Washington. Joe Biden verschickte einen Handkuss ins Publikum, während Donald Trump grimmig hinter seinem Rednerpult Platz nahm. Dieser Eindruck beschreibt gut die Stimmung, mit der die beiden Kandidaten in die letzte Debatte vor der Wahl zogen. Der Demokrat musste nur keinen Fehler begehen, der Präsident durfte sich keine weiteren Patzer leisten. Am Ende der denkwürdigen 90 Minuten von Nashville im US-Bundesstaat Tennessee lieferten die Amerikaner ein klares Verdikt ab. In einer Umfrage des Fernsehsenders CNN kürten 53 Prozent der Befragten Biden zum Sieger, während 39 Prozent Trump vorn sahen. Das entspricht in etwa dem Abstand, den Umfragen seit Wochen konstant zwischen den Kontrahenten sehen.
Analysten heben hervor, dass der Präsident damit weit hinter seinen Zielen zurückblieb. Trump brauchte in Nashville nicht weniger als eine politische Schubumkehr. Diese erhoffte er sich durch die Anschuldigungen gegen den Sohn Bidens, Hunter, wegen dessen Geschäftsbeziehungen in die Ukraine. Früh in der Debatte nahm der ehemalige Vizepräsident Trump den Wind aus den Segeln, als er eine Breitseite gegen dessen Hausanwalt Rudi Giuliani abfeuerte. Er wundere sich, sagte Biden, dass Trump nichts über die Einmischungsversuche Russlands in die Wahlen sage „oder Rudy“.
Der war in den vergangenen Tagen in die Schusslinie geraten, weil er sich vor laufender Kamera von einer jungen Frau in deren Hotelzimmer locken ließ. Videomitschnitte für den Film „Borat“ zeigen, wie Trumps Hausanwalt auf dem Rücken in dem Hotelbett liegend mit der Hand in die eigene Hose greift.
Offenkundig landete der Angriff gegen Bidens angebliche Missetaten in der Ukraine im Sand. Wie es dem Kandidaten nicht schwer fiel, diese auch so zu entkräften. „Ich habe niemals in meinem Leben einen Penny von einer ausländischen Quelle angenommen“, sagte der Demokrat zu den Vorwürfen über das Engagement seines Sohnes beim ukrainischen Gashersteller Burisma. Das alternative Universum des Präsidenten setzt seit Tagen darauf, mit dieser Geschichte die gleiche Dynamik zu erzeugen, die Trump 2016 binnen zweier Wochen von einer Außenseiterrolle ins Weiße Haus katapultierte. Zwischen damals und heute liegen mehr als 20 000 nachgewiesene Lügen Trumps und seine Rolle als Amtsinhaber.
Biden ging in die Offensive und griff seinerseits den Präsidenten an. Dieser habe ein geheimes Bankkonto in China und seine Steuererklärungen der vergangenen 22 Jahre nicht offengelegt. „Sie haben kein einziges Jahr ihre Steuererklärungen herausgegeben“, sagte Biden zu Trump. „Was haben Sie zu verbergen?“ Trump verteidigte sich mit einer anhängenden Überprüfung durch die Steuerbehörde IRS.
Dasselbe Argument, das er bereits vor vier Jahren anbrachte. „Zeigen Sie uns diese einfach“, drängte Biden den Präsidenten in die Defensive. „Hören Sie auf, Spiele zu spielen.“
Im Ton sachlicher, in der Substanz nicht minder schrill griffen sich die Kontrahenten beim Umgang mit dem Coronavirus an. Er habe „oft gesagt, das Heilmittel darf nicht schlimmer sein als das Problem selbst“, hielt Trump seinem Herausforderer vor. Dieser wolle das ganze Land zumachen. Eine Steilvorlage für Biden, der das nicht auf sich sitzen lassen wollte. „Wer für so viele Tote verantwortlich ist, sollte nicht Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika bleiben“, feuerte der Demokrat zurück. Wiederholt in der Debatte hielt Biden dem Amtsinhaber vor, „keinen Plan zu haben“.
Eine lebendige Auseinandersetzung lieferten sich die Kontrahenten auch zur Gesundheitsversicherung „Obamacare“, die Trump seit dem ersten Tag im Amt abzuschaffen versucht. Dieser hält Biden vor, anstelle der privaten Versicherer staatliche einführen zu wollen. „Ich habe diese Leute geschlagen, weil ich anderer Meinung als sie war“, erinnerte Biden an die robuste Debatte der Demokraten bei den Vorwahlen.
Das Publikum horchte auf, als Trump über sein „gutes Verhältnis“ zu Diktatoren wie Kim Jong-Un sowie autokratischen Herrschern in anderen Ländern sprach. Schlagfertig konterte Biden: „Wir hatten ein gutes Verhältnis zu Hitler, bevor er in Europa einfiel.“
Die letzte Debatte war vermutlich Trumps letzte Chance, die Dynamik des Rennens noch einmal zu verändern. In Umfragen liegt er rund zehn Prozent auf nationaler Ebene hinter seinem Herausforderer zurück. Meinungsforscher Charlie Cook fasste zusammen, dass Trump sich an diesem Abend „nicht geholfen hat.“
CNN-Umfrage sieht Biden als Sieger der Fernsehdebatte
- In der TV-Debatte vor der US-Präsidentschaftswahl hat Herausforderer Joe Biden nach dem Ergebnis einer Umfrage des Senders CNN einen besseren Eindruck gemacht als Amtsinhaber Donald Trump. Die Umfrage unter Zuschauern des direkten Aufeinandertreffens vom Donnerstag ergab, dass 53 Prozent Biden als Sieger sahen. 39 Prozent sahen Trump vorn.
- Befragt nach ihrem Eindruck, wer die Fragen von Moderatorin Kristen Welker direkt beantwortet habe, nannten 62 Prozent Biden und 31 Prozent Trump. Einen Gleichstand von 49 zu 49 Prozent ergab die Frage, wer in der Debatte die stärkere politische Führungskraft gezeigt habe.
- Basis der Erhebung war eine telefonische Befragung von 585 registrierten Wählern durch das Institut SSRS. Der Sender gab die statistische Fehlerquote der Umfrage mit 5,7 Prozent an.
- Nach der ersten Fernsehdebatte Ende September sahen in einer Umfrage des Senders CBS 48 Prozent der Zuschauer Biden vorn, 41 Prozent Trump.
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