Politik - Beim Parteitag am Wochenende will der Kanzlerkandidat die Aufholjagd auf Union und Grüne starten

SPD: Warten auf den Scholz-Wumms

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Tim Braune
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Willy Brandt war Kanzler – Olaf Scholz will es werden. Der Vizekanzler setzt auf seine Regierungserfahrung und hält die grüne Konkurrenz für einen Scheinriesen. © dpa

Berlin. Olaf Scholz gehörte vor vier Jahren zu jenen Sozialdemokraten, die dem Kanzlerkandidaten Martin Schulz die Hauptschuld für den Absturz bei der Bundestagswahl auf nur noch 20,5 Prozent gaben. Jetzt steht Scholz selbst vorn. Und weniger als fünf Monate vor der Wahl stellen sich in der SPD nicht wenige die bange Frage, ob mit dem Finanzminister und früheren Hamburger Bürgermeister das seinerzeit als desaströs empfundene Schulz-Ergebnis überhaupt erreicht werden kann.

An diesem Sonntagnachmittag hat Scholz es beim Parteitag in der Berliner Messe in der Hand, alle Zweifler in und außerhalb der SPD von sich zu überzeugen. Für den 62-Jährigen wird es eine der wichtigsten Reden in seiner langen Laufbahn werden. Er muss mehr als 600 Delegierten (die auch das Wahlprogramm beschließen) und Tausenden Parteimitgliedern das Gefühl eines greifbaren Sieges vermitteln – dass es sich in den nächsten Wochen lohnt, bei Wind und Wetter Scholz-Plakate zu kleben und in den sozialen Medien für ihren Spitzenmann zu trommeln.

Kein großer Entertainer

Dafür wird Scholz nur eine gute halbe Stunde haben. Und er muss in einer fast menschenleeren Halle in das dunkle kalte Auge einer Kamera sprechen. Corona-bedingt gibt es beim ersten rein digitalen Parteitag in der fast 160-jährigen SPD-Geschichte kein Publikum, sieht man von ein paar Spitzenfunktionären ab, die es sich in einem Bühnen-Loungebereich gemütlich machen können. Für jemanden wie Scholz, der nicht mit dem Talent eines Entertainers gesegnet ist, erschwert das die Aufgabe, einen Parteitag zu „rocken“. Hilfestellung von Altvorderen wird es nicht geben. Weder Ex-Kanzler Gerhard Schröder noch Vorgängerin Andrea Nahles sollen in Erscheinung treten.

Wie gut Scholz performt, wird man am Ergebnis seiner Nominierung ablesen können. Die Delegierten werden digital abstimmen. In der Vergangenheit war Scholz nicht gerade ein Liebling der Funktionäre. 2017 wurde er als Parteivize mit 59 Prozent abgestraft, auch wegen seiner Kritik an Schulz. 2019 scheiterte Scholz dann mit seiner Bewerbung für den Parteivorsitz, bis er als Kanzlerkandidat ein Comeback feierte.

Seit Tagen arbeitet er akribisch an seiner Rede. Ein Coaching, wie es Schulz regelmäßig in Anspruch nahm, brauche der Hanseat nicht, heißt es. Er will beim Parteitag aufzeigen, wie Deutschland die gewaltigen Herausforderungen nach der Corona-Pandemie und die Herausforderungen beim Klimaschutz ohne soziale Verwerfungen meistert. Als Finanzminister hat er milliardenschwere Rettungsprogramme geschnürt, die er „Wumms“-Pakete nannte. Jetzt warten die Sozialdemokraten auf den großen Wumms-Moment ihres introvertierten Hoffnungsträgers.

Scholz, der Helmut Schmidt verehrt, muss als Lotse in schwere See den Kurs setzen und gegenüber der Mannschaft ausstrahlen, dass auf der Wahlkampf-Brücke nur einer das Kommando hat. Bislang vermied es Scholz um den Frieden in der Parteiführung willen, den Chef raushängen zu lassen. Doch viele Wähler könnten sich fragen, wen und was sie bei einem Kreuz für die SPD eigentlich bekommen: Scholz und einen pragmatischen Mitte-Kurs auf Angela Merkels Spuren? Oder eher radikalere Politikansätze des linken Parteiflügels, der von Co-Chefin Saskia Esken und Ex-Juso-Chef Kevin Kühnert angeführt wird? Ein Schattenkabinett will Scholz nicht vorstellen.

Scholz selbst glaubt fest daran, dass seine große Regierungserfahrung als Ministerpräsident und Bundesminister sich umso stärker auszahlt, je näher der Wahltag rückt. Die gegen ihn laufenden Untersuchungsausschüsse zu Wirecard und Cum-Ex sieht er dabei nicht als Bedrohung. Mit der Festlegung der Union auf Armin Laschet und auf Annalena Baerbock bei den Grünen sei die Zeit des „Schattenboxens“ vorbei. Am Sonntag will Scholz den Eindruck vermitteln, dass die Bürgerinnen und Bürger nach dem Auszug von Merkel nur ruhig schlafen können, wenn er im Kanzleramt sitze.

„Wir müssen aufholen“

Ist das bei angesichts der Umfragen nicht vermessen? „Wir müssen aufholen“, räumt Generalsekretär Lars Klingbeil ein. Der Niedergang der CDU biete Chancen: „Die Union ist kaputt.“ Außerdem habe die SPD bewiesen, dass sie im Zielsprint gut sei. So schafften es Ministerpräsidentin Malu Dreyer zuletzt in Rheinland-Pfalz oder Hamburgs Regierungschef Peter Tschentscher Umfragen zu drehen und überzeugende Wahlsiege einzufahren.

Die Linke hält Scholz nicht ernsthaft für regierungsfähig, realistischere Chancen auf das Kanzleramt hätte er in einer Ampel mit Grünen und der FDP. Zu Christian Lindner soll der Draht ganz ordentlich sein. Dafür aber müsste die SPD am 26. September vor den Grünen landen. Diese seien ein Scheinriese wie Herr Turtur im Kinderbuch „Jim Knopf“, sagt Klingbeil in der Hoffnung, dass die derzeit gefeierte Baerbock vom Wahlvolk letztlich als zu leicht befunden werde.

Scholz will die Widersprüche der Grünen anprangern. Wo diese regierten, sei es in der Praxis oft vorbei mit der Klimaherrlichkeit. So sei der grün-schwarze Koalitionsvertrag im Südwesten eine Nullnummer, weil in Stuttgart niemand wisse, wie viel Geld für Klimaschutz da sei. Die SPD will die Gesellschaft in der Klimafrage zusammenhalten. So pocht Parteichef Norbert Walter-Borjans darauf, dass höhere Nebenkosten durch steigende CO2-Preise von den Vermietern getragen werden.

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