Berufshistoriker, die weltgeschichtliche Krisen und außergewöhnliche Ereignisse interpretieren, wissen, dass es Voraussagen über die Zukunft streng genommen nur geben könnte, wenn es keine Zukunft mehr gäbe. Die Wahl von Donald Trump hat mich an die Erkenntnis von Ringelnatz erinnert: "Sicher ist, dass nichts sicher ist. Selbst das nicht." Deshalb ist die sehr pessimistische Hauptthese dieses Vortrags eine riskante Mischung aus einer geschichtlichen Analyse, der Deutung gegenwärtiger Ereignisse, unsicheren Hypothesen und dem möglichen Zusammenspiel angenommener Variablen. Eine optimistischere Zukunft ist möglich, aber aus meiner Sicht nicht wahrscheinlich. Ich überschreite also die Kompetenz eines Historikers und werde zum Zukunftsforscher.
Trump wird uns in eine doppelte Krise führen: in eine innere Fragmentierung und einen außenpolitischen Bedeutungsverlust der USA, zugleich in eine Schwächung und Fragmentierung des transatlantischen Westens. Zugleich wird Trump die schon existierenden Schwächen der Europäischen Gemeinschaft gnadenlos offenlegen.
Amerikanisches Jahrhundert
Die europäischen Großmächte haben seit dem Zeitalter der Entdeckungen im 16. Jahrhundert ihren Einfluss in unterschiedlicher Intensität auf die ganze Welt ausgeweitet, Hegemonie und Herrschaft ausgeübt. Dieses europazentrische Weltsystem löste sich seit Anfang des 20. Jahrhunderts schrittweise auf, wesentlich deshalb, weil die Neue Welt an die Stelle der Alten trat. Durch die Vertreibung der letzten europäischen Kolonialmacht aus der westlichen Hemisphäre im Spanisch-Amerikanischen Krieg von 1898, durch die Siege im Ersten Weltkrieg, im Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg, hat sich das liberale, kapitalistische und marktwirtschaftliche Gesellschaftsmodell der USA in der Welt des Westens durchgesetzt.
In diesem Sinne kann das 20. Jahrhundert als das amerikanische Jahrhundert bezeichnet werden. Denn das ist seit dem Eintritt in den Zweiten Weltkrieg das überragende, aber nur scheinbar selbstverständliche Merkmal der US-Außenpolitik: die Globalisierung des außenpolitischen Aktionsradius' der USA, der seinerseits in der Globalisierung der amerikanischen Interessen und Werte begründet liegt. Diese Globalisierung ist die wichtigste Ursache für den qualitativen Sprung der USA von einer Weltmacht unter anderen Weltmächten zur Supermacht des Kalten Krieges und des Atomaren Zeitalters. Globalisierung soll heißen, dass für die USA prinzipiell die Zukunft der gesamten Welt, besonders des eurasischen Doppelkontinents, den Mittleren Osten eingeschlossen, von potenziell vitaler Bedeutung war; und für ihre vitalen Interessen zogen die Amerikaner notfalls in den Krieg.
Feindbild Islam
Innerhalb dieses amerikanischen Globalismus kann man idealtypisch drei große Zielvorstellungen unterscheiden, die allerdings in aktuellen Entscheidungssituationen nicht immer gleichgewichtig nebeneinander standen: die unteilbare Sicherheit, der unteilbare, liberal-kapitalistische Weltmarkt und die unteilbare Freiheit. Die unteilbare Sicherheit meint die Aufrechterhaltung eines pro-amerikanischen Gleichgewichts in der Welt und die Verhinderung feindlicher Hegemonialmächte auf dem eurasischen Doppelkontinent. Der internationale Terrorismus wird als neue globale Bedrohung wahrgenommen. Im Zentrum von Trumps Feindbild steht der Terrorismus, möglicherweise der gesamte Islam als Bedrohung der USA.
Diese Interpretation ist um den Markt und um die Gesellschaft, nicht um den Staat zentriert. Im Zentrum der Interpretation stehen die Begriffe Wirtschaft, Expansion und Imperium. Danach waren die USA seit ihrer Gründung und sind immer noch eine expansive und imperiale Macht.
Dieser systemimmanente Zwang äußert sich in dem unablässigen Versuch, eine globale, den Handels- und besonders den Kapitalbedürfnissen dieser Wirtschaft angepasste Pax Americana zu errichten und gegen alle revolutionären Bewegungen notfalls mit Gewalt zu konservieren.
Die liberalen Forderungen der USA nach ungehindertem Zugang zu den Weltmärkten sind in dieser Interpretation formale Postulate, die unter dem Schein von Gleichheit und Gerechtigkeit dem Aufbau eines "informal empire" dienen sollten und gedient haben. In der Gegenwart wird besonders auf den enormen, vom Staat offensichtlich nicht zu kontrollierenden Einfluss und das Erpressungspotenzial der Finanzindustrie hingewiesen.
Die tief in der Geschichte und Struktur der amerikanischen Gesellschaft verankerte Frömmigkeit ist auch der Grund dafür, dass Gott nicht nur ein zentrales Element der über 1000 Religionsgemeinschaften ist, sondern auch der nationalen, amerikanischen Zivilreligion. Der Kern dieser Zivilreligion ist die amerikanische Dreieinigkeit von Gott, Vaterland und Freiheit. Diese sinnstiftende und gemeinschaftsbildende Glaubenslehre hält die fragmentierte und disparate Gesellschaft zusammen. Seit der Amerikanischen Revolution 1763 hat eine Verschmelzung von Christentum und Aufklärung, von Christentum und demokratisch-freiheitlicher Mission die besondere zivile Religion Amerikas hervorgebracht.
Die Debatte über Amerikas besondere Mission der Freiheit, sein Verhältnis zu Gott, Vorsehung und Geschichte wird seit den ersten Siedlern geführt, also seit 400 Jahren. Dieser andauernde Diskurs, wie man heute sagen würde, über die besondere Mission der USA, ihre Einzigartigkeit und Auserwähltheit gehört selbst zum Kern der US-amerikanischen Identität.
Diese zivilreligiöse Sendungsidee der Freiheit hat es den Amerikanern ermöglicht, alle Kriege und militärischen Interventionen in ihrer Geschichte, von den Indianerkriegen bis zu den Kriegen in Afghanistan und im Irak, als gerechten Krieg zu rechtfertigen.
Religiöse Sendungsidee
Rückschläge und Niederlagen haben die Amerikaner lange nicht davon abgehalten, von dieser Sendungsidee Abschied zu nehmen. Bekanntlich ist die überwiegende Mehrheit der amerikanischen Versuche gescheitert, durch oder nach einer militärischen Intervention demokratische Regime zu gründen und langfristig zu festigen. Dennoch ist es den Amerikanern bis zu Trump außerordentlich schwergefallen, von ihrer Sendungsidee Abschied zu nehmen. Denn es gehört zum Wesen der weltlichen Utopie, dass sie, wie die Religion, ihren Hoffnungskern nicht durch die schlechte Wirklichkeit und leidige Tatsachen zerstören lässt. Das gilt auch für Amerikas zivilreligiöse Sendungsidee der Freiheit. Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, der Glaube an eine neue Chance, den Fortschritt und die Verbesserung des Menschengeschlechtes prägen dieses Sendungsbewusstsein.
Doch das Kernstück der globalen Entgrenzung der USA bricht zusammen. Ein zugleich diktatorisches und expansives China stellt nicht nur regionale, sondern zumindest ökonomisch, globale Ansprüche. Der neue Diktator Putin, der alle Institutionen Russland gleichgeschaltet hat, betreibt im Namen eines neuen Groß-Russland eine expansive Außenpolitik, die auf eine neue eurasische Ordnung zielt. Der neue Diktator Erdogan träumt von einem Kalifat, der Iran von der Erneuerung eines persischen Reiches. Die völlige Zerstörung der muslimisch-arabischen Welt und der Krieg der Terroristen gegen die westliche Moderne - auch dagegen sind die USA weitgehend machtlos.
Fehlendes Urteilsvermögen
In dieser ohnehin kritischen Situation für die USA ist Trump zum Präsidenten gewählt worden. Er wird die Krise der USA und des Westens vertiefen. Die USA haben rund 325 Millionen Einwohner, 200 Millionen Wahlberechtigte; davon gingen 115 Millionen zur Wahl, und davon erhielt Trump etwa 63 Millionen Stimmen; also ein wenig mehr als 30 Prozent derjenigen, die wahlberechtigt sind, weniger als die Hälfte derer, die zur Wahl gegangen sind.
Dank des US-Wahlrechts hat also eine Minderheit einen Präsidenten ins Amt gebracht, der weder den Charakter noch das Urteilsvermögen hat, um das wichtigste Amt der westlichen Welt verantwortlich auszufüllen. Die von ihm ausgewählten Berater und Minister lassen vermuten, dass sie wegen ihrer widerspruchslosen Loyalität gegenüber Trump und der Nähe zur Wall Street oder als Konzessions-Republikaner in die engere Wahl gezogen wurden.
Trump ist ein pathologischer Narzisst, der seit früher Jugend im Zentrum seines eigenen Universums steht. Das heißt, dass er ein überdimensioniertes, großspuriges und selbstverliebtes Bild von sich selbst hat, das aber in jedem Moment der Bewunderung von außen bedarf. Schon der Anschein von Illoyalität ist Sünde. Sein brutaler Machtanspruch ist umgekehrt proportional zu seinen Fähigkeiten.
Trump ist ein Rassist und ein Sexist, ein notorischer Lügner, 70 Prozent seiner Aussagen im Wahlkampf waren Lügen. Trump ist ein notorischer Betrüger, der mindestens sechs Teilbankrotte zu Lasten Dritter hingelegt hat, er ist in Dutzende von Rechtsstreitigkeiten verwickelt. Trump ist ein notorischer Spieler, der immer wieder hohe Einsätze mit fremden Geld wagen konnte, weil Hedgefonds und Banken ihm immer wieder "Vertrauen", das heißt Kredite, gaben. Die Deutsche Bank war sein verlässlichster Kreditgeber.
Trump ist ein Mann ohne politische Erfahrung, mit einem unterentwickelten Verhältnis zum Rechtsstaat und zur freien Presse, ohne Kenntnisse von Institutionen, auch der komplexen Strukturbedingungen nationaler und internationaler Politik. Seine einzigen Erfahrungen sind Immobilien-Deals und "Reality Shows". Trump ist süchtig nach Publicity. Ein Tag ohne ihn in den Medien ist ein verlorener Tag. Er hat sich zum König der sozialen Medien gemacht und eine vulgäre Sprache zur Norm gemacht. Von der Charakterstruktur hat er Ähnlichkeiten mit Putin und Erdogan.
Zerstörung der Identität
Für die Welt noch bedrohlicher als die innenpolitische Schwächung der USA wird Trumps Präsidentschaft für die Außenpolitik der USA, besonders für Europa sein. Er wird als protektionistischer Nationalist die internationalen Organisationen systematisch schwächen, die Welt unsicherer machen, den Freihandel unterminieren und den Wohlstand der Nationen gefährden. Eine Grundlage des US-Imperialismus hat er schon zerstört. Er hält die amerikanische Sendungsidee der Freiheit und der Menschenrechte offensichtlich für pure Naivität und Unsinn. Damit ist er dabei, nicht nur die Identität der Amerikaner zu zerstören, sondern auch das moralische Kapital der USA in der Welt.
Eine nationalistische und protektionistische Außenpolitik einer Präsidentschaft Trumps würde aber zugleich die Schwächen Europas gnadenlos offenlegen. Die Europäische Gemeinschaft wird nur sehr begrenzt Wege und Mittel finden, um ihre sicherheits- und wirtschaftspolitischen Interessen in einer Ära Trump zu verteidigen.
Überdies ist bisher nirgends erkennbar, wie Trump mit der erschreckend langen Liste struktureller Weltprobleme umgehen wird: mit Klimawandel, Energiesicherheit, Massenvernichtungswaffen, internationalem Terrorismus, asymmetrischen Kriegen, dem Krisenbogen in der arabischen Welt, Elend und Völkermord in Afrika, den Flüchtlingsströmen in der Welt. Bleibt nur die alte Weisheit: contra spem sperare - gegen alle Hoffnung hoffen.
(Gekürzte Version eines Vortrags an der Universität Heidelberg)
Detlef Junker
- Detlef Junker, geb. 1939 in Pinneberg, studierte in Kiel und Innsbruck Geschichte, Politikwissenschaft, Philosophie und Germanistik.
- Habilitation an der Universität Stuttgart über die US-Außenpolitik.
- Von 1975 bis 1994 Professor an der Universität Heidelberg für Neuere Geschichte.
- 1994 bis 2004 Curt-Engelhorn-Stiftungsprofessur für Amerikanische Geschichte in Heidelberg.
- Seit 2003 Direktor des Heidelberg Center for American Studies (HCA). malo (BILD: UNI HD)
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