Rom. Freitag ist sein Tag. Gegen neun Uhr morgens setzt sich der Konvoi in Arcore bei Mailand in Bewegung. Der schwarze Audi und ein japanischer Kombi rollen dann die knapp 40 Kilometer von Silvio Berlusconis prächtiger Privatresidenz Villa San Martino nach Cesano Boscone. Dort muss Italiens viermaliger Ministerpräsident in einem Altenheim anrücken, um seine Strafe für einen Steuerbetrug in Sozialarbeit mit Alzheimer-Patienten abzuleisten.
Dabei sollte er heute gar nicht hier sein, sondern in Mailand. Dort hat an diesem Morgen der Berufungsprozess im Fall "Ruby" begonnen. Berlusconi wurde in erster Instanz wegen Amtsmissbrauch und der Prostitution Minderjähriger zu sieben Jahren Haft verurteilt.
Kampf ums politische Überleben
Es geht um die "Bunga-Bunga"-Feste, die nach der Lesart des Angeklagten lediglich unterhaltsame Treffen waren, bei denen ein paar älteren Männern mit vielen jungen Damen zu Abend gegessen hatten. Die Richter aus der ersten Instanz erkannten hingegen ein System der Prostitution zugunsten des ehemaligen Ministerpräsidenten, in dem auch die junge Marokkanerin Karima el-Marough alias Ruby Rubacuori ("Ruby Herzensbrecherin") eine tragende Rolle spielte.
Als sie im Mai 2010 nach einem Streit mit ihrer Mitbewohnerin in die Mailänder Polizeiwache gebracht wurde, drohte Berlusconis schlüpfriger Zirkus in Arcore aufzufliegen. Der damals noch amtierende Ministerpräsident telefonierte mitten in der Nacht eigenhändig mit den Funktionären in der Wache, verkaufte die minderjährige Prostituierte el-Marough als Nichte des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak und wurde deshalb später wegen Amtsmissbrauchs verurteilt.
Bestätigen die Berufungsinstanz und schließlich das Kassationsgericht dieses Urteil, wird Italiens umstrittenster Politiker endgültig von der politischen Bildfläche verschwinden. Sein Dasein müsste Berlusconi dann als knapp 80-Jähriger für Jahre im Hausarrest, also wohl im goldenen Käfig seiner Villa in Arcore fristen. Doch selbst als Verurteiltem gelingt es Berlusconi, politischen Profit aus seiner Lage zu ziehen.
Es sind kleine Geschichten wie diese, die der ehemalige Cavaliere nach außen dringen lässt. Vergangene Woche in Rom zum Beispiel, wo er laut richterlichem Beschluss trotz Verurteilung ein paarmal pro Woche seiner politischen Rolle als Chef der Forza Italia, der größten konservativen Oppositionspartei im Parlament, nachgehen darf. Am Ende der Konferenz plauderte Berlusconi aus dem Nähkästchen. Wie es im Altenheim denn so ist, wollten seine Anhänger wissen. "Ich füttere Omas", entgegnete der Ex-Ministerpräsident. Eine der Alzheimer-Patientinnen, so stellte es Berlusconi dar, habe er sogar dazu gebracht, wieder zu essen. "Mit der Flugzeugmethode", sagte der 77-Jährige. "Kommt ein Flugzeug geflogen, ooooooh, Mund aaauuuuf." Die Italiener sollen ruhig mitbekommen, wie ihr einzig wahrhaftiger und zu Unrecht verurteilter Staatsmann dementen Großmütterchen den Löffel in den Mund fliegen lässt. So lautet sein Kalkül.
Außer dem Ruby-Prozess muss sich Berlusconi noch in drei anderen Gerichtsverfahren verantworten, unter anderem wegen Bestechung von Abgeordneten und Bestechung von Zeugen. Bei Licht betrachtet, hatte er keine Chance mehr. Aber Silvio Berlusconi hat noch einen Plan: Straffreiheit. Einerseits startete er in Rom eine Kampagne zur künftigen Direktwahl des künftigen Staatspräsidenten, von dem er sich endlich Milde erhofft. Und dann ist da noch der "Pakt" mit dem amtierenden Ministerpräsidenten Matteo Renzi. Berlusconi will sich weiter an Reformen beteiligen, und im Gegenzug für die Reformierung des Landes Straffreiheit bekommen.
Aufstieg und Fall des Silvio Berlusconi
Der Medienzar gründet 1994 die Partei Forza Italia. Im selben Jahr wird er Regierungschef (bis 1995). 2001 kommt er erneut an die Regierung (bis 2006), 2008 wird er wieder Ministerpräsident. 2011 zwingen ihn rebellierende PdL-Mitglieder zum Rücktritt.
2012 wird Berlusconi wegen Steuervergehen zu vier Jahren Haft verurteilt. 2013 wird das Urteil rechtskräftig. 2014 wird die Strafe in Hausarrest umgewandelt. Er kann Sozialdienst in einem Altenheim leisten.
Im "Ruby-Prozess" wird er 2013 zu sieben Jahren Haft verurteilt, die Anwälte legen Berufung ein. dpa
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