Interview

Olaf Scholz im Interview: „Natürlich kriegen wir das hin“

Olaf Scholz befindet sich nach seinem Frankreich-Urlaub auf politischer Sommerreise durch Deutschland. Die Umfragen sind mies, die Wirtschaft schwächelt, aber den SPD-Bundeskanzler ficht das erkennbar nicht an. Ein Interview

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Martin Debes
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Verteidigt die Politik der Ampel-Koalition: Bundeskanzler Olaf Scholz. © Andreas Arnold/dpa

Erfurt. Olaf Scholz befindet sich nach seinem Frankreich-Urlaub auf politischer Sommerreise durch Deutschland. Die Umfragen sind mies, die Wirtschaft schwächelt, aber den SPD-Bundeskanzler ficht das erkennbar nicht an. In Erfurt beantwortete er gut gelaunt auf einem Bürgerforum Fragen aus der Bevölkerung – und davor die Fragen dieser Redaktion.

Herr Bundeskanzler, ostdeutsche Sozialdemokraten beklagen, dass die Lohn- und Vermögenslücke zwischen Ost und West zunehmend zu einer Rentenlücke werde. Es rolle ein sozialer Tsunami auf uns zu – und die Bundesregierung müsse mehr dagegen tun. Haben sie recht?

Olaf Scholz: Die Lohndifferenz zwischen Ost- und Westdeutschland nimmt zwar endlich ab – aber sie ist noch da. Auch deswegen haben wir den Mindestlohn im vergangenen Herbst auf zwölf Euro angehoben. Dieser Schritt hat sich ganz besonders für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Ostdeutschland ausgezahlt.

Sie reden von einem Mindestlohn, der nicht einmal mit der Inflation steigen soll: 2024 auf 12,41 Euro und 2025 auf 12,82 Euro. Wie soll das zum Leben reichen?

Scholz: Ich hätte mir auch eine stärkere Erhöhung gewünscht. Und ich finde es sehr schade, dass die unabhängige Mindestlohnkommission zu keiner einvernehmlichen Entscheidung darüber gefunden hat. Sozialpartnerschaft bedeutet für mich, dass sich Arbeitgeber und Gewerkschaften zusammenraufen. Dieser Einsicht ist die Arbeitgeberseite diesmal leider nicht gefolgt. Ich bin aber zuversichtlich, dass die Kommission rasch wieder zu einem konstruktiven Miteinander findet.

Ihr SPD-Chef Lars Klingbeil will den Mindestlohn auf bis zu 14 Euro erhöhen. Wird sich die Bundesregierung wieder einmischen?

Scholz: Die Regierung hat den Mindestlohn deutlich angehoben auf zwölf Euro – dafür habe ich im Wahlkampf geworben mit der klaren Ankündigung, dass danach wieder die Sozialpartner die Verhandlungen übernehmen. Das ist ein bewährtes Prinzip – und ich setze darauf, dass es künftig funktioniert. Sowieso reicht der Mindestlohn allein nicht aus, damit sich die Löhne angleichen. Die Lohnlücke zwischen Ost und West zeigt, dass die Tarifbindung in großen Teilen der ostdeutschen Wirtschaft fehlt. Und dafür, das sage ich ganz klar, gibt es heute keinen Grund mehr. Denn auch in Ostdeutschland fehlen zunehmend Fachkräfte und Arbeitskräfte. Und das muss auch Konsequenzen für Löhne und Gehälter haben.

Selbst wenn Sie recht hätten: Den Menschen, die jetzt in Rente gehen und direkt in die Grundsicherung fallen, nützen Lohnerhöhungen wenig.

Scholz: Wir haben viele Maßnahmen gerade für Ältere ergriffen. Denken Sie nur an die Grundrente, die genau jenen Bürgerinnen und Bürgern hilft, die lange und fleißig gearbeitet haben, aber dafür keinen guten Lohn erhielten. Wir haben zudem die Erwerbsminderungsrente verbessert. Und die Rentenwerte in Ost und West befinden sich inzwischen auf demselben Niveau – ein Jahr vor der gesetzlich vorgeschriebenen Angleichung. Es ist also schon einiges passiert.

Wenn man Ihnen so zuhört, ist alles prima. Warum vertrauen dann laut Umfragen nur noch so extrem wenige Menschen der Regierung?

Scholz: Wir leben in Zeiten großer Herausforderungen. Nach zwei harten Jahren der Corona-Pandemie, in denen wir Hunderte Milliarden Euro ausgegeben haben, damit unser Land durch diese schwierige Zeit kommt, schloss sich im vergangenen Jahr der russische Überfall auf die Ukraine an – mit all seinen Folgen für die Ukraine, für Europa und für die Welt. Da Russland die Gaslieferung komplett stoppte, mussten wir zunächst unsere Energieversorgung sichern. Anders als von vielen vermutet hat das geklappt – und wir sind heil durch den Winter gekommen. Die Energiepreise sind aber deutlich gestiegen – um das für die Bürgerinnen und Bürger und für die Wirtschaft abzufedern, haben wir noch einmal 200 Milliarden Euro bereitgestellt.

Gleichzeitig macht uns der Klimawandel zu schaffen – und wir müssen, wie alle anderen Länder der Welt, bis Mitte dieses Jahrhunderts komplett klimaneutral wirtschaften, um unsere Klimaziele zu erreichen. Konkret heißt das, dass unsere Industrie dann weitgehend auf die Nutzung von Kohle, Erdgas und Erdöl verzichtet und neue Verfahren zur Produktion nutzt. Dafür braucht es massive Investitionen in neue Verfahren, neue Infrastruktur und Stromnetze. All das bringt naturgemäß Fragen mit sich, Sorgen und auch Verunsicherung – das verstehe ich gut. Wir sind aber auf einem guten Weg und werden diesen Umstieg gut hinbekommen.

Wir sind die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt. Wir sollten die deutsche Wirtschaftsleistung nicht schlechtreden
Olaf Scholz Bundeskanzler

Wir schaffen das?

Scholz: Natürlich kriegen wir das hin. Wir sind die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt. Wir sollten die deutsche Wirtschaftsleistung nicht schlechtreden. Ostdeutschland wird im Übrigen gerade durch riesige Investitionen in Magdeburg und Dresden zu einem globalen Zentrum der Halbleiterindustrie – was sich übrigens ebenfalls auf das Lohnniveau auswirken wird.

Bei der Ursachenforschung für die Vertrauenskrise im Osten stößt man auf eine interessante Zahl: Nur 6,8 Prozent der Spitzenbeamten in den obersten Bundesbehörden sind gebürtige Ostdeutsche. Die Daten hat Ihr Ostbeauftragter Schneider präsentiert. Was tun Sie, damit sich das ändert?

Scholz: Carsten Schneider hat die Daten erhoben, damit wir das Problem besser erkennen. Jetzt müssen wir das Problem angehen. Mein Ehrgeiz ist, diese Situation zu ändern.

Ihr Kabinett hat zusätzliche Datenerhebungen, Ursachenerforschung und andere „niederschwellige Maßnahmen“ beschlossen. Klingt nicht besonders ehrgeizig.

Scholz: Das Problem der Unterrepräsentation ist über Jahrzehnte entstanden in vielen einzelnen Einstellungsentscheidungen. Und es muss jetzt auch in einzelnen Einstellungsentscheidungen gelöst werden. Es geht darum, mehr Ostdeutschen Perspektiven für Karrieren im öffentlichen Dienst aufzuzeigen. Und es geht darum, das von Ihnen angesprochene Missverhältnis im Blick zu haben, wenn Personalentscheidungen anstehen. Es hat mich doch sehr gewundert, dass wir mehr als 30 Jahre keine Richterin und keinen Richter aus dem Osten am Bundesverfassungsgericht hatten. Das haben wir bereits geändert.

Es kann und darf keinerlei Zusammenarbeit mit dieser Partei geben. Die AfD hat gerade wieder auf ihrem Parteitag gezeigt, dass sie mit keiner anderen Parlamentspartei anschlussfähig ist
Olaf Scholz Bundeskanzler

Was aber nichts daran ändert, dass vor allem in Ostdeutschland die AfD zulegt. In Thüringen steht sie in Umfragen bei bis zu 34 Prozent. Hat die Strategie der Aus- und Abgrenzung versagt?

Scholz: Nein. Es kann und darf keinerlei Zusammenarbeit mit dieser Partei geben. Die AfD hat gerade wieder auf ihrem Parteitag gezeigt, dass sie mit keiner anderen Parlamentspartei anschlussfähig ist. Die AfD ist de facto für die Abschaffung der Europäischen Union, auf der unser Wohlstand beruht. Und vergessen wir nicht: Die deutsche Einheit haben unsere europäischen Nachbarn auch nur unterstützt, weil wir uns auch in der EU engagieren. Sie lehnt eine Gesellschaft des Miteinanders von Menschen, Regionen und Kulturen ab. Sie will spalten. Das schadet unserem Land und es schadet der Demokratie – das kann niemand wollen.

Zur Demokratie gehören Mehrheiten – die sich vor allem auf kommunaler Ebene immer wieder mit der AfD bilden. Lässt sich dieser Kurs in den Städten und Landkreisen durchhalten?

Scholz: Eindeutig ja. Ich sehe auch in den Kommunen keinen Anlass für eine Zusammenarbeit. Wenn mehr Geld in den Kindergarten investiert werden soll und die AfD einen entsprechenden Antrag stellt, dann müssen die anderen Parteien da nicht zustimmen, sondern können selbst einen solchen Antrag einbringen.

Ist das dann Demokratie?

Scholz: Ihre Frage irritiert mich. Natürlich ist das Demokratie. Und sie wird genauso seit langem im Bundestag und in Landtagen praktiziert. Da wird Anträgen der Opposition nahezu nie zugestimmt, auch schon bevor die AfD im Bundestag war, war das so. Nein, wer will, dass eine Kita gebaut wird, der kann einen solchen Vorschlag auch selbst einbringen. Dafür braucht er keine rechtsextreme Partei.

Aber wenn die Stimmen der AfD für die Mehrheit benötigt werden?

Scholz: Das ist doch keine Zusammenarbeit.

Aha. Wenn die Mehrheit dank der AfD entsteht, das ist dann egal?

Scholz: Mir scheint, hier wird etwas künstlich auf der kommunalen Ebene problematisiert, das weder im Bundestag noch in den 16 Landtagen zum Problem würde. Niemand sollte sich davon abhängig machen, wie die AfD abstimmt.

Es war und bleibt richtig, dass wir Waffen liefern, damit sich die Ukraine verteidigen kann. Wir sind inzwischen nach den USA das Land, das die meisten Waffen liefert
Olaf Scholz Bundeskanzler

Eine Frage zur Ukraine. Die Waffenlieferungen sind umstritten. Jetzt sollen angeblich Marschflugkörper geliefert werden. Wann fällt die Entscheidung?

Scholz: Es war und bleibt richtig, dass wir Waffen liefern, damit sich die Ukraine verteidigen kann. Wir sind inzwischen nach den USA das Land, das die meisten Waffen liefert. Gleichzeitig habe ich immer dafür gestanden, dass wir jede Entscheidung sehr genau abwägen. Denn wir müssen verhindern, dass der Krieg zu einer Eskalation zwischen Russland und der Nato führt. Deshalb haben wir keine Alleingänge unternommen.

Sie haben die Frage nicht beantwortet.

Scholz: Unser Schwerpunkt liegt unverändert darauf, Waffen zur Luftverteidigung zu schicken, schwere Artillerie und auch Panzer. Das ist unser Kurs, auf dem wir uns weiter bewegen werden, in enger Absprache mit unseren internationalen Partnern.

Das heißt?

Scholz: Das heißt: Es gibt in dieser Frage keinen neuen Sachstand mitzuteilen.

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