Berlin. Bei der Bahn, im Handwerk, in der Pflege und im ganzen Bildungsbereich sowieso: In der Bundesrepublik fehlen Fachkräfte, an fast allen Stellen. Dabei sind viele von ihnen schon da, können aber nicht so viel arbeiten, wie sie gern möchten. Warum Frauen ein Schlüssel zur Lösung sein könnten und was die Politik dafür tun muss – ein Überblick.
Arbeiten Männer und Frauen unterschiedlich viel?
Die Bundesregierung stellt die Diagnose in ihrer Fachkräftestrategie selbst: „Deutschland hat mittlerweile eine der höchsten Erwerbstätigenquoten von Frauen in Europa“, heißt es da optimistisch, nur um gleich im nächsten Satz die frohe Botschaft einzuschränken: „Allerdings arbeitet gut jede zweite weibliche Beschäftigte in Teilzeit.“ Unter den Männern liegt dieser Anteil nur bei elf Prozent. Tatsächlich ist die Teilzeitquote unter weiblichen Beschäftigten laut der Bundesagentur für Arbeit im vergangenen Jahrzehnt sogar gestiegen. Von zweieinhalb Millionen Frauen, die zwischen den Jahren 2011 und 2021 als sozialversicherungspflichtig Beschäftigte dazukamen, entschieden sich zwei Millionen für einen Job in Teilzeit. Im europäischen Vergleich hat Deutschland damit eine der höchsten Teilzeitquoten für Frauen überhaupt, nur Österreich, die Schweiz und die Niederlande liegen noch darüber.
Warum arbeiten so viele Frauen in Teilzeit?
Ein Grund für diesen Befund ist: Weil viele von ihnen Kinder haben, die betreut werden müssen. Die Quote der unter Dreijährigen, die Kitas oder ähnliche Einrichtungen besuchen, liegt gegenwärtig knapp über einem Drittel und steigt nur langsam. Das liegt unter anderem daran, dass trotz Rechtsanspruch immer noch zahlreiche Plätze fehlen. Und selbst wer einen Kita-Platz hat, kann sich in einem System, das an der Belastungsgrenze steht, nicht immer darauf verlassen.
Doch Qualität und Verfügbarkeit von Kinderbetreuung seien nicht das einzige Problem, erläutert die Soziologin Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. „In Deutschland herrscht nach wie vor die gesellschaftliche Norm, dass Kinder zu ihren Müttern und Mütter zu ihren Kindern gehören“, sagt die Wissenschaftlerin, die seit Langem zu Geschlechtergerechtigkeit forscht. Das spiegele sich auch im Arbeitsleben. „So zeigt unsere Forschung, dass Frauen, die im Lebenslauf eine längere Elternzeit angeben, bei der Rückkehr in den Arbeitsmarkt eher zu Vorstellungsgesprächen eingeladen werden als Frauen, die nach der Geburt ihres Kindes nur kurz pausiert haben“, erklärt Allmendinger. „Das unsägliche Bild der ‚Rabenmutter‘ scheint immer noch zu wirken.“
Zudem gebe es nach wie vor sehr starke institutionelle Anreize für Frauen, nur in Teilzeit zu arbeiten – das Ehegattensplitting beispielsweise. Das subventioniere mit Milliarden die aktuelle Situation, erklärt Allmendinger, „und sagt Frauen deutlich, wo ihr gesellschaftlich erwünschter Platz ist“.
Welchen Effekt hätte eine höhere Erwerbstätigkeit von Frauen?
Das Bundesarbeitsministerium von Hubertus Heil (SPD) hofft, das Arbeitszeitvolumen von Frauen insgesamt erhöhen zu können und verspricht sich davon einen erheblichen Beitrag zur Linderung der Fachkräftekrise. Schon eine zehnprozentige Erhöhung des Arbeitsumfangs von Frauen in Teilzeit, sagt ein Sprecher auf Anfrage, würde 400 000 zusätzlichen Vollzeitstellen entsprechen. Zielmarke für das Jahr 2030 ist eine Erwerbstätigenquote unter Frauen von 80 Prozent. Derzeit liegt die Quote für Frauen im Alter von 20 bis 64 bei 75 Prozent. Hier wird allerdings nicht unterschieden zwischen Teil- und Vollzeit. Mehr Frauen in Vollzeitstellen hieße außerdem: Weniger Frauen, die in einigen Jahren oder Jahrzehnten in Altersarmut rutschen. Denn langjährige Teilzeitbeschäftigungen sind einer der wichtigsten Risikofaktoren für Altersarmut von Frauen.
Was soll politisch passieren, um das zu fördern?
Die Fachkräftestrategie der Bundesregierung nennt mehrere Ansätze, mit denen die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP es für Frauen einfacher und attraktiver machen will, ihre Arbeitszeit zu erhöhen. Eine Weiterentwicklung des Steuerrechts ist da beispielsweise vorgesehen, außerdem will die Koalition Reformen auf den Weg bringen, die „Erwerbsanreize“ bei niedrigen Löhnen zu verbessern. Übersetzt heißt das: Wer mehr arbeitet, soll auch tatsächlich mehr Geld haben und nicht am Ende möglicherweise schlechter dastehen, weil zum Beispiel mehr Unterstützungsleistungen wegfallen, als Lohn dazukommt.
Und der Staat will darauf hinwirken, dass Paare ihre Arbeit gleichberechtigter aufteilen. Das soll etwa dadurch erreicht werden, indem sogenannte Vätermonate im Elterngeld und eine zweiwöchige Freistellung von Vätern nach der Geburt ausgeweitet weden, die allerdings erst 2024 kommen soll.
Sechs Monate Elternzeit, die nur gezahlt werden, wenn die Väter sie in Anspruch nehmen – das wäre ein echter Fortschritt, sagt Jutta Allmendinger. Die Produktivität von Frauen würde damit gestärkt, die von Männern nicht wesentlich geschmälert. „Damit würden wir einen echten Wechsel erreichen und signalisieren: Unsere Erwartungen an die Rollenverteilung ändern sich.“
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