Mannheim. Frank-Walter Steinmeier gilt nicht als Mann der großen Worte. Als erfahrener Außenminister hat der SPD-Politiker eher - ganz Diplomat - auf leisere Töne gesetzt. Nun soll der 61-Jährige Bundespräsident werden und auf Joachim Gauck folgen. Einige Vorgänger Steinmeiers haben das Amt durchaus als moralische Instanz ausgefüllt, sagt der Mannheimer Politikwissenschaftler Thomas König.
Herr Professor König, was wiegt für einen Bundespräsidenten schwerer: sein Wort oder seine Persönlichkeit?
Thomas König: Wort und Persönlichkeit schließen sich nicht gegeneinander aus. Da gibt es die Ruck-Rede von Roman Herzog, die glaubwürdig wirkte. Ebenso hat die Persönlichkeit von Joachim Gauck eine große Rolle bei seinen Reden über den Wert der Freiheit gespielt. Gegenüber Herzog und Gauck hat Horst Köhler eher außenpolitische Akzente gesetzt.
Wo sehen Sie Frank-Walter Steinmeier?
König: Es spricht vieles dafür, dass Frank-Walter Steinmeier das Präsidentschaftsamt eher nach außen repräsentieren wird. Abgesehen von seiner Erfahrung als Außenminister dürfte angesichts der Umstände in den USA nach der Wahl von Donald Trump und in der Europäische Union nach der Brexit-Entscheidung Großbritanniens der Schwerpunkt dort liegen.
Er könnte seinen Gesprächspartnern auf Staatsebene aber ins Gewissen reden...
König: ... so weit das alleine wirkt. Entscheidender dürfte sein, wie Außenministerium, Bundeskanzleramt und Präsidialamt unter diesen Umständen zusammenarbeiten. Außenminister Sigmar Gabriel, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident Steinmeier kennen sich gut, so dass eher praktische Überlegungen nach dem Motto "Wir müssen das hinkriegen" überwiegen dürften. Anders als der aktuelle Präsident Joachim Gauck, der bei einem Staatsbesuch, beispielsweise in der Türkei, sagt, dass ihm Freiheit wichtig ist. Als moralische Instanz fungiert Gauck eher als ein Gegenpol zu Bundeskanzler und Außenminister, wie Richard von Weizsäcker. Weizsäcker war ein populärer moralischer Gegenpol zum damaligen Bundeskanzler und Praktiker Helmut Kohl.
Muss ein Präsident überhaupt das Gewissen der Nation sein?
König: Das hängt meiner Meinung nach wieder von der Gesamtkonfiguration ab. Bei einem Bundeskanzler wie Willy Brandt sind vielleicht ans Gewissen appellierende Worte eines Präsidenten überflüssig. Mit Merkel, Gabriel und Steinmeier gibt es jetzt drei sehr pragmatisch orientierte Politiker in diesen Ämtern. Da könnte die moralische Instanz insgesamt zu kurz kommen.
Wenn ein Bundespräsident nicht auf die Kraft des Wortes setzt, mit welchen Werkzeugen kann er sonst arbeiten?
König: Wir müssen den Blick weiten - von der Person auf das Amt. Das hat noch eine andere, sehr wichtige Funktion, nämlich wenn es um Neuwahlen geht. Wir hatten ja schon die Situation, dass eine Koalition eine stabile Mehrheit hat, aber aus innerparteilichen Gründen das Parlament aufgelöst werden soll. Der Präsident muss dann prüfen und entscheiden, ob Neuwahlen abzuhalten sind.
Halten Sie eine solche Situation nach den nächsten Bundestagswahlen für möglich?
König: Es könnte entweder nur für eine große Koalition oder eine Dreier-Koalition reichen, aus der vielleicht eine Partei nach einiger Zeit wieder aussteigen möchte. Wenn dann die Entscheidung gegen eine Parlamentsauflösung fällt, müsste entweder die Große Koalition ran oder die anderen beiden Parteien weiterregieren.
Populisten wie Donald Trump oder auch AfD-Politiker brechen mit ihrer Sprache oft Tabus. Häufig bleibt ein spaltender Widerhall. Was hat Steinmeier dem entgegenzusetzen?
König: Steinmeiers Reaktion auf Trump war erstaunlich unvorsichtig und gehörte auch nicht in die Kategorie moralische Instanz. Nach Trumps Wahl zum Präsidentschaftskandidaten hat ihn Steinmeier Hass- prediger genannt und vor dem Ungeheuer des Nationalismus gewarnt. Das war voreilig und ungeschickt.
Eigentlich erstaunlich für den diplomatischen Steinmeier.
König: Selbst erfahrene Diplomaten wie Steinmeier sollten sich ihren Beraterstab gut auswählen und abwägen, auf wen sie hören. Schon nach dem Brexit waren von einigen Politikern Statements aus dem Bauch heraus zu hören, statt erst einmal abzuwarten und sehen, was eigentlich passiert. Solche impulsiven Reaktionen sind unprofessionell, wenn man weiß, dass man sich anschließend gemeinsam an einen Tisch setzen und nach gemeinsamen Lösungen suchen muss. Im Interesse Deutschlands sollte das einem Bundespräsident kein zweites Mal passieren.
Thomas König
Professor Thomas König (Jahrgang 1961) ist Lehrstuhlinhaber für internationale Beziehungen an der Fakultät für Politikwissenschaft der Universität Mannheim.
Seine Schwerpunkte: die EU-Politik, die Innenpolitik und Reformprozesse. sbo/Bild: Tröster
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