Washington. Bevor Barack Obama über Paragrafen spricht, zitiert er aus einem Brief. "Ich fürchte nicht um meine Sicherheit, ich mache mir Sorgen um andere", schrieb die elfjährige Julia Stokes aus Washington nach dem Blutbad von Newtown ans Oval Office. "Ich habe vier Brüder und Schwestern, und ich weiß, dass ich es nicht verkraften würde, würde ich einen von ihnen verlieren." Sie wisse ja, es sei der Kongress, der Gesetze beschließe. Dennoch bitte sie den Präsidenten, sein Möglichstes zu versuchen. "Julia, ich werde mir größte Mühe geben", sagt Obama und appelliert an den gesunden Menschenverstand der Abgeordneten auf Capitol Hill. Selbst wenn sich mit besseren Novellen auch nur ein einziges Leben retten lasse, stehe man in der Pflicht, es zu versuchen.
Auftritt mit vier Schülern
33 Tage nach dem Amoklauf an der Sandy-Hook-Grundschule skizziert der Präsident, wie er die Waffengesetze verschärfen will. Es ist ein Auftritt voller Emotionen. Vier Schüler, allesamt Absender knapper, aufrüttelnder Zeilen, stehen neben Obama auf der Bühne, als er die Amerikaner bittet, in sich zu gehen und danach ihren Volksvertretern ins Gewissen zu reden. Er rüttle nicht am Verfassungsgrundsatz, der das Recht auf privaten Waffenbesitz garantiere, betont Obama. Man könne ihn respektieren und zugleich härter daran arbeiten, Feuerwaffen fernzuhalten von "gefährlichen Leuten".
Kern des Pakets ist ein Verbot bestimmter Sturmgewehre, wie sie zur Ausrüstung von Soldaten gehören, aber nach Überzeugung der Regierung in Privathaushalten nichts zu suchen haben. 1994 hatte Bill Clinton einen solchen "Assault Weapons Ban" durchgeboxt. Unter George W. Bush lief das Gesetz 2004 aus.
Zweitens sollen Magazine mit über zehn Patronen aus den Ladenregalen verschwinden. Der Amokläufer von Newtown hatte Magazine mit 30 Schuss benutzt, so dass er selten nachladen musste. Drittens plant das Oval Office, die Personaldaten eines jeden Waffenkunden mit einer computergesteuerten Zentralkartei abzugleichen, damit Vorbestrafte oder mental Kranke, sofern sie registriert sind, keine Waffen erwerben können. Derzeit werden potenzielle Käufer nur geprüft, wenn sie ihre Ware bei Händlern mit amtlicher Lizenz erstehen. Gun Shows dagegen - ad hoc organisierte Basare in Baracken oder unter Zeltbahnen, bei denen die Überprüfungen meist entfallen - lassen eine scheunentorgroße Hintertür offen. Wer seine Flinte privat erwirbt, kann sich das Datenprozedere gleichfalls ersparen. Rund 40 Prozent aller verkauften Schusswaffen wechseln entweder bei Gun Shows oder reinen Privatgeschäften den Besitzer; dieses Schlupfloch will Obama schließen.
Nur, um seinen Katalog in den drei wichtigsten Punkten umzusetzen, ist er auf Beschlüsse des Parlaments angewiesen. Die Phalanx konservativer Republikaner, die in staatlichen Vorschriften jeglicher Art reflexartig Angriffe auf individuelle Freiheiten vermutet, hat bereits Widerstand angekündigt. Aber auch im Lager der Demokraten gibt es Freunde der Waffenlobby, der National Rifle Association (NRA).
Wie die Lobby die Emotionen zu schüren versteht, beweist sie mit einem TV-Spot, in dem sie Obama als "elitären Heuchler" verspottet. Der Streifen zeigt zwei Bodyguards, die Pistolen griffbereit. Mister President lasse seine Töchter auf Schritt und Tritt beschützen, donnert eine sonore Bassstimme, sträube sich aber gegen bewaffnete Wächter an den Schulen, wie es die NRA vorgeschlagen habe. "Sind die Kinder des Präsidenten wichtiger als eure?"
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