Brüssel. Es dauerte fast zwei Stunden, bis es erstmals wirklich hitzig wurde an diesem „Super-Dienstag“-Morgen im Brüsseler Europaparlament. Raffaele Fitto wurde „gegrillt?, wie die EU-Blase die Anhörungen der 26 designierten EU-Kommissare nennt – jener Mann, der in Brüssel seit Wochen für Gerangel und Gezänk sorgt, weil er der postfaschistischen Regierungspartei Fratelli d’Italia angehört und ein Verbündeter von Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ist.
In diesem Sinne schmetterte eine Grünen-Abgeordnete Fitto denn auch entgegen, er sei ein Symbol für „neofaschistische Schönfärberei“. Seine Eignung für die Rolle sei zweifelhaft. Der Italiener hörte sich die Tirade ruhig an, um sich dann sarkastisch für den „sehr konstruktiven und respektvollen“ Einwurf zu bedanken. Fittos gute Laune schien die Aufregung um seine Person nicht zu trüben. Er wusste, dass es während seiner Anhörung vor Europas Volksvertretern nur am Rande um fachliche Kompetenz gehen würde.
Fitto soll der für Verkehr und Regionalförderung zuständige Kohäsionskommissar werden, zudem als einer der exekutiven Vizepräsidenten fungieren. Erstmals würde ein Vertreter einer Rechtsaußenpartei ein so hohes Amt bekleiden. Es ist vorneweg diese Stellung, die die Mitte-Links-Parteien scharf kritisieren. Dementsprechend versuchte Fitto bereits in seinem Eingangsstatement zu beruhigen: „Ich bin nicht hier, um eine politische Partei zu vertreten, ich bin nicht hier, um einen Mitgliedstaat zu vertreten. Ich bin heute hier, um mein Engagement für Europa zu bekräftigen.“
Kritik an Fitto färbt auch auf Ursula von der Leyen ab
Nicht alle überzeugte die Versicherung. Er sei „völlig ungeeignet“ für das Amt, waren sich die Grünen-Politiker Daniel Freund und Rasmus Andresen einig. „Es spricht Bände, wie die AfD und andere rechte Parteien sich Fitto während der Anhörung angebiedert haben“, sagte Andresen, und Freund kritisierte, dass der Italiener sich „trotz mehrfacher Gelegenheiten nicht von der faschistischen Vergangenheit seiner Partei distanziert“ habe. Dabei zielt der Ärger von Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen auch auf EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ab. Warum berücksichtigte die Deutsche den Italiener überhaupt mit dem Vizepräsidentenposten? Die rechtskonservative EKR-Fraktion gehöre „nicht zur pro-europäischen Allianz, die von der Leyen gewählt hat und durch die kommenden fünf Jahre tragen kann“, so der SPD-Europaparlamentarier René Repasi. Die Kommissionschefin müsse „Farbe bekennen und die politische Entscheidung treffen, ob ihr der Gefallen für Giorgia Meloni wirklich wichtiger ist als eine solide Mehrheit im Parlament“.
Die christdemokratische Europäische Volkspartei (EVP) unter dem Vorsitzenden Manfred Weber (CSU) unterstützt Fitto derweil und betont gebetsmühlenhaft, dass es hier „um den Zusammenhalt Europas“ geht, indem man den drittgrößten EU-Mitgliedstaat, „bei der Stange hält“, wie ein Insider es nannte. Der ehemalige EU-Abgeordnete Fitto, der einst in der EVP war, bevor er 2015 in die rechtskonservative EKR-Fraktion wechselte, wird dagegen gerne als moderater Pragmatiker und europafreundlicher Brückenbauer gelobt. Dementsprechend forderten einige EVPler „Kompromissbereitschaft“, um Italien „eine gesichtswahrende Lösung zu geben“.
Sollten Europas Sozialisten bei ihrer Blockade bleiben, dürfte dies nicht ohne Folgen für ihre Wackelkandidatin auf der linken Seite sein: Teresa Ribera. Die spanische Sozialdemokratin soll Klimaschutz mit Wettbewerbsfähigkeit versöhnen und eine für Brüssel ungewöhnliche Machtfülle erhalten. Ebenfalls Teil der Verhandlungsmasse war der französische Liberale Stéphane Séjourné, der für den Posten des Industriekommissars vorgesehen ist. Weil dies einer der seltenen Momente ist, in denen das EU-Parlament wirklich Einfluss hat, werden die Machtspielchen besonders hart geführt. So drohen die einzelnen Lager mit einer Art „Shoot-out“ ganz nach Wild-West-Manier: Schießt ihr unseren Kandidaten ab, schießen wir euren ab. Alle drei könnten am Ende als Verlierer dastehen, falls beim Showdown im berüchtigten Brüsseler Hinterzimmer in den nächsten Tagen eine Seite zu früh zuckt. Damit droht das gesamte, von Ursula von der Leyen fein austarierte Kartenhaus in sich zusammenfallen.
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