Interview

So will die Ampelkoalition Staatsleistungen an Kirchen abschaffen

Von 
Walter Serif
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Die Kirchen erhalten vom Staat jedes Jahr rund 600 Millionen Euro. Die Regierung will die Staatsleistungen abschaffen. © dpa/DBT/Stella von Saldern

Die Ampelkoalition will das Verhältnis des Staats zu den Kirchen neu regeln. Lars Castellucci, der Religionsbeauftragte der SPD, erklärt, wie das funktionieren soll.

Herr Castellucci, sind Sie religiös?

Lars Castellucci: Ja, Kirche gehört bei mir dazu, da hat vor allem meine Mutter dafür gesorgt, vom Kindergottesdienst bis zur Konfirmation. Ich habe sogar zehn Jahre einen evangelischen Kirchenchor geleitet.

Wann waren Sie zum letzten Mal in der Kirche?

Castellucci: Am Sonntag in der Gedächtniskirche in Speyer. Leider läutet dort immer gleichzeitig die Glocke der benachbarten katholischen Kirche, wenn bei uns der Gottesdienst läuft. Da müssen wir vielleicht mal einen runden Tisch machen.

Kann es sein, dass Sie in der Ampelkoalition einer der wenigen Gottesfürchtigen sind?

Castellucci: Das Gerede nach dem Motto, da sei jetzt eine ziemlich gottlose Bande am Ruder, geht mir ziemlich auf die Nerven. Das ist doch wirklich unbegründet. Außerdem ist Religion Privatsache.

Nun ja, im Koalitionsvertrag der alten Regierung war noch von „der christlichen Prägung unseres Landes“ die Rede. Bei der Ampel heißt es über die Kirchen und Religionsgemeinschaften eher kühl: „Wir schätzen und achten ihr Wirken.“

Castellucci: Mag sein, dass wir jetzt mit weniger Lyrik auskommen.

Die FDP hat sich schon in den 1970ern in ihren Freiburger Thesen für eine strikte Trennung von Staat und Kirchen eingesetzt. Damit steht sie bis heute aber allein.

Castellucci: Nun ja, Staat und Kirchen sind schon getrennt.

Aber nicht richtig.

Castellucci: Sie sind getrennt, aber in Kooperation miteinander verbunden. Mit diesem Modell sind wir gut gefahren. Allerdings brennt uns ein Thema schon unter den Nägeln: Bei den Staatsleistungen müssen wir eine Lösung finden.

Lars Castellucci



Lars Castellucci wurde 1974 in Heidelberg geboren und lebt in Wiesloch.

Der SPD-Politiker sitzt seit seit 2013 im Bundestag (Wahlkreis Rhein-Neckar).

Er ist geschäftsführender Vorsitzender des Innenausschusses.

Castellucci ist außerdem Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften der SPD-Fraktion. was

Der Staat zahlt der katholischen und der evangelischen Kirche jedes Jahr rund 600 Millionen Euro, weil er ihnen vor grauen Urzeiten Ländereien und Immobilien weggenommen hat.

Castellucci: Ja, das war im frühen 19. Jahrhundert. Zum Ausgleich leistet der Staat Zahlungen oder übernimmt zum Beispiel die Finanzierung einzelner Bischöfe. Die Ablösung der Staatsleistungen stand als Ziel schon in der Weimarer Verfassung und wurde ins Grundgesetz übernommen, aber keiner hat das Thema angepackt. Wir werden das jetzt tun.

Sie drehen den Geldhahn zu?

Castellucci: Ablösung bedeutet nicht einfach Abschaffung, sondern dass noch einmal ein Schlussbetrag gezahlt werden muss. Darüber müssen wir mit den Ländern und den Kirchen reden und werden eine Kommission bilden.

Eine Kommission? In der Regel passiert dann lange gar nichts.

Castellucci: Das wird in diesem Fall anders sein. Auch die Kirchen sagen, sie wollen diesen Klotz vom Bein haben. Aber es soll einvernehmlich gehen und von den Ländern auch umgesetzt werden können, die die Zahlungen zu leisten haben.

Über welche Größenordnung reden wir jetzt?

Castellucci: Das ist Gegenstand der Verhandlungen. Aber zwischen fünf und zehn Milliarden Euro werden es wohl werden. Deshalb hat ja bisher auch lieber niemand daran gerührt. Die Ablösung hat jedenfalls in „angemessener” Form zu erfolgen, das bedeutet, dass die Kirchen aus dem Ablösebetrag langfristig etwa die Summen erwirtschaften können, die heute jährlich gezahlt werden. Die Zahlungen einfach auslaufen zu lassen, fordert mittlerweile nur noch die AfD, die auf der anderen Seite vorgibt, das christliche Abendland retten zu wollen - das passt ja nun nicht zusammen.

Und wie sieht’s mit der Kirchensteuer aus? Vielen ist das ja ein Dorn im Auge, dass der Staat für die Kirchen Geld eintreibt.

Castellucci: Das kommt vor allem von Leuten, die ihre Nichtreligiosität zur Ersatzreligion machen oder nicht Bescheid wissen. Die Kirchen haben als Körperschaften öffentlichen Rechts die Möglichkeit, Mitgliedsbeiträge zu erheben. Das kann über die Finanzämter laufen. Die erheben übrigens von den Kirchen Gebühren, die mehr als kostendeckend sind. Das geht also nicht zulasten des Steuerzahlers. Deshalb ist das ein Verwaltungsarrangement, anders als die oben genannten Zahlungen, die aus öffentlichen Haushalten geleistet werden.

Der Missbrauch in der katholischen Kirche hat ja fast schon systemische Ausmaße, es gibt aber kaum Prozesse gegen die Amtsträger. Priester können Kinder missbrauchen, aber es geschieht nichts. Gibt es für die katholische Kirche einen rechtsfreien Raum?

Castellucci: Nein, gewiss nicht. Das Problem ist, dass viele Täter schon gestorben oder die Fälle verjährt sind und die Staatsanwälte dann nicht mehr aktiv werden können. Das ist schlimm für die vielen Opfer, die sich seit einigen Jahren melden und von dem an ihnen verübten Missbrauch erzählen. Aktuelle Fälle gehen sehr wohl vor Gericht, und die Prävention ist verbessert worden.

Sie sprechen von Verjährung. Das heißt im Umkehrschluss: Daran ist doch der Staat schuld, er hat einen rechtsfreien Raum geduldet und sich vor allem von der katholischen Kirche an der Nase herumführen lassen. Die hat ja versprochen, dass sie die Verbrechen in den eigenen Reihen selbst aufklärt. Sie hat aber nur auf Zeit gespielt.

Castellucci: Der Staat muss sich stärker einbringen, was die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs im Rahmen der Kirchen angeht. Das hat sich die neue Regierung in ihrem Koalitionsvertrag auch vorgenommen. Wir wollen unter anderem eine parlamentarische Begleitung der Aufarbeitungsprozesse, und dafür setze ich mich auch persönlich ein. Man sollte die Sache aber auch nicht zu einseitig sehen. Seit 2010 hat sich viel getan. Es gab runde Tische, Kommissionen und auch Gesetzesverschärfungen. Wir brauchen überall eine Kultur des Hinsehens, weil wir es eben mit einem gesamtgesellschaftlichen Phänomen zu tun haben. Wir müssen das Thema aus der Tabuzone herausholen, denn Missbrauch gibt es nicht nur in der Kirche, sondern auch im Sport oder vor allem in der Familie, die ja der gefährlichste Ort ist. Nur so können wir für die Zukunft das Menschenmögliche erreichen, solche Taten zu verhindern. Kinder zu schützen, muss uns sehr viel besser gelingen.

Noch mal: Hätte die Justiz nicht selbst tätig werden und härter durchgreifen müssen?

Castellucci: Diese Frage wird mir häufig gestellt. Kirchen haben nach unserer Verfassung einen geschützten Raum. Deshalb ist es möglicherweise leichter gefallen, vor einem Wirtschaftsunternehmen aufzufahren und Akten zu beschlagnahmen, als das vor einem Bistumshaus der Fall war. Das darf natürlich nicht sein. Allerdings wird das Ausmaß erst in den letzten Jahren deutlich, nachdem sich im Jahr 2010 ehemalige Schüler des Canisius-Kollegs in Berlin öffentlich geäußert haben. Es gibt weiterhin ein Dunkelfeld, über das wir zu wenig wissen. Es ist für alle Beteiligten eine Menge aufzuarbeiten und zu tun.

Die Vorwürfe gegen Kardinal Rainer Maria Woelki reißen nicht ab. Er hat inzwischen Papst Franziskus seinen Amtsverzicht als Kölner Erzbischof angeboten. Ist das nur ein taktischer Winkelzug?

Castellucci: Ich gehe davon aus, dass Papst Franziskus den Rücktritt nicht billigt und wir deshalb in einigen Wochen wieder da stehen, wo wir vorher schon waren: Niemand übernimmt Verantwortung. Ich habe hier keine Ratschläge zu erteilen, aber ohne ein klares öffentliches Zeichen kann kein Neuanfang gelingen.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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