Interview

Mannheimer Politikwissenschaftler zu Landtagswahlen: "Für Scholz ist es schon eng"

Der Mannheimer Politikwissenschaftler Thomas König erklärt, warum die AfD bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen so stark zugelegt hat. Warum er eine Regierungsbildung in Thüringen für sehr schwierig hält

Von 
Walter Serif
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Der Wahlkampfeinsatz hat sich für Kanzler Olaf Scholz und seine SPD nicht gelohnt. © Hendrik Schmidt und Thomas Tröster

Mannheim. Herr König, die AfD hat in Thüringen ihre erste Landtagswahl gewonnen. Ist das nicht eine Bankrotterklärung für die liberale Demokratie?

Thomas König: Eine Bankrotterklärung würde ich das nicht nennen.

Warum denn nicht?

König: Es lässt sich ja erklären, warum die AfD besonders in Thüringen so erfolgreich war.

Warum?

König: Weil viele Wählerinnen und Wähler unzufrieden mit der aktuellen Politik waren, vor allem mit der der Bundesregierung. Und dann gab es einen besonderen Umstand vor fünf Jahren, als Frau Merkel mit großem Applaus während eines Staatsbesuchs in Südafrika den gewählten FDP-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich wegputschte, weil er damals Stimmen von der AfD, der CDU und der FDP bekommen hatte.

Sie haben das schon damals als einen Fehler bezeichnet, waren mit dieser Meinung aber in Ihrer Zunft eher in der Minderheit.

König: Mag sein. Wenn man die Messlatte aber nicht nur auf die Empörung am aktuellen Tag anlegt, sondern auch über die Zeit hinaus, kann man das Wahlergebnis in Thüringen auch als eine Art Widerwillen oder gar Rebellion dagegen interpretieren, sich von Berlin etwas vorschreiben zu lassen.

Thomas König

  • Thomas König (63) stammt aus Münster.
  • König ist seit 2007 Professor für Politikwissenschaft und Europäische Politik an der Universität Mannheim. Königs Schwerpunkte sind unter anderem die Konfliktforschung und das Regierungssystem in Deutschland

Nicht nur in Thüringen, auch in Sachsen hat jeder Zweite für die AfD aus Überzeugung gestimmt. Sie hat jetzt also eine Menge Stammwähler.

König: Wenn man unter Stammwähler versteht, dass man mindestens zweimal für eine Partei gestimmt hat. Es gibt aber unterschiedliche Motive bei der Wahlentscheidung, und da haben wir in einer Untersuchung ein interessantes Ergebnis festgestellt.

Verraten Sie es uns.

König: Vor allem die Wählerinnen und Wähler der AfD stimmen nicht nur für diese Partei, weil sie mit deren inhaltlichen Positionen übereinstimmen, sondern weil sie sich mit der AfD identifizieren und deshalb an sie emotional gebunden sind. Unabhängig vom Ergebnis sind solche emotionalen Wähler besonders stark mit einer Partei verhaftet.

Sie wählen die AfD also, obwohl diese keine Chance hat, an die Regierung zu kommen?

König: Genau. Und sie wählen sie auch, obwohl die AfD als gesichert rechtsextrem gilt und in Thüringen mit Björn Höcke ihr radikalster Vertreter Spitzenkandidat war.

Das Direktmandat hat Höcke an einen CDU-Mann verloren. Er zieht aber über die Landesliste ein.

König: Höcke hat ja auch keine besonders guten Imagewerte. Entscheidend ist die emotionale Bindung der Wähler an die AfD, weniger dagegen das Personal oder die inhaltlichen Positionen, die auf dem Tisch liegen.

Die AfD hat in Thüringen eine Sperrminorität, sie kann eine Änderung der Landesverfassung verhindern, genauso wie die Wahl von Richtern und Staatsanwälten.

König: Das wäre natürlich besorgniserregend. Parteien, die grundsätzlich etwas am politischen System einer liberalen Demokratie ändern wollen, legen immer gerne Hand an die Justiz. Das ist in den USA genauso wie in Polen oder Ungarn, weil vor allem die Unabhängigkeit der Gerichte einer Richtungsänderung im Wege steht. Über kurz oder lang will die AfD dann natürlich auch ihre eigenen Richter aufstellen. Das birgt in der Tat großen Sprengstoff.

Dass die AfD in Sachsen und Thüringen stark abschneiden würde, ist keine große Überraschung, der rasante Aufstieg einer neuen Partei wie Sahra Wagenknechts BSW aber schon.

König: Das stimmt. Beide Parteien sind stark nationalistisch ausgerichtet und wollen das nationale dem internationalen Recht voranstellen. Dazu gehört auch das Asylrecht. AfD und BSW stellen zudem wegen ihrer Putin-Freundlichkeit die historische Westorientierung der Bundesrepublik infrage, also die Mitgliedschaft in Nato und EU.

In Thüringen müsste die CDU nicht nur mit dem BSW koalieren, sie wäre auch noch auf die Stimmen der Linkspartei angewiesen.

König: Sie sollten nicht nur auf die CDU schauen. Ihr Szenario setzt voraus, dass BSW und Linke zusammenarbeiten, und da dürfte die Freundschaft nicht besonders groß sein. Schließlich ist der größte Teil der Stimmen, die die Linke verloren hat, an das BSW gegangen. Was die CDU betrifft, bei ihr sind die Grenzen zum Vorrang des nationalen Rechts zurzeit fließend. Beispielsweise hat Friedrich Merz das Individualrecht auf Asyl infrage gestellt. Solche Aussagen erleichtern eine Zusammenarbeit mit dem BSW.

SPD, Grüne und FDP sind in Sachsen und Thüringen nur noch Splitterparteien. Kann die Ampel in Berlin einfach weiterregieren, als wäre nichts passiert?

König: Was wäre denn die Alternative? Würden Sie unter diesen Umständen Neuwahlen anberaumen, bei denen die FDP vielleicht nur noch bei ein oder zwei Prozent landen, die SPD die Kanzlerschaft verlieren und die Grünen ohne Koalitionsalternative dastehen würde?

Als die SPD 2005 die NRW-Landtagswahl verlor, hat sich der damalige Kanzler Gerhard Schröder für Neuwahlen entschieden.

König: Aber Sie wissen auch, dass es Schröders eigene Partei und nicht der Koalitionspartner war, die ihn damals im Prinzip zu dieser Entscheidung gezwungen hat.

Und was ist, wenn die SPD in drei Wochen auch noch ihren Ministerpräsidenten in Brandenburg verliert? Wird es dann nicht eng für den Bundeskanzler?

König: Ich glaube, es ist schon eng für Olaf Scholz. Und das liegt vor allem daran, dass diese Koalition nicht mehr miteinander, sondern gegeneinander arbeitet. Sie legen sich ständig Steine in den Weg, weil keiner dem anderen traut oder etwas gönnt. Das ist wie in einer Ehe, die sich im Laufe der Zeit zu einem Rosenkrieg entwickelt. Am Anfang ihrer Regierung fühlten sich die Partner wie in den Flitterwochen, Scholz hat damals in seiner Regierungserklärung viel von Aufbruch und einem neuen Politikstil gesprochen. Wir wissen heute, was daraus geworden ist. Spätestens seit dem Heizungsgesetz geht nichts mehr in der Koalition ohne Streit und Missgunst. Das Katastrophale daran ist jedoch, dass für den Wähler der Eindruck entsteht, die Partner handeln nur noch irrational gegeneinander, statt Probleme gemeinsam zu lösen, auch wenn die Ampel durchaus Erfolge aufzuweisen hat.

Wie würden Sie denn die Landtagswahlen im großen Maßstab bewerten? In Sachsen und Thüringen leben nur wenige Wähler.

König: Wenn ich mir die parteipolitische Landkarte anschaue, würde ich sagen, sie ist jetzt in der Verteilung bunter geworden, es hat sich aber grundsätzlich nicht viel verändert.

Naja, die AfD hat verglichen mit den Umfragen auf Bundesebene in Sachsen und Thüringen doppelt so viele Stimmen bekommen.

König: Die AfD wird auch in Westdeutschland viel mehr Stimmen bekommen, wenn es so weitergeht wie bisher. Die Ausprägungen im Osten mögen stärker sein, aber klar ist, dass die Linke viel von ihrem Potenzial an Wagenknechts BSW verloren und die AfD vor allem vom Unmut über die Ampel profitiert hat. Die Koalitionsparteien sind weiter im Sinkflug, und die CDU konnte sich einigermaßen halten. Der große Gewinner ist aber die AfD, denn das BSW hat nur die Linke gespalten, aber der AfD wenig geschadet.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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