Mannheim. Sahra Wagenknecht tritt bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen am 1. September zwar nicht an – doch ihr Konterfei schmückt natürlich die Wahlplakate zwischen Dresden und Erfurt. Das BSW setzt voll auf ihr Zugpferd. „Sahra Wagenknecht kennt in Sachsen jeder, den BSW-Spitzenkandidaten dagegen kaum einer“, sagt Matthias Jung von der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen.
Doch Wagenknecht will mit ihrem Einsatz im Wahlkampf nicht nur für das BSW alles herausholen, sondern – und das ist im politischen Geschäft völlig unüblich – auch bei möglichen Verhandlungen über eine Regierungsbeteiligung mitreden. Das hat Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) ziemlich aufgeregt. „Die Zeiten vom Politbüro sind vorbei, wo jemand in Berlin entscheiden konnte, was vor Ort passiert“, kritisierte er.
Doch damit nicht genug: Für rund zwei Drittel der Befragten im Politbarometer Extra spielen die Themen in Sachsen und Thüringen die wesentliche Rolle für ihre Wahlentscheidung, doch das interessiert Wagenknecht nicht. Sie will eine Regierungsbeteiligung des BSW davon abhängig machen, wie die möglichen Partner zum Beispiel zum Krieg in der Ukraine stehen. Ist das nicht absurd? Matthias Jung muss da ein bisschen ausholen. „Sahra Wagenknecht ist immer bundespolitisch unterwegs. Und mit dem Thema Ukraine kann sie im Osten natürlich punkten. Da sieht man ja auch, dass Wagenknecht eine kommunistische Vergangenheit hat, die ihre Russlandnähe erklärt“, sagt Jung und relativiert Wagenknechts Forderung: „Ob sich das angebliche Junktim mit der Bundespolitik dann wirklich in möglichen Verhandlungen niederschlägt, steht auf einem ganz anderen Blatt.“
Gut eine Woche vor dem Wahltermin unterscheidet sich die politische Lage in den zwei Bundesländern deutlich. In Sachsen zeichnet sich in den Umfragen ein knapper Sieger der CDU vor der AfD ab, während sich aus den Zahlen in Thüringen ein klarer Vorsprung der AfD vor der CDU ablesen lässt. SPD und Grüne können sich nicht sicher sein, dass sie wieder in die Landtage einziehen. Für die FDP sieht es sehr düster aus. Und wenn es ganz schlecht läuft, würden alle drei Ampel-Parteien an der Fünf-Prozent-Marke scheitern. Da niemand mit der AfD regieren will, käme zumindest in Thüringen, möglicherweise aber auch in Sachsen, dem BSW die Rolle des Königsmachers zu.
Allerdings sind die Unwägbarkeiten bei diesen Landtagswahlen größer als sonst. Der Grund: Mit dem BSW tritt erstmals eine neue Partei an. Das bereitet der Forschungsgruppe Probleme. „Die einzigen Erfahrungswerte, die wir bisher haben, sind die Ergebnisse des BSW bei der Europawahl, und die ist natürlich nur bedingt mit den Abstimmungen in Sachsen und in Thüringen vergleichbar“, sagt Matthias Jung. Die Wahlforscher spüren außerdem in ihrer täglichen Arbeit, wie feindlich die Einstellungen gegen die „Lügenpresseorgane sind, zu denen viele Ostdeutsche auch die Forschungsgruppe zählen“, so Jung.
In Sachsen könnte es für die CDU wieder reichen
Regierungschef Kretschmer will seine Kenia-Koalition mit SPD und Grünen fortsetzen. Wenn bereits an diesem Sonntag Landtagswahl wäre, würde es dafür reichen. Obwohl Kretschmer in den vergangenen fünf Jahren etwas an Zugkraft verloren hat, liegt er mit einem Imagewert von 1,9 deutlich vor Jörg Urban, dem Spitzenkandidaten der AfD, der mit minus 1,5 tief im Negativbereich liegt. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass zwei Drittel der Sachsen wollen, dass Kretschmer im Amt bleibt. Die CDU könnte demnach ihr Ergebnis von 2019 leicht verbessern. Sollte die Linke, die in der Umfrage bei vier Prozent liegt, es doch schaffen, müsste Kretschmer das BSW ins Boot holen. Vielleicht bräuchte er noch einen dritten Partner.
Obwohl Kretschmer im Wahlkampf mächtig gegen Wagenknecht lederte, weiß er, dass er notfalls auch mit dem BSW zusammenarbeiten muss. „Es sieht so aus, als wäre die CDU da schon in der politischen Wirklichkeit angekommen“, sagt Jung. Bei den Wählerinnen und Wählern ist das auf jeden Fall schon so. Während 38 Prozent der Sachsen eine Regierungsbeteiligung des BSW ablehnen, wollen zwei Drittel kein Bündnis der CDU mit der AfD.
In Thüringen werden die Karten völlig neu gemischt
In Thüringen stellt die Linke mit Bodo Ramelow ihren einzigen Ministerpräsidenten. Sein Imagewert ist mit 1,1 positiv, dennoch eher durchwachsen im Vergleich zur Wahl 2019 und zu den Regierungschefs anderer Bundesländer. Doch damit kann er die Konkurrenten alle in die Schranken weisen. Allerdings ist es praktisch ausgeschlossen, dass er Ministerpräsident bleiben kann, was sich rund zwei Drittel der Thüringer wünschen. In der Umfrage kommt die Linke nur noch auf 14 Prozent. Vor fünf Jahren wurde sie mit 31 Prozent erstmals auf Länderebene stärkste Partei – die Linke hat also mehr als die Hälfte der Stimmen verloren.
Auf jeden Fall werden die Karten völlig neu gemischt. Wenn die CDU an die Macht und die AfD verhindern will, muss sie sich mit dem BSW irgendwie einigen. Und was ist, wenn Wagenknecht Forderungen stellt, die die CDU nicht erfüllen kann? „Ich schließe für den Fall, dass überhaupt nichts geht, auch Neuwahlen nicht aus“, sagt Jung.
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