Integration - Regelmäßig wollen Politiker Vollverschleierung in der Öffentlichkeit verbieten / Polizei wiegelt ab

„Nur ein theoretisches Problem“

Von 
Barbara Klauß
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Frauen, die Nikab tragen, stehen vor dem dänischen Parlament in Kopenhagen. In Dänemark darf das Gesicht in der Öffentlichkeit nicht mehr verhüllt werden. © dpa

Mannheim. „Wenn ein Mann den Anblick einer Frau nicht ertragen kann, soll er sich eine Augenbinde nehmen und nicht sie zur Vollverschleierung zwingen.“ Diese Sätze stammen von Julia Klöckner, der CDU-Landesvorsitzenden in Rheinland-Pfalz. Gesagt hat sie diese bereits im Jahr 2016. Doch spricht sich die heutige Bundeslandwirtschaftsministerin immer wieder dafür aus, die Vollverschleierung in der Öffentlichkeit zu verbieten. Eine Forderung, die regelmäßig auftaucht. So brachte die Alternative für Deutschland (AfD) im Februar einen Antrag im Bundestag ein. Wie groß aber ist das Problem, vor das Frauen unsere Gesellschaft stellen, indem sie ihr Gesicht verhüllen?

In Weinheim sorgte im Frühjahr der Fall einer Frau für Aufsehen, die sich beim Passamt der Kommune weigerte, ihren Schleier abzulegen. Eine Mitarbeiterin der Stadt wies sie daraufhin ab, weil sie die Identität der Frau nicht klären konnte. Auch zu einem Empfang im Rathaus wurde die vollverschleierte Frau später nicht zugelassen. Ein Einzelfall? Oder ein alltägliches Problem?

Nachfrage bei den Innenministerien: In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sind keine weiteren solcher Fälle bekannt. Leitlinien oder ähnliches für Kommunen oder Behörden zum Umgang mit derartigen Situationen existierten nicht, wie Ministeriumssprecher erklären. „Da es in der Praxis keine größeren Probleme gibt, sehen wir auch keinen Bedarf für eine Regelung“, sagt etwa der Sprecher in Stuttgart. Das hessische Innenministerium äußert sich auf Anfrage nicht zum Thema.

Polizei zeigt sich gelassen

Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) sieht keine größeren Schwierigkeiten – in keinem der drei Bundesländer. Bernd Kuske-Schmittinger, Geschäftsführer der GdP in Hessen erklärt: „Gemessen an den anderen Problemen, die wir haben, ist das eher marginal.“ Ähnlich formuliert es Errnst Scharbach, rheinland-pfälzischer Landesvorsitzender der GdP: „Das ist ein theoretisches Problem.“

Immerhin gebe es klare Regelungen, wann das Gesicht in der Öffentlichkeit nicht verhüllt sein dürfe, sagt Scharbach. Etwa beim Autofahren. Diese Vorschriften seien allerdings alt. „Das kommt aus der Fasnachtszeit, in der die Leute mit Clownsmasken durch die Stadt gerast sind.“ Klar: Der Fahrer eines Autos muss identifiziert werden können. Aber durch eine Fußgängerzone könne jeder gehen wie er wolle – „solange er oder sie nichts anstellt“, fügt Scharbach hinzu.

Es gibt weitere Regelungen. So besteht bereits seit den 1980er Jahren ein Vermummungsverbot. Wer an Veranstaltungen wie etwa Demonstrationen teilnimmt, darf sein Gesicht nicht so verhüllen, dass er die Feststellung seiner Identität verhindert, etwa mit einer Sturmhaube. Das gilt auch in Fußballstadien. Im Sommer 2017 trat außerdem ein Gesetz in Kraft, das es Beamten und Soldaten untersagt, ihr Gesicht während der Arbeit zu verhüllen. Außerdem werden verschleierte Frauen dazu verpflichtet, ihr Gesicht zu zeigen, wenn ihre Identität festgestellt werden muss, zum Beispiel bei einer Ausweiskontrolle. Ein generelles Vollverschleierungsverbot im öffentlichen Raum wie etwa in Frankreich gibt es damit in Deutschland allerdings nicht.

Hans-Jürgen Kirstein, Landesvorsitzender der GdP in Baden-Württemberg, bekräftigt: Gerade bei Großveranstaltungen – wie eben Fußballspielen – sei es enorm wichtig, dass die Kollegen die Leute überprüfen könnten. „Wenn es um die Eigensicherung geht, darf kein Schleier die Kontrolle verhindern“, sagt er. „Wer in einem Rechtsstaat leben will, muss das hinnehmen.“

In seltenen Einzelfällen gebe es Schwierigkeiten, wenn die Identität festgestellt oder ein Führerschein überprüft werden müsse, erklärt der Sprecher des baden-württembergischen Innenministeriums. Doch könnten solche Situationen in aller Regel geklärt werden, indem eine Beamtin an den Einsatzort käme oder die Person mit aufs Revier komme, wo eine Polizistin die Überprüfung übernehmen könne.

Betrachten Polizisten Gesichtsschleier in der Öffentlichkeit denn als Sicherheitsrisiko? „Eigentlich nicht“, sagt Gewerkschafter Scharbach. „Eine vollverschleierte Frau, die einen Kinderwagen durch die Fußgängerzone schiebt, erregt erst einmal nicht meinen Verdacht“, sagt er. „Wenn jemand eine Bombe zünden will, kann er das verschleiert oder unverschleiert tun.“

Viele Medizintouristinnen

Von einer vollkommen verzerrenden Debatte spricht die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor – angesichts der geringen Anzahl von Frauen, die einen Gesichtsschleier tragen (siehe nebenstehenden Arttikel). „Wir diskutieren das anhand einer absoluten Minderheit.“ Zwar könne es sein, dass es in manchen Stadtteilen mehr vollverschleierte Frauen gebe als in anderen. Allerdings dürfe man nicht vergessen, dass unter ihnen auch manche Medizintouristin sei. Gerade in großen Kliniken wie etwa in Heidelberg, München, Mainz, Bonn oder Wiesbaden werden etliche Araber behandelt, die oft in Begleitung von Angehörigen nach Deutschland reisen. „Die Frauen sieht man dann in den Nobeleinkaufsvierteln. Und mit denen hat in der Regel niemand ein Problem“, sagt Kaddor. Weil sie Geld ins Land bringen, weil Händler, Hotels und Kliniken gut an ihnen verdienen. Und weil sie nicht hier leben. Von ihnen fühlten sich die Menschen nicht so provoziert oder in ihrer eigenen Identität bedroht, sagt die Islamwissenschaftlerin.

Mit dem Thema Vollverschleierung, meint Kaddor, müsse sich die Öffentlichkeit durchaus beschäftigen – allerdings konstruktiv, ohne ganzen Gruppen Stereotypen zuzuordnen oder sie abzuwerten. „Wir dürfen diesen Diskurs nicht von Rechts gestalten lassen“, meint sie. Und: „Wenn die Diskussion genutzt wird, um einen Keil in die Gesellschaft zu treiben, schadet sie eher.“

Wenige verhüllen ihr Gesicht

Wie viele Frauen gibt es in die Deutschland, die ihr Gesicht in der Öffentlichkeit verschleiern, also Burka oder Nikab tragen? Erfasst wird diese Zahl nicht, weder von den Statistischen Landes- noch vom Bundesamt. Auch der deutschen Bundesregierung liegen nach eigenen Angaben keine Erkenntnisse über die Anzahl der Burkaträgerinnen vor. Der Politologe und Islamwissenschaftler Hamed Abdel-Samad wurde vor zwei Jahren mit der Aussage zitiert, in Deutschland gebe es etwa 300 Burka-Trägerinnen. Das sei allerdings nur eine Schätzung, erklärte Abdel-Samad damals der Zeitung „Die Zeit“. Eine Grundlage für diese Zahl habe er nicht.
Die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor spricht mit Blick auf vollverschleierte Frauen von einer Zahl im niedrigen dreistelligen Bereich. Sie bezieht sich auf den wissenschaftlichen Dienst des Bundestages. Der Zentralrat der Muslime teilt mit: „Burka-Trägerinnen sind uns keine bekannt.“ Zum Nikab verweist ein Sprecher auf Zahlen des französischen Innenministeriums für das Jahr 2011: Dort habe es rund 2000 Nikab-Trägerinnen gebeben – bei etwa 6 Millionen Muslimen. „Bei 4 Millionen Muslimen in Deutschland und dem größten Teil aus der Türkei, wo die Vollverschleierung verpönt ist, dürfte der Anteil verschwindend gering sein.“ kla

Die Situation in Europa

  • Frankreich ist im April 2011 das erste europäische Land, das Vollverschleierungen in der Öffentlichkeit untersagt. In Belgien gilt ein Verbot seit Juli 2011.
  • Die Niederlande kommen im November 2016 hinzu: In Krankenhäusern, Schulen und im öffentlichen Nahverkehr dürfen keine Burkas und Nikabs mehr getragen werden, auf Straßen und Plätzen hingegen schon. Auch in Bulgarien ist das öffentliche Verhüllen seit 2016 verboten.
  • In Deutschland sind Burka und Nikab nicht generell untersagt. Doch es gibt Einschränkungen: Als erstes Bundesland erlässt Hessen 2011 ein Verbot, das aber nur im öffentlichen Dienst gilt.
  • In Österreich gilt seit Oktober 2017 ein Verhüllungsverbot. Es verbietet das Tragen von Gesichtsverhüllungen wie Burka oder Nikab, aber – von Ausnahmen abgesehen – auch von tief in das Gesicht gezogenen Schals, Atemschutz- oder Faschingsmasken. dpa

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