„Mein Wunsch ist das Wahlrecht ab 16“

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas will noch vor der nächsten Bundestagswahl eine weitere Wahlrechtsreform auf den Weg bringen

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Verteidigt die Wahlrechtsreform: Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. © Kappeler/dpa

Frau Bas, die Ampel-Parteien haben sich auf eine Reform des Wahlrechts geeinigt, um den Bundestag zu verkleinern. Demnach kann es passieren, dass ein Kandidat durch die Erststimmen seinen Wahlkreis direkt gewinnt – aber trotzdem nicht in den Bundestag einzieht. Ist das gut für die Demokratie?

Bärbel Bas: Das bisherige Wahlsystem führt dazu, dass der Deutsche Bundestag durch Überhang- und Ausgleichsmandate unkalkulierbar wachsen kann. Das möchten die Bürgerinnen und Bürger nicht. Damit der Bundestag nicht von Legislaturperiode zu Legislaturperiode größer wird, musste ein System gefunden werden, das die Zahl der Abgeordneten deckelt. Das ist nun gelungen, auch wenn es zur Folge hat, dass dann nicht mehr alle direkt gewählten Kandidatinnen und Kandidaten in den Bundestag einziehen, wenn das Zweitstimmenergebnis ihrer Partei den Einzug nicht abdeckt. Ich halte das nicht für demokratiefeindlich. Populisten können jetzt argumentieren, dass nicht alle Wählerstimmen gezählt werden. Das trifft auch jetzt schon auf die Parteien zu, die nicht über die Fünf-Prozent-Hürde kommen. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von uns zu Recht, dass der Bundestag nicht noch größer wird. Wir haben momentan 736 Abgeordnete, ich bekomme jetzt schon Briefe mit der Beschwerde, warum die Reform das Parlament auf 630 Abgeordnete begrenzt – anstatt den Bundestag auf die ursprüngliche Regelgröße von 598 zurückzuführen.

Ist es gut, eine so grundlegende Reform ohne die Opposition zu beschließen?

Bas: Eine breite Zustimmung wäre am besten gewesen, am liebsten von allen Parteien im Bundestag. Das ist uns aber trotz vieler unterschiedlicher Vorschläge und langer Diskussionen in den zurückliegenden Legislaturperioden nicht gelungen. Würde man jetzt zur Voraussetzung machen, dass alle zustimmen, hätten wir nie eine grundlegende Reform des Wahlrechts hinbekommen. Und der Schaden für die Demokratie wäre am Ende größer.

Ist der Schaden nicht noch größer, wenn die Reform vom Bundesverfassungsgericht kassiert wird?

Bas: Klagen sind ja schon angekündigt worden. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Vergangenheit Urteile zum Wahlrecht gefällt, in denen die Grundsatzentscheidung im Bundeswahlgesetz für eine Verhältniswahl gestützt wurde. Also: Schon immer war die Zweitstimme entscheidend für die Stärkeverhältnisse im Bundestag. Die Reform der Ampel unterstreicht diese Bedeutung, indem sie künftig auch den Einzug der Wahlkreiskandidatinnen und -kandidaten von der Zweitstimmendeckung abhängig macht. Das ist der Weg, um die Überhang- und Ausgleichsmandate zu verhindern, die zu einer nicht kalkulierbaren Größe des Bundestages führen.

Schauen wir mal! Die Koalition hatte sich noch mehr vorgenommen, Stichwort gleiche Verteilung von Männern und Frauen im Bundestag. Kommt da noch etwas?

Bas: Der Frauenanteil im Bundestag verharrt etwa bei einem Drittel. Das finde ich persönlich absolut nicht richtig. Wir müssen einen verfassungskonformen Weg finden, wie wir die 50:50 mindestens bei der Kandidatenaufstellung durch die Parteien erreichen. Das wird in dieser Wahlperiode die zweite spannende Debatte zum Wahlrecht. Die Wahlrechtskommission soll spätestens zur Jahresmitte einen Bericht vorlegen, darin wird es Empfehlungen zur Parität geben. Ich hoffe, dass wir bis zum Ende der Legislaturperiode auch dazu eine Entscheidung treffen.

Ein anderes Projekt der Koalition ist, das Wahlrecht für Bundestagswahlen auf 16 Jahre zu senken.

Bas: Mein persönlicher Wunsch ist es, in dieser Wahlperiode noch ein Paket zum Wahlrecht zu schnüren. Darin können neben der Parität im Bundestag das Wahlrecht ab 16 und eine Verlängerung der Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre enthalten sein. Aber das wird schwierig: Denn für eine Senkung des Wahlalters ist eine Grundgesetzänderung nötig, die hierfür erforderliche Mehrheit kommt aber nur mit CDU und CSU zustande. Die Union ist bisher dagegen und tut sich außerdem schwer mit einer gesetzlichen Verankerung der Parität. Deswegen wird die Auseinandersetzung um weitere Wahlrechtsreformen noch kompliziert. Es wäre gut, wenn wir einen politischen Kompromiss finden.

Ein Jahr nach Kriegsbeginn wird gerade aus der SPD gefordert, mehr über diplomatische Bemühungen zu sprechen. Teilen Sie das Anliegen?

Bas: Die Menschen erwarten, dass wir nicht nur über Waffenlieferungen diskutieren. Sie erwarten, dass wir auch versuchen, diplomatische Kanäle offen zu halten. Das sind keine Gegensätze. Es kann dabei aber nicht darum gehen, dass Deutschland von außen sagt „Jetzt setzt euch mal an einen Tisch“. Das können nur Selenskyj und Putin entscheiden. Wenn es aber zu Verhandlungen zwischen den beiden kommt, muss man das von außen dann auch stützen und diplomatisch begleiten – zum Beispiel durch Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Wir brauchen in jedem Fall einen Plan für den Tag X, wenn Verhandlungen beginnen. Solange dieser Tag aber noch nicht eingetreten ist, müssen wir die Ukraine weiter unterstützen.

Wie stabil ist der Rückhalt für die Ukraine bei den Deutschen?

Bas: Bei der Mehrheit der Deutschen gibt es nach wie vor eine große Solidarität. Wir müssen uns aber fragen, ob die Bürgerinnen und Bürger auf Dauer den langen Atem haben. Die Solidarität lässt sich nur erhalten, wenn wir die Menschen weiter unterstützen. Der Krieg in der Ukraine hat auch Auswirkungen bei uns.

Was meinen Sie konkret?

Bas: Wir müssen jetzt vor allem die besonders belasteten Kommunen bei der Unterbringung von Geflüchteten stärker unterstützen. Es geht um Wohnraum, Schulplätze und die Frage, wie Städte wie meine Heimatstadt Duisburg ihre Kosten erstattet bekommen. Es darf nicht sein, dass die Kommunen ihre Mittel für die Geflüchteten umschichten und bei anderen Aufgaben sparen. In den Kommunen merken die Bürgerinnen und Bürger zuerst, wenn etwas schiefläuft. Da bricht es am ehesten auseinander. Wenn hier zusätzliche Unterstützung nötig ist, müssen wir das als Staat sicherstellen. Die Bürgerinnen und Bürger dürfen sich nicht alleingelassen fühlen. Heizen, Miete, Lebensmittel – auch der persönliche Kostendruck ist bei vielen hoch. Wir haben bereits drei Entlastungspakete auf den Weg gebracht. Möglicherweise brauchen wir auch noch ein viertes oder fünftes. Niemand kann sagen, wie lange dieser Krieg noch geht und wie lange die Solidarität aufrechterhalten bleiben muss. Wir dürfen über die Unterstützung der Ukraine nicht die soziale Gerechtigkeit vergessen.

Bärbel Bas

Bärbel Bas (54) ist seit Oktober 2021 Bundestagspräsidentin. Die SPD-Politikerin sitzt seit 2009 im Parlament.

Ihre politische Karriere begann die Duisburgerin als Ratsherrin ihrer Heimatstadt.

Nach einem Hauptschulabschluss absolvierte sie mehrere Aus- und Fortbildungen, zuletzt zur Personalmanagement-Ökonomin.

Bas ist verwitwet und kinderlos. zrb

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