Corona

Stiko-Expertin erklärt, warum sie keine Panik vor Omikron hat

Lesedauer: 
Sollten sich alle Kinder impfen lassen? Darüber wird in Deutschland intensiv diskutiert. © dpa

Mannheim/Göttingen. Professor Eva Hummers ist Direktorin des Instituts für Allgemeinmedizin der Universitätsmedizin Göttingen und Mitglied in der Ständigen Impfkommission (Stiko). Sie sagt, das Gremium habe sich an den Druck aus der Politik inzwischen gewöhnt. „Es ist aber verwunderlich, wenn die Gesundheitsministerkonferenz sagt, wir erwarten jetzt, dass die Stiko zeitnah eine Empfehlung ausspricht.“

Frau Professor Hummers, warum schiebt die Ständige Impf- kommission die Verantwortung bei der Frage einer Coronaschutzimpfung für jüngere Kinder den Eltern zu?

© Swen Pförtner

Eva Hummers: Eltern haben immer die Verantwortung. Das gilt für alle Impfungen. Die Ständige Impfkommission spricht auch keine generelle Empfehlung aus, Kinder gegen Grippe impfen zu lassen. Trotzdem gibt es Eltern, die das wünschen und die bekommen die Impfung für ihre Kinder dann auch. Die Nicht-Empfehlung sollte nicht als Impfverbot interpretiert werden. Von politischer Seite gab es viel Druck und es sind Erwartungen geweckt worden, so dass wir explizit dazugeschrieben haben, dass Eltern, die den dringenden Wunsch haben, ihre gesunden Kinder gegen Covid-19 zu impfen, dies auch tun können.

Millionen Kinder unter zwölf Jahren, etwa in den USA, wurden schon geimpft. Warum reicht Ihnen das als Grundlage für eine generelle Impfempfehlung nicht aus?

Hummers: Diese Kinder sind alle erst im letzten Monat geimpft worden, und wir wissen von Jugendlichen, dass seltene schwere Nebenwirkungen meist erst nach der zweiten Impfung auftreten. Die Zweitimpfungen bei den jüngeren Kindern erfolgen erst gerade jetzt. Wir wissen auch, dass es immer einige Wochen dauert, bis diese Nebenwirkungen in den Meldesystemen auftauchen. In einer mündlichen Mitteilung haben uns die amerikanischen Gesundheitsbehörden berichtet, dass es einige, wenn auch ganze wenige Fälle von Herzmuskelentzündungen bei jüngeren Kindern gegeben hat. Bevor wir also eine Gruppe impfen lassen, die durch Covid-19 nicht gefährdet ist, eben die jüngeren Kinder, sollten wir abwarten, bis wir diese Informationen haben.

Würden Sie Ihr Kind gegen Corona impfen lassen?

Hummers: Ich würde immer dazu raten, dass sich erwachsene Menschen vorrangig impfen lassen sollten, dass alles, was es im Moment an Impfkapazität und -logistik gibt, dafür eingesetzt wird. Denn die Älteren sind diejenigen, die am schwersten an Covid-19 erkranken.

Die Stiko ist ein unabhängiges Gremium, trotzdem übt die Politik in der Pandemie Druck auf Sie aus. Wie empfinden Sie das?

Hummers: Inzwischen haben wir uns daran gewöhnt. Es ist aber verwunderlich, wenn die Gesundheitsministerkonferenz sagt, wir erwarten jetzt, dass die Stiko zeitnah eine Empfehlung ausspricht. Unser Auftrag ist, eine wissenschaftliche Bewertung des Nutzens für Deutschland auszusprechen, und der kann anders sein als der Nutzen für die USA, wo viel mehr Kinder und Jugendliche schwer an Covid-19 erkranken. Hierzulande sind Kinder viel gesünder. Wenn von politischer Seite Druck aufgebaut wird, dass wir das nur noch abnicken anstatt weiterhin sinnvoll Daten zu prüfen und auf dieser Basis eine Empfehlung auszusprechen, ist das durchaus schwierig. Solche Prüfungen bedeuten einen hohen Aufwand und sind ohne entsprechende Expertise, über die wir in der Stiko verfügen, nicht mal eben machbar.

Aber würden Sie nicht sagen, dass die Stiko etwas sehr zögerlich ist? Beim Boostern waren Sie ja auch erst zurückhaltend, um es dann doch für alle zu empfehlen.

Hummers: Das sehe ich nicht. Auch die Stiko hat frühzeitig empfohlen, dass sich Menschen mit einem schlechten Immunsystem boostern lassen sollten. Kurz darauf haben wir diese Empfehlung auf ältere Menschen ausgeweitet. Das, was im Moment passiert, ist ja, dass sich diejenigen eine Booster-Impfung holen, die am schnellsten laufen und am längsten in der Kälte vor den Impfzentren ausharren können – und nicht diejenigen, die eine Auffrischungsimpfung am dringendsten benötigen würden, etwa die Alten und Kranken oder diejenigen, die überhaupt noch nicht geimpft sind. Das ist kontraproduktiv, und zwar für alle.

Wie blicken Sie dem Winter und der Omikron-Variante entgegen?

Hummers: Ich kann die Panik, die gemacht wird, nicht nachvollziehen. Die Weltgesundheitsorganisation nennt Omikron eine „Variant of Concern“, eine besorgniserregende Variante, aber keine, vor der man in Panik geraten müsste. Man wird sehen, was passiert. Es gibt bisher wenig Hinweise, dass Omikron zu schweren Verläufen führt.

Es gibt aber viele Hinweise, dass die Impfstoffe so gut wie nicht mehr dagegen wirken.

Hummers: Wir wissen relativ wenig über den Schutz gegen die Omikron-Variante. Es ist aber absehbar, dass der Schutz nicht Null sein wird. Das ist eine gefährliche Falschinformation. Die Schutzwirkung gegen eine Infektion wird wahrscheinlich geringer, gegen schwere Verläufe wird sie aber vermutlich vorhanden sein. Das ist das, was am meisten interessiert. Wichtig ist, dass die Menschen nicht schwer erkranken und die Intensivkapazitäten in den Krankenhäusern an ihre Grenze bringen.

Die EMA, die Europäische Arzneimittelagentur, und auch Biontech-Chef Sahin sprechen sich für eine mögliche Boosterung schon nach drei Monaten aus. Was halten Sie davon?

Hummers: Da möchte ich die Frage in den Raum stellen, ob das hilfreich ist. Zu kurze Abstände zwischen Impfungen können die Wirkung verschlechtern. Das wissen wir von anderen Impfungen, zum Beispiel den Reiseimpfungs-Schnellschemata. Personen, die gesund und jünger sind, haben bei der Coronaimpfung auch nach sechs Monaten noch einen guten Schutz gegen schwere Verläufe. Aus Public Health Überlegungen, einem öffentlichen Gesundheitsinteresse heraus könnte man eine Booster-Impfung früher vornehmen, weil es kurzfristig die Weitergabe des Virus etwas senkt. Auf Dauer ist der individuelle Schutz aber wahrscheinlich nicht so gut.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen