Kommentar

Moralische Bankrotterklärung

Von 
Dirk Hautkapp
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Berlin. Das Niederschmetterndste am Massenmord an einer Grundschule in Texas ist die Tatsache, dass vor zehn Jahren der Sündenfall in Newtown geschehen ist. 20 tote Kinder - das hätte in jeder halbwegs intakten Gesellschaft eine Kurswende verursacht. Nicht so in Amerika. Bei genauem Hinsehen hat sich seit "Sandy Hook" nichts geändert an einem Befund, der einer moralischen Bankrotterklärung gleichkommt: In Amerika ist der Schulbesuch zum russischen Roulette geworden. Die Freiheit, Waffen tragen zu dürfen, steht über dem Recht auf Unversehrtheit der Jüngsten.

Der Widerstand der Amerikaner gegen eine Waffenkontrolle, die Exzesse durch psychisch gestrandete Einzelgänger verhindern würde, ist in den Jahren von Obama über Trump bis zu Biden abseits miniaturhafter Korrekturen fast unverändert geblieben.

Mythen, die in der amerikanischen Seele und Folklore verwurzelt sind und in der Verfassung ihren Niederschlag gefunden haben, befördern bis heute die hemmungslose Beschaffung von massakertauglichen Schießeisen. Darum gehört es zu den hässlichen Begleiterscheinungen eines jeden Amoklaufs, dass die Aktien von Waffenschmieden steigen und Tausende sich (noch) schnell ein Schnellfeuergewehr kaufen, wenn die ritualhaften Tränen getrocknet sind.

Es ist kein Zynismus: Ein (viel zu großer) Teil der US-Öffentlichkeit akzeptiert Tragödien wie die in Uvalde insgeheim als Kollateralschaden. Das Recht auf Schusswaffen wird höher bewertet. So stehen sich ideologisch festgefahrene Lager blockierend gegenüber, die zwar ungeborenes Leben durch hässliche Eingriffe in die weibliche Autonomie schützen wollen, durch destruktives Nichtstun aber dem nächsten Amoklauf den Boden bereiten.

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