Berlin. Die große Energiekrise ist erst einmal abgewendet. Nach zehn Tagen Wartung fließt wieder Erdgas durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 nach Deutschland. Doch ist den Lieferversprechen aus Russland zu trauen? Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) glaubt nicht daran. Er hat am Donnerstag ein neues Energiesicherungspaket vorgelegt. Es verpflichtet die Menschen in Deutschland zum Energiesparen, auch in den eigenen vier Wänden. „Der Gasverbrauch muss weiter runter, die Speicher müssen voll werden“, sagt er. Was jetzt auf Privatleute und Wirtschaft zukommt.
Wie viel Gas fließt aktuell nach Deutschland?
Nach zehn Tagen regulärer Wartung der Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 kommt in Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern) seit Donnerstagfrüh wieder Erdgas an, allerdings weit weniger als technisch möglich. Die Bundesnetzagentur rechnete am Donnerstag mit einer 40-prozentigen Auslastung, was dem Niveau vor dem Beginn der Wartung entspricht. Angekündigt waren zuletzt 30 Prozent. Russland hatte die Lieferungen über die Pipeline Mitte Juni um 60 Prozent gekürzt. Als Grund nannte Moskau eine defekte Turbine. Minister Habeck hält diese Begründung für vorgeschoben. „Wir wissen und wir wussten, dass genügend Turbinen vorhanden sind“, sagt er. Dennoch hat die Bundesregierung die Turbine aus einem Werk von Siemens Energy in Kanada nach Deutschland geholt. Wo sie aktuell ist, sagt Habeck nicht.
Entspannt sich die Lage jetzt wieder?
Nein, sagt CDU-Außenexperte Norbert Röttgen. Deutschland müsse sich immer noch darauf einstellen, dass der russische Präsident Wladimir Putin „den Hahn abdreht“, erklärte Röttgen im Deutschlandfunk. „Putin spielt mit unserer Abhängigkeit, die besteht, und er spielt auch mit unserer Angst“, sagte er. „Es ist ganz wichtig, dass wir lernen, an beiden seiner taktischen, machtpolitischen Spiele nicht teilzunehmen, und darum müssen wir raus aus der Abhängigkeit, so schnell es geht.“
Die Angst in der Bundesregierung vor einem vollständigen Stopp ist nach wie vor groß. Kanada habe viele Fragen gehabt zur Ausfuhr der angeblich benötigten Gasturbine für Nord Stream 1, sagte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bei einer Veranstaltung des Redaktionsnetzwerks Deutschland. „Da haben wir gesagt, das können wir verstehen, aber wenn wir die Gasturbine nicht bekommen, dann bekommen wir kein Gas mehr, und dann können wir überhaupt keine Unterstützung für die Ukraine mehr leisten, weil wir dann mit Volksaufständen beschäftigt sind“, so Baerbock.
Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung jetzt?
„Wir brauchen einen langen Atem. Der Winter, der kommt erst noch“, sagt Robert Habeck. Die Prognose für Lieferungen aus Russland sei extrem volatil, sagt auch Klaus Müller, Chef der Bundesnetzagentur, „wir wissen nicht, was in den nächsten Wochen kommt“. Um durch die nächsten beiden Winter zu kommen, müsse mehr Erdgas eingespart werden.
Konkret umfasst das neue Energiesicherungspaket, dass die Betreiberfirmen der Gasspeicher in Deutschland früher mehr Erdgas einlagern müssen als bisher. Bereits zum 1. September müssen die unterirdischen Kavernen zu 75 Prozent gefüllt sein. Zum 1. Oktober sind 85 statt bislang 80 Prozent vorgesehen – und zum 1. November steigt der Mindestwert von 90 auf 95 Prozent. Aktuell sind die Gasspeicher zu 65,1 Prozent gefüllt. Wegen der zwischenzeitlichen Unterbrechung der Gaslieferungen musste der Versorger Uniper an den vergangenen Tagen sogar Gas aus den Speichern entnehmen – dem will die Bundesregierung künftig einen Riegel vorschieben. „Es ist nicht richtig, in dieser Phase Gas aus den Speichern herauszugeben“, sagt Habeck. Mit den neuen Vorgaben will der Minister verhindern, dass Speicherbetreiber Gas verkaufen, wenn sie wegen hoher Preise ein gutes Geschäft machen könnten.
Neben Steinkohle sollen auch abgeschaltete Blöcke mit besonders umweltschädlicher Braunkohle wieder ans Netz gehen. Mit Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat Habeck Vorrang für Güterzüge mit Kohle und Öl auf den Schienenstrecken vereinbart. Auch soll die heimische Produktion von Gas steigen.
Was sind die Folgen für Bürgerinnen und Bürger?
Erstmals greift die Bundesregierung wegen der drohenden Gasnotlage in die Privatsphäre ein. Das Heizen von privaten Pools im Winter wird verboten. Staatliche Kontrollen werde es zwar wohl nicht geben. „Es ist gar kein Land, in dem ich leben möchte, wo man die Bürgerinnen und Bürger drangsaliert und kontrolliert“, sagt Habeck. Aber er sagt zugleich deutlich: „Wer im Moment mit Energie aast, der lebt an der Wirklichkeit vorbei“. Außerdem müssen Mieter nicht mehr bei Abwesenheit ihre Wohnung auf einer bestimmten Mindesttemperatur halten. Dies ist in vielen Mietverträgen vorgesehen.
Kalt werden wird es auch in vielen öffentlichen Gebäuden: Flure und Foyers, alle möglichen Räume, durch die man nur kurz durchgeht, sollen nach dem Willen der Bundesregierung nicht beheizt werden. Zudem sollen Menschen wieder verstärkt im Homeoffice arbeiten, da in den Wohnungen eh geheizt werde. Wer eine Gasheizung betreibt, wird zu einem verbindlichen Heizungs-check verpflichtet.
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