Interview

SPD-Chefin Saskia Esken will keine Sozialkürzungen zulassen

Die FDP will Haushaltslöcher mit Einschnitten im Sozialetat stopfen. Warum die SPD-Vorsitzende Saskia Esken davon nichts hält, verrät sie im "MM"-Interview. Bei der Schuldenbremse legt sie sich mit dem Finanzminister an

Von 
Walter Serif
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SPD-Chefin Saskia Esken will die Schuldenbremse auch in diesem Jahr aussetzen. © Christoph Blüthner

Mannheim. Frau Esken, auf den Europawahl-Plakaten der SPD sehen wir neben der Spitzenkandidatin Katharina Barley auch Olaf Scholz. Ist der Kanzler wirklich für zusätzliche Stimmen gut?

Saskia Esken: Ja, lesen Sie den Slogan: „Deutschlands stärkste Stimmen für Europa“. Es geht darum, dass die SPD sowohl mit einer sozialdemokratisch geführten Regierung im Europäischen Rat als auch mit einer starken Fraktion im Parlament die richtigen Ziele in Europa verfolgt, um für die Menschen eine gute Entwicklung voranzubringen.

Ich frage das deshalb, weil die Popularitätswerte des Bundeskanzlers schlecht sind und die große Mehrheit der Deutschen meint, dass er seinen Job nicht gut macht.

Esken: Ich schaue auf die Fakten.

Meinungsumfragen interessieren Sie wirklich nicht?

Esken: Ich bin froh, dass der Bundeskanzler die Bundesregierung so stark und vorausschauend durch diese besonders schweren Zeiten führt. Das gibt den Menschen Sicherheit.

Früher haben Sie nichts von Olaf Scholz gehalten.

Esken: Olaf Scholz und ich haben mit unseren jeweiligen Partnern 2019 um den Parteivorsitz konkurriert. In einer solchen Wettbewerbssituation geht man nicht unbedingt auf Schmusekurs. Aber nach der Entscheidung haben wir sehr schnell zueinander gefunden und am Ende zusammen die Bundestagswahl 2021 gewonnen.

Saskia Esken

  • Als Saskia Esken vor viereinhalb Jahren zur SPD-Bundesvorsitzenden gewählt wurde, löste das in den eigenen Reihen und bei den Presseleuten mehr als nur Stirnrunzeln aus. Ihr Parteifreund Stephan WeilNiedersachsens Ministerpräsident – meinte einmal, ihm würden die Nackenhaare zu Berge stehen, wenn er hören würde, was sie manchmal sagen würde.
  • Aber das ist lange vorbei. Die 62-jährige Schwäbin hat sich im Politbetrieb durchgesetzt. Esken gilt als zäh und unerschrocken. Auch damit hat sich die „Frau aus Stahl („Spiegel“) Respekt verschafft. 

Welche Schulnote würden Sie Olaf Scholz als Bundeskanzler geben?

Esken: Es entspricht nicht meinem Naturell, Menschen Schulnoten zu geben.

Mit guten Schulnoten kann Scholz bei der FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann und ihrem Grünen-Kollegen Anton Hofreiter jedenfalls nicht rechnen. Beide werfen dem Bundeskanzler vor, dass die Ukraine den Krieg verliert, weil Deutschland zu wenige Waffen liefert.

Esken: Diese Kritik habe ich natürlich auch wahrgenommen. Aber tatsächlich ist sie fernab der Realität. Deutschland hat die Ukraine vom ersten Tag an unterstützt und der „Zeitenwende“-Rede von Scholz auch Taten folgen lassen. Wir leisten mehr als alle anderen europäischen Staaten zusammen. Weltweit steht Deutschland auf Platz zwei hinter den USA. Die Ukraine kann sich darauf verlassen, das wir ihr weiter helfen werden. Und zwar solange, wie es nötig ist, und mit allem, was es dazu braucht.

Es gibt aber riesige Löcher im Haushalt. Was ist, wenn die Koalition nicht genügend Geld für die Ukraine zusammenkratzen kann?

Esken: Wir haben in den Jahren 2022 und 2023 aus diesen Gründen die Schuldenbremse ausgesetzt. Das Grundgesetz erlaubt ja in außergewöhnlichen Notsituationen eine höhere Verschuldung.

Die FDP lehnt dies für 2024 aber ab. Da kann die SPD noch so oft widersprechen.

Esken: Abwarten. Wenn es notwendig ist, werden wir die Notlage erklären müssen. Deutschland kann die notwendige, umfassende Militärhilfe für die Ukraine nicht aus dem regulären Haushalt stemmen, ohne seine Kernaufgaben zu vernachlässigen.

Glauben Sie wirklich, dass FDP-Finanzminister Christian Lindner da mitspielt?

Esken: Wir gehen jetzt in die notwendigen Debatten zum Haushalt mit dieser Position hinein.

Es gibt auch eine Debatte darüber, ob man staatliche Investitionen aus der Schuldenbremse herausrechnen soll.

Esken: Diese Forderung unterstütze ich ebenfalls . Wenn es um die Schuldenbremse geht, wird ja gerne das Bild von der „schwäbischen Hausfrau“ herangezogen . . .

… mit der viele früher Angela Merkel verbunden haben …

Esken: … Ich sage dann immer, die schwäbische Hausfrau wäre bestimmt nicht so dumm, es zum Dach reinregnen zu lassen, denn dann ist ja am Ende das Haus kaputt, nur weil man keinen Kredit aufnehmen will.

Ist es nicht arrogant, wenn Scholz meint, Friedrich Merz wäre ihm als Kanzlerkandidat der Union „ganz recht“. Sogar Merz hat ja bessere Popularitätswerte als er.

Esken: Für den Wahlkampf ist es doch förderlich, wenn die Wählerinnen und Wähler aus den zwei sehr unterschiedlichen Charakteren auch deren Grundwerte erkennen und voneinander unterscheiden können.

Scholz rechnet sich zumindest gegen Merz mehr aus als bei einem Duell mit NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst.

Esken: Wir sind wirklich weit vom Bundestagswahlkampf entfernt. Insgesamt kommt es doch darauf an, dass eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung in zweieinhalb Jahren den Sozialstaat wesentlich gestärkt und in Teilen ausgebaut hat. Das war notwendig, weil in dem Bereich jahrelang nichts getan wurde. Deshalb haben wir auch das Wohngeld ausgeweitet. Besonders wichtig ist aber, dass wir den Mindestlohn wesentlich erhöht haben. Deshalb sind ja auch viele Tariflöhne stark angestiegen. Die Menschen sollen von ihrer Hände Arbeit leben können und für ihre Leistung den Respekt erfahren, der ihnen gebührt.

Der Kanzler hat mit 14 Euro schon wieder einen höheren Mindestlohn ins Spiel gebracht und dürfte damit die Mindestlohnkommission verärgert haben.

Esken: Wir wollen ja, dass die Mindestlohnkommission ihre Arbeit macht und die Höhe des Mindestlohns bestimmt, aber natürlich auch entlang der Vorgaben.

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Und das hat sie nicht getan?

Esken: Richtig. Die Tarifpartner sollen sich an die Europäische Mindestlohnrichtlinie halten. Die schreibt einen Richtwert von 60 Prozent des Medianwerts vor. Mit 12,41 Euro liegt Deutschland weit darunter. Da wären wir mit 14 Euro näher dran. Hinzu kommt aber, dass die Mindestlohnkommission den Stil der Sozialpartnerschaft einhalten muss.

Was meinen Sie damit?

Esken: Die Kommission muss im Konsens entscheiden und darf nicht, wie beim letzten Mal, einfach die Arbeitnehmerseite überstimmen und dann den Mindestlohn nur von zwölf auf 12,41 Euro erhöhen. Das war ein Tabubruch der Arbeitgeber und hätte nicht geschehen dürfen. Bislang hat die Kommission immer im Konsens entschieden.

Der Bundeskanzler will jetzt also die Mindestlohnkommission auf 14 Euro einschwören?

Esken: Das ist zumindest ein klarer Appell an die Mindestlohnkommission, sich im nächsten Frühjahr, wenn sie wieder entscheiden muss, an die Spielregeln zu halten.

Und wenn sie das nicht macht?

Esken: Das wäre dann für die Politik ein Anlass, das Thema erneut selbst in die Hand zu nehmen, wie schon 2022, als die Koalition die Erhöhung des Mindestlohns von 10,45 auf zwölf Euro per Gesetz geregelt hat. Das war damals eine Riesenlohnerhöhung und hat ausgereicht, damit eine alleinstehende Person, die Vollzeit arbeitet, ohne ergänzende Sozialleistungen auskommen konnte. Inzwischen sind die Preise so stark gestiegen, dass der Mindestlohn von 12,41 Euro nicht mehr ausreicht.

Was haben Sie verdient, als Sie noch als Paketzustellerin gearbeitet haben?

Esken: Das weiß ich nicht mehr, das war ja noch zu D-Mark-Zeiten. Ich weiß aber, dass ich zusätzlich noch einen Minijob annehmen musste, sonst wäre ich nicht über die Runden gekommen.

Sie rühmen die gute Arbeit der SPD in der Ampel-Koalition. In den Umfragen liegt ihre Partei aber konstant bei 15 Prozent, die Union kommt auf 30 Prozent. Haben Sie wirklich das Gottvertrauen, dass Ihnen bis zur Bundestagswahl die Wende gelingt?

Esken: Wir Sozialdemokraten hoffen natürlich nicht auf ein höheres Wesen, sondern auf die Kraft unserer Argumente. Übrigens lagen wir auch 2021 lange in den Umfragen hinter der Union und haben uns davon nicht beirren lassen, sondern einen Wahlkampf mit klarer Ausrichtung auf die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geführt und damit die Menschen überzeugt. Jetzt kommt es gerade in diesen schwierigen Zeiten darauf an, eine Regierung fortzuführen, die das Heft des Handelns in die Hand nimmt.

Während die SPD von einem höheren Mindestlohn träumt, verfolgt die FDP ganz andere Pläne. Sie will die sozialen Leistungen kürzen. Machen Sie da mit?

Esken: Nein. Wir lehnen diese Vorschläge der FDP ab. Wir werden den Abbau des Sozialstaats nicht zulassen. Gerade in diesen Krisenzeiten brauchen die Menschen soziale Sicherheit, um mit Zuversicht nach vorn blicken und das Land entwickeln zu können. Wir müssen ja gemeinsam anpacken, da kommt es auf den Zusammenhalt an, wenn wir international konkurrenzfähig bleiben und die Krisen meistern wollen. Deswegen ist es wichtig, dass sich die Menschen auf die Sozialdemokratie verlassen können.

Auch bei der Rente? Die FDP will das Rentenpaket wieder aufschnüren und die Rente mit 63 kippen.

Esken: Christian Lindner hat gemeinsam mit Hubertus Heil das Rentenpaket 2 erst vor zwei Monaten vorgestellt. Da macht man doch nicht jetzt schon eine Kehrtwende. Ich glaube, dass die Menschen Sicherheit und Orientierung brauchen und nicht eine Wende an der anderen. Das gilt auch für diejenigen, die Rente beziehen oder kurz davor stehen. Aber auch die jungen Leute müssen doch die Gewissheit haben, was sich aus ihren Rentenbeiträgen ergibt – da muss es Garantien des Staates geben. Und dazu sind wir Sozialdemokraten bereit.

Glauben Sie, dass Finanzminister Lindner schon den Notausgang aus der Koalition sucht?

Esken: Als Finanzminister ist er in Zeiten der Haushaltsaufstellung natürlich besonders gefragt. Manchmal ist allerdings unklar, ob er den Hut des Finanzministers oder den des FDP-Vorsitzenden aufhat. Wir gehen aber davon aus, dass Christian Lindner und seine FDP die Zusammenarbeit weiterführen.

Bis zum letzten Tag?

Esken: Ja. Natürlich werden die Ampelparteien ihre Profile schärfen, wenn der Wahlkampf beginnt. Aber in erster Linie tragen wir den Menschen und dem Land gegenüber Verantwortung, und dieser werden wir als Ampel gerecht werden.

Der Kanzler hat 2021 gesagt, dass die Regierung angetreten sei, um wiedergewählt zu werden. Glauben Sie, dass das wirklich noch eine Option ist, falls das Wahlergebnis das hergeben würde?

Esken: Ja. Ich bin der Überzeugung, dass diese SPD-geführte Regierung auch weiter eine kreative Kraft hat, dieses Land gut zu regieren. Und dazu gehört auch, dass wir eine gewisse Kontinuität brauchen.

Also auch mit diesen Partnern in einer Ampel-Regierung?

Esken: Wir kämpfen für ein starkes Ergebnis für die SPD.

Und dann ist es Ihnen egal, mit wem Sie regieren?

Esken: Nein, das ist uns nicht egal. Aber klar ist, wir wollen eine Regierung mit der SPD und Olaf Scholz an der Spitze.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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