Clifton. Jenny Andelman kann es nicht mehr hören. Wie lange Mitt Romney Chef bei Bain Capital war, bis 1999 oder 2002. Ob er die Investmentfirma noch leitete, als er schon in Salt Lake City die Olympischen Winterspiele organisierte, ob es folglich noch auf seine Kappe ging, dass Bain in einem Schwung Tausende Arbeitsplätze nach Indien, China und Mexiko auslagern ließ. "Es ist mir egal", sagt Jenny. "Für mein Leben hat es nicht die geringste Bedeutung." Ihr Mann Robert, mit dem die Mittvierzigerin eine kleine Textildruckerei betreibt, winkt genervt ab. "Hör mal, Mitt Romney erzählt dir bloß, was für ein Versager der Präsident ist. Und der Präsident tut zu wenig, um eine positive Botschaft rüberzubringen."
Wem die Sympathien der Andelmans gelt, lässt sich schon an ihren marineblauen T-Shirts ablesen. "Small business owners for Obama", (Kleinunternehmer für Obama) steht auf dem Stoff. Von Begeisterung ist allerdings wenig zu spüren. "2008 ging es noch ums große Ganze", meint Robert. "Diesmal ist alles ein bisschen sehr kleinkariert."
Clifton, eine Kleinstadt in Virginia. In einer Schulturnhalle braucht Barack Obama zehn Minuten Anlauf, dann ist er bei dem Thema, das derzeit seinen Wahlkampf bestimmt. Romney, die Heuschrecke. Romney, der Spezialist für Steuerschlupflöcher. Romney, der eiskalte Kapitalist, der Unternehmen veranlasste, in Baltimore oder Cleveland massenhaft Stellen zu streichen und in Billigstandorte wie Bangalore oder Chengdu abzuwandern. "Mein Gegner hatte klare Vorstellungen, als unsere Autoindustrie vor dem Kollaps stand. Lasst Detroit bankrottgehen, das war sein Rezept."
Angriffslustig übers Pult gebeugt, die Stimme künstlich heiser gibt Obama den zornigen Volksredner. Es ist nicht sein Stil. Aber Obama wäre nicht Obama, würde er nicht auch ein paar gute Geschichten erzählen. Eine handelt von einer Urlaubsfahrt, die ihn als Elfjährigen quer durch die USA führte, begleitet von seiner Oma, Mutter und einer Halbschwester. Unterwegs waren sie meist in Greyhound-Bussen, und wenn es in den Motels ein Schwimmbecken gab, war es ein echter Höhepunkt, "selbst wenn der Pool kaum größer war als eine Pfütze". Die Zuhörer lachen, solche Herbergen kennen sie. Am Ende aber geht es wieder nur um den Kontrast zu Romney, dem Unternehmersohn, privilegiert seit seiner Geburt.
Der Republikaner erholt sich gerade in den Bergen New Hampshires, wo er ein stattliches Anwesen sein Eigen nennt. Neulich ließ er sich auf einem schnittigen Rennboot fotografieren, unangemessen sorglos lächelnd, wie seine Kritiker fanden. Ein Mensch von der Sonnenseite des Lebens, der die Normalverbraucher mit ihren Niedriglöhnen, zwei Jobs, Schuldenbergen, ihrem gepfändeten Häuschen schlicht nicht versteht - so wurde das Motiv interpretiert. Eine Steilvorlage für Obama, der prompt erzählt, dass er fast 40 war, als er seine Studentenkredite endlich abgestottert hatte.
Vor vier Jahren waren "hope" und "change" die Schlüsselvokabeln. In Clifton fallen die Worte Hoffnung und Wandel kein einziges Mal. Im Mittelpunkt steht die Warnung vor dem Einzug eines egoistischen Geldjongleurs ins Weiße Haus.
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