zu Fuß überqueren, eine Rekordfläche Wald ist diesen Sommer in Europa abgebrannt, und die Hitze hat Tausende Leben gekostet. War Ihnen klar, dass schon die frühen 2020er so aussehen würden?
Ottmar Edenhofer: Es war uns klar, dass die Wahrscheinlichkeit von solchen Extremereignissen zunimmt, und dass sie heftiger werden. Das ist keine Überraschung.
Können Sie sagen, wie die nächsten Jahre in Deutschland aussehen werden?
Edenhofer: Wie genau sich das Klima in den nächsten Jahren entwickeln wird, kann ich nicht sagen. Aber sowohl Hitze als auch Überschwemmungen werden wahrscheinlicher und sie werden extremer. Die Berechnungen zu den ökonomischen und sozialen Kosten des Klimawandels sind in den letzten Jahren immer wieder nach oben korrigiert worden. Aktuell rechnen wir mit 800 Euro pro Tonne CO2. Und das ist die untere Schranke dessen, was uns da erwartet.
Diese Bundesregierung ist angetreten mit dem Anspruch, eine Klimaregierung zu sein. Wird sie diesem Anspruch gerecht?
Edenhofer: Die Ampelregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag sehr ehrgeizige Ziele gesetzt. Wir warten immer noch auf das große Klimaschutzprogramm der Bundesregierung, das diese Ziele verwirklicht. Die Lücke zwischen den Zielen und ihrer Umsetzung ist durch den Ukraine-Krieg noch größer geworden.
Sind die Klimaziele der Bundesregierung noch zu halten?
Edenhofer: Im Großen und Ganzen würde ich sagen: Ja, die Ziele sind erreichbar. Im Verkehrs- und Gebäudesektor könnte es sein, dass wir sie in diesem Jahr deshalb erreichen, weil die Öl- und Gaspreise so stark gestiegen sind. Und im Energiesektor verstromen wir jetzt zwar mehr Kohle. Aber in diesem Bereich gibt es ab 2023 keine jährlichen Ziele mehr, stattdessen werden die Emissionen gedeckelt durch den europäischen Emissionshandel. Solange der funktioniert, wird deshalb in Summe trotzdem nicht mehr CO2 ausgestoßen. Das Problem ist jedoch die Umsetzung der Klimaziele bis zum Jahr 2030. Der Ausbau der Erneuerbaren stockt.
Statt im großen Stil Windräder baut Deutschland derzeit LNG-Terminals, von denen Umweltverbände sagen, dass sie völlig überdimensioniert sind.
Edenhofer: Aktuell ist die Nachfrage nach Gas hoch und das weltweite Angebot knapp. Daher sind die aufgebauten LNG-Kapazitäten wahrscheinlich nicht überdimensioniert. Die Frage ist, was wir mit diesen Kapazitäten machen, wenn die aktuelle Krise vorbei ist. Einen großen Teil dieser Kapazitäten, die wir dann nicht mehr benötigen, werden wir wieder abbauen müssen und ein Teil wird sich vielleicht auf Wasserstoff umrüsten lassen. Aber kurzfristig müssen wir auf den Krieg in der Ukraine und die Versorgungskrise reagieren, auch mit dem Aufbau von LNG-Terminals. Kurzfristige Versorgungssicherheit ist ebenso wichtig wie langfristiger Klimaschutz. Übrigens auch im Strombereich. Mit den großen Ausfällen von Kernkraft in Frankreich, den ausgetrockneten Flüssen, über die kaum noch Kohle zu den Kraftwerken gelangt und den steigenden Strompreisen laufen wir auch gerade in eine echte Versorgungs- und Sicherheitskrise hinein – bedingt auch durch den jetzt schon stattfindenden Klimawandel.
Erst Atomausstieg, dann Kohleausstieg – war das die richtige Reihenfolge?
Edenhofer: Der Atomausstieg war eine Reaktion auf die Reaktorkatastrophe in Fukushima. Das war keine klimapolitische Entscheidung. Und im Anschluss haben wir zehn neue Kohlekraftwerke in Deutschland gebaut. Das hätte man sicher besser machen können, aber das ließ die Situation politisch eben nicht zu. Wenn Sie mich fragen, ob der Atomausstieg klimapolitisch vertretbar war, sage ich ganz klar: ja. Ich glaube nicht, dass die Kernenergie eine Zukunftstechnologie ist. Aber man hätte den Ausstieg anders machen können und müssen, nämlich gleichzeitig den CO2-Preis für die Kohlekraftwerke erhöhen, um damit den Ausbau der Erneuerbaren zu beschleunigen.
Schaffen wir es, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen?
Edenhofer: 1,5 Grad wird richtig knapp. Wenn man Paris ernst nimmt mit dem Ziel‚ „deutlich unter zwei Grad“, dann ist das machbar. Aber mehr als die Ziele beschäftigt mich die Umsetzung. Wir sind gut im Versprechen. Wir sind schlecht im Einhalten. Wir sollten lernen unsere Versprechen einzuhalten.
Ottmar Edenhofer
Ottmar Georg Edenhofer ist Professor an der TU Berlin und seit 2005 Direktor sowie Chefökonom am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Er gilt als Experte auf dem Gebiet der CO2-Bepreisung.
Der 61-Jährige ist in Gangkofen geboren, studierte in München und war von 1987 bis 1994 Mitglied des Jesuitenordens.
Zusätzlich zur Forschungstätigkeit ist Edenhofer an der öffentlichen und politischen Klimaschutz-Debatte beteiligt und berät zahlreiche Politiker.
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