Südamerika - Nirgendwo sonst sterben so viele Menschen bei Polizeieinsätzen wie in Brasilien / Präsident Bolsonaro begrüßt Härte

„Nur ein toter Bandit ist ein guter Bandit“

Von 
Martina Farmbauer
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Rio de Janeiro: Sicherheitskräfte patrouillieren in der Favela Babilonia, einer der vielen Armensiedlungen in der Millionenmetropole Brasiliens. © Fabio Teixeira/dpa

Rio de Janeiro. João Pedro Mattos war gerade 14 Jahre alt, als ihn eine Polizeikugel in den Rücken traf. Mit ein paar Freunden und Verwandten saß er im Haus seines Onkels, als die Polizei auf der Suche nach Drogenhändlern die Nachbarschaft in São Gonçalo durchpflügte. Die Beamten stürmten in den Hof und eröffneten das Feuer – João Pedro blieb in einer Blutlache liegen.

In keinem anderen Land der Welt kommen so viele Menschen bei Polizeieinsätzen ums Leben wie in Brasilien. Im vergangenen Jahr töteten Sicherheitskräfte in dem südamerikanischen Land 5804 Menschen, wie aus einem Gewaltmonitor hervorgeht, der vom Nachrichtenportal G1, dem Brasilianischen Forum für öffentliche Sicherheit und der Universität von São Paulo betrieben wird. Zum Vergleich: In den USA erschossen Polizisten im vergangenen Jahr 1098 Menschen.

Immer wieder geraten Unschuldige ins Kreuzfeuer: Im vergangenen Jahr wurde ein achtjähriges Mädchen bei einem Gefecht zwischen Sicherheitskräften und einer Drogengang erschossen. In einem anderen Fall durchsiebten Soldaten das Auto eines Musikers mit 80 Schüssen – der Mann starb wahrscheinlich, weil die Militärs ihn mit einem Verdächtigen verwechselt hatten. Rund 75 Prozent der von der Polizei getöteten Menschen sind dunkelhäutig.

Militärisches Vorgehen

„Jeder, der aus einer Favela kommt, ist verdächtig“, sagt Neila Marinho, die in der riesigen Armensiedlung Complexo do Alemão in Rio de Janeiros lebt und selbst immer wieder ohne ersichtlichen Grund kontrolliert wird.

Beobachter kritisieren vor allem das militärisch geprägte Vorgehen der Spezialeinsatzkräfte, die aus ihrer Sicht bei Razzien in den Favelas wenig Rücksicht auf Unbeteiligte nehmen. Vor den Olympischen Spielen 2016 erprobte Rio einen neuen Ansatz: So genannte Befriedende Polizeieinheiten (UPP) wurden in den Favelas stationiert. Sie sollten in den Vierteln dauerhaft Präsenz zeigen und mit der Bevölkerung zusammenarbeiten. Doch das Projekt scheiterte, auch weil flankierende infrastrukturelle und soziale Maßnahmen fehlten.

Allerdings: Viele Armenviertel werden von schwer bewaffneten Drogenbanden kontrolliert. Rückt die Polizei in den Favelas ein, um einen Haftbefehl zu vollstrecken oder nach Rauschgift zu suchen, werden sie nicht selten mit Salven aus Sturmgewehren empfangen. Die Operationen in den Ganglands von Rio de Janeiro und São Paulo gleichen eher Militäreinsätzen als Polizeimaßnahmen.

In der Metropole Rio de Janeiro stieg die Zahl der von Sicherheitskräften Getöteten seit 2018 deutlich, als das Militär begann, sich an Polizeieinsätzen zu beteiligen. Kritiker machen auch das politische Klima für die Gewaltwelle verantwortlich: So schlug Rios Gouverneur Wilson Witzel vor, dass Scharfschützen aus Hubschraubern heraus auf Bewaffnete in den Favelas schießen sollen. Brasiliens rechter Präsident Jair Bolsonaro spricht sich dafür aus, dass Polizisten nicht juristisch belangt werden können, wenn sie im Einsatz Menschen töten. Der Hauptmann der Reserve findet: „Nur ein toter Bandit ist ein guter Bandit.“ 

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