Ehrenamt

Trend beim Ehrenamt: Helfen ja, aber bitte sporadisch!

Ehrenamt hört sich verstaubt an. Doch viele Menschen wollen sich freiwillig engagieren. Out ist eine längerfristige Bindung an einen Verein oder Verband. Spaß und Selbstverwirklichung stehen im Vordergrund

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Stefanie Ball
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Ehrenamtliche der Berliner Tafel füllen auf dem Berliner Großmarkt-Gelände Fruchtaufstrich in Gläser. © Christoph Soeder/dpa

Berlin. Das Ehrenamt ist ganz klar im Trend – das sagt zumindest Jan Holze, Vorstand der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt. Knapp 29 Millionen Menschen in Deutschland engagieren sich, Tendenz steigend. Das Problem: Soll ein Sommerfest oder ein Turnier im Sportverein organisiert werden, finden sich immer Leute, die helfen. „Wenn es aber darum geht, Leitungs- und Vorstandsfunktionen zu übernehmen – also dort, wo Verantwortung und viel Zeit drinsteckt –, gibt es immer weniger Menschen, die bereit sind, sich das anzutun“, erklärt Holze in einem Interview mit dem NDR. Vorstandsposten bedeuten in der Regel ein längerfristiges Engagement. Das wollen viele nicht, sie möchten sich einbringen, aber eher sporadisch.

Freiwilliges Engagement auf anhaltend hohem Niveau

Alle fünf Jahre führt das Bundesfamilienministerium eine repräsentative Bevölkerungsbefragung – den „Deutschen Freiwilligensurvey“ – durch. Danach befindet sich das freiwillige Engagement in Deutschland stabil auf einem hohen Niveau. In 2019, wie bereits auch im Jahr 2014, haben sich etwa 40 Prozent der Menschen in Deutschland freiwillig engagiert, umgerechnet sind das rund 28,8 Millionen Menschen. Erstmals seit 1999 ist beim freiwilligen Engagement von Frauen im Jahr 2019 mit 39,2 Prozent und von Männern mit 40,2 Prozent kein statistisch signifikanter Unterschied messbar. Am stärksten engagieren sind die 30- bis 49-Jährigen mit 44,7 Prozent, bei den 14- bis 29-Jährigen liegt der Anteil bei 42,0 Prozent.

Der Beitrag, den ehrenamtliches Engagement erbringt, ist beträchtlich, ohne Freiwillige würde vieles in der Gesellschaft nicht funktionieren. Ohne sie gäbe es keine Sportvereine, keine Tafel, die arme Menschen versorgt, keinen Katastrophenschutz, Obdachlose würden frieren, alte Menschen vereinsamen.

Der ökonomische Wert, der hinter den Leistungen steht, ist entsprechend hoch: Nach Berechnungen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung wurde für das Jahr 2019 eine Arbeitsleistung im Wert von umgerechnet rund 32,3 Milliarden Euro durch freiwilliges Engagement erbracht.

Dass Menschen bei der Suche nach einem Ehrenamt zunehmend kurzfristig orientiert sind, liegt in der allgemein zurückgehenden Bindungsintensität gegenüber Kirchen, politischen Parteien, Vereinen und Verbänden. Damit wird es schwerer, Menschen für bislang übliche Formen des Ehrenamts, etwa in Gremien, zu begeistern. Vielmehr wollen sie zeitlich befristet mitwirken, es sind bestimmte Sachen, konkrete Anliegen, die sie motivieren. Sie engagieren sich, weil sie sich selbst verwirklichen wollen, weil das Thema, die Aufgabe passt. Ehrenamt ist keine Pflicht mehr – es gehört dazu, im Kirchenrat oder bei der Freiwilligen Feuerwehr im Heimatort zu sein – sondern es soll Spaß machen.

Das bedeutet für die, die auf Ehrenamtliche angewiesen sind, ein Umdenken. Bereits seit vielen Jahren wird über einen Strukturwandel im Ehrenamt diskutiert. „Leute, die sich für einen langen Zeitraum oder für was Undefiniertes engagieren, gibt es auch noch, aber das wird immer weniger“, gibt eine kirchliche Ehrenamtskoordinatorin im Rahmen eines Forschungsinterviews zu Protokoll.

Das „neue“ Ehrenamt kennt keine Hierarchie, sondern demokratische Mitbestimmung, der Ehrenamtliche ist kein Hilfsdiener, sondern gleichwertiger Akteur. Daneben spielt die Wertschätzung eine große Rolle. Oliver Reifenhäuser berät seit vielen Jahren Organisationen, Kirchen und Verbände, die ihre Ehrenamtskultur verbessern wollen. „Fehlt die Wertschätzung, wird das durchaus als Mangel empfunden“, sagt er in einem Interview mit dem Magazin des Kolpingwerks Diözesanverband Paderborn. Ehrenamtliche fühlten sich dann ausgenutzt, nicht beachtet und ungerecht behandelt.

Formen der Wertschätzung könnten dabei materiell – ein Gutschein für etwas, das zur ehrenamtlichen Arbeit passt – oder nicht materiell sein – Entscheidungsfreiheiten und Vertrauen, auch herausfordernde Aufgaben zu erledigen. Auch Schulungen und Weiterbildungsmöglichkeiten können eine Form der Wertschätzung sein – und sind bei der Arbeit etwa mit Kindern oder älteren Menschen für die Qualitätssicherung auch unerlässlich.

Gesundheit profitiert von ehrenamtlicher Tätigkeit

Nicht zuletzt profitieren die Engagierten selbst von ihrem Engagement. Studien zeigen, dass es sich positiv auf die Gesundheit von Menschen auswirkt, wenn diese anderen Menschen, der Natur oder Tieren helfen und neue Kontakte knüpfen. Ein Forschungsteam aus Bayern hat beispielsweise in einer Übersichtsarbeit, für die 17 Studien aus verschiedenen Ländern herangezogen wurden, herausgefunden, dass die Freiwilligenarbeit positive Effekte auf die geistige Leistungsfähigkeit der Ehrenamtlichen haben kann.

Wer das „richtige“ Ehrenamt noch nicht gefunden hat, kann sich bei Freiwilligenagenturen beraten lassen. Jedes Bundesland, jede Stadt verfügt über Ehrenamtsbörsen, Engagementbüros und Freiwilligenzentren.

Ehrenamt

Seit 2013 können Ehrenamtliche, die sich in einem gemeinnützigen Verein oder bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts engagieren, den Ehrenamtsfreibetrag geltend machen. Aktuell beträgt er 840 Euro pro Jahr. Auch ein Schatzmeister oder Kassenwart kann den Ehrenamtsfreibetrag nutzen.

Viele Informationen und auch Beratung hält die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt bereit: deutsche-stiftung-engagement-und-ehrenamt.de sba

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