Kiew. Nach Auslaufen der einseitig von Kremlchef Wladimir Putin ausgerufenen Feuerpause in der Ukraine hat das russische Militär das Land wieder stärker unter Beschuss genommen. In Charkiw kam nach ukrainischen Angaben eine Person ums Leben. Im Gebiet Donezk wurden die Städte Kramatorsk und Kostjantyniwka von russischen Raketen getroffen – acht Menschen wurden verletzt, eine Person kam ums Leben. Die ukrainische Seite meldete zudem russische Angriffe auf Saporischschja und mehrere Ortschaften im Gebiet Dnipropetrowsk. Das russische Militär attackierte auch ein Stadtviertel von Cherson.
Von einer einseitigen Waffenruhe konnte aber ohnehin keine Rede sein. Moskau hatte bereits am Samstag eingeräumt, weiterhin ukrainische Angriffe zu erwidern – noch während die insgesamt 36-stündige Waffenruhe offiziell in Kraft war. Putin hatte sie anlässlich des orthodoxen Weihnachtsfests bis Mitternacht (Ortszeit) von Samstag auf Sonntag angeordnet. Kiew hatte bereits die Ankündigung als Propaganda bezeichnet. Kurz vor dem offiziellen Ende der „Feuerpause“ sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, die Welt habe einmal mehr sehen können, wie falsch Aussagen aus Moskau seien.
Die ukrainische Seite meldete am Sonntag zudem russische Angriffe auf Saporischschja und mehrere Ortschaften im Gebiet Dnipropetrowsk. Das russische Militär attackierte demnach auch ein Stadtviertel von Cherson. „Für die Attacke haben sie Brandmunition verwendet“, teilte der Militärgouverneur der Region, Jaroslaw Januschewitsch, in seinem Telegram-Kanal mit. Die Genfer Konvention verbietet den Einsatz von Brandmunition gegen zivile Objekte. Verletzt oder getötet wurde demnach niemand.
Größte Fluchtbewegung seit 1939
Zwischen den Kriegsparteien findet nur beim Austausch von Gefangenen Dialog statt. Am Sonntag vollzogen Russland und die Ukraine den ersten seit dem Jahreswechsel. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau wurden 50 russische Soldaten ausgeflogen. Kiew berichtete, dass auf eigener Seite 33 Offiziere und 17 Mannschaftsdienstgrade befreit wurden.
Nach Einschätzung britischer Militärexperten befürchten russische Befehlshaber ukrainische Offensiven in den Regionen Luhansk oder Saporischschja. In den vergangenen Wochen habe Russland seine Verteidigungsstellungen in Saporischschja im Süden ausgebaut, hieß es im Kurzbericht des britischen Verteidigungsministeriums. „Die Art, wie Russland an der Verbesserung seiner Verteidigung gearbeitet hat, lässt darauf schließen, dass Befehlshaber sehr wahrscheinlich mit der Möglichkeit großer ukrainischer Offensiven beschäftigt sind – entweder in der nördlichen Region Luhansk oder in Saporischschja.“
Der russische Angriffskrieg hat nach Angaben des ukrainischen Ministerpräsidenten Denys Schmyhal ein 250 000 Quadratkilometer großes Minenfeld in seinem Land geschaffen. Das laut Schmyhal verminte Gebiet entspricht mehr als 40 Prozent der Landfläche der Ukraine.
Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR hat der Krieg zur größten Fluchtbewegung seit 1939 geführt. Das Ausmaß und die Geschwindigkeit seien ohne Beispiel in der Geschichte von Flucht und Vertreibung seit dem Zweiten Weltkrieg, hieß es am Sonntag in einer Mitteilung. „Mehr als 7,9 Millionen Menschen sind aus dem Land geflohen, weitere 5,9 Millionen sind innerhalb der Ukraine vertrieben“, sagte die UNHCR-Vertreterin in Deutschland, Katharina Lumpp. Knapp 14 Millionen Menschen entsprechen rechnerisch mehr als einem Drittel der Gesamtbevölkerung von etwa 41 Millionen. dpa
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