Münster. Auf seine Mittelständler lässt Winfried Kretschmann nichts kommen. "Sie sind das Rückgrat der baden-württembergischen Wirtschaft", sagt der Ministerpräsident. "Sie schaffen die Arbeitsplätze, die wir brauchen." Eine Vermögenssteuer, räumt er ein, könnten diese Betriebe in konjunkturell guten Zeiten vielleicht verkraften. "Aber in schlechten Zeiten geht es sofort an die Substanz."
Vier Stunden später hat der mit Abstand populärste Grüne eine empfindliche Niederlage erlitten. Mit klarer Mehrheit spricht sich seine Partei auf ihrer Bundesdelegiertenkonferenz in Münster nicht nur für eine Wiedereinführung der 1995 vom Verfassungsgericht gestoppten Vermögenssteuer aus. Auch das Ehegattensplitting wollen die Grünen auslaufen lassen, sobald sie wieder regieren. Alle Paare, die neu heiraten, sollen dann nicht mehr in den Genuss dieses Steuervorteils kommen. Dafür sollen Familien und Alleinerziehende gezielter gefördert werden. Wie genau, lässt die Partei im Unklaren.
Typisch grüne Debatte
Es ist eine typisch grüne Debatte, die die mehr als 800 Delegierten da führen, weil immer alles mit allem zusammenhängt: Die Ökologie mit der Gerechtigkeit, die Defizite im Bildungssystem mit dem Aufstieg der AfD, das Steuersplitting mit der Emanzipation und ganz offenbar auch die Zigarette zwischendurch mit dem Investitionsstau in Städten und Gemeinden. "Ein Land, in dem Raucher doppelt so viel zum Steueraufkommen beitragen wie Vermögende, ein solches Land ist nicht gerecht," tobt der frühere Umweltminister Jürgen Trittin, der kurz nach Kretschmann spricht. Spätestens damit ist die Richtung klar, die dieser Parteitag nehmen wird.
Sollten die Grünen nach der Bundestagswahl mit anderen Parteien über eine Koalition verhandeln, werden sie dort auch eine Vermögenssteuer für Superreiche fordern. Wie hoch die sein soll, ab welchen Einkommen sie greifen soll, bleibt wie beim Ersatz für das Ehegattensplitting offen an diesem turbulenten Nachmittag. Fraktionschef Anton Hofreiter verspricht lediglich, dass es Ausnahmen für Unternehmen geben soll, die in wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecken.
Nach langem Streit hat die Partei damit zwar Klarheit für sich geschaffen - viele grüne Pragmatiker aber erinnert die Debatte in Münster an den verpatzten Bundestagswahlkampf vor drei Jahren, als die Partei mit einem Programm voller Steuererhöhungen und einem Wahlergebnis von 8,4 Prozent weit unter den Erwartungen blieb. "Es fehlt nicht an den Mitteln", sagt die Neu-Ulmer Abgeordnete Ekin Deligöz, eine der Wortführerinnen des Realo-Flügels und als Mitglied im Haushaltsausschuss des Bundestages eine Frau vom Fach. ,,Es fehlt am Mut, das Geld richtig einzusetzen." Unter den 330 Milliarden Euro, die der Bund im nächsten Jahr ausgebe, fänden sich jede Menge ökologisch schädliche Subventionen, die man abschaffen könnte, um das so Ersparte dann mit neuen Prioritäten auszugeben.
Nicht minder umstritten als das Thema Vermögensteuer ist der Auftritt von Daimler-Chef Dieter Zetsche zum gestrigen Abschluss des Parteitages. Zwei Anträge, den Konzernchef gar nicht erst reden lassen, lehnen die Delegierten zwar ab - allerdings nur mit knapper Mehrheit. Als der 63-jährige dann auf der Bühne in Münster steht, dauert es ein paar Minuten, eher er überhaupt loslegen kann, so laut sind die Pfiffe und Proteste im Saal. Zetsche allerdings, in Jeans und offenem Hemd, singt nicht das hohe Lied auf den Verbrennungsmotor, sondern bekennt sich ausdrücklich zum Elektroauto. Schon jetzt, rechnet er vor, investiere sein Unternehmen dreimal so viel in die neuen, umweltfreundlichen Antriebstechnologien wie in die Verbesserung von Dieselmotoren und Benzinern. Allerdings fragt er die Delegierten auch, wie grün ein E-Auto denn in Wirklichkeit ist, ,,so lange der Strom dafür aus Kohle gewonnen wird".
Vermögensteuer: Wollen die Grüne für "Superreiche", ohne zu ...
Vermögensteuer: Wollen die Grüne für "Superreiche", ohne zu definieren, wer das ist.
Erbschaftsteuer: Nur wenn das Bundesverfassungsgericht die zuletzt erzielte Neuregelung für Firmenerben wieder kippt, wollen die Grünen hier ran.
Ehegattensplitting: Wollen die Grünen abschaffen, weil es Unverheiratete und Alleinerziehende benachteilige. Wer schon verheiratet ist, für den soll alles beim Alten bleiben.
Hartz-IV-Sanktionen: Sollen komplett abgeschafft werden.
Spitzensteuersatz: Soll nach dem Willen der Grünen erst ab 100 000 Euro Jahreseinkommen für einen Single greifen.
Kohleausstieg: Die Grünen wollen bis 2025 aus der Stromerzeugung aus Braunkohle aussteigen.
Verkehrswende: Ab 2030 wollen die Grünen keine Neuzulassungen mehr für Autos mit Verbrennungsmotoren.
Islamverbände: So, wie die muslimischen Verbände gerade organisiert sind, wollen die Grünen sie nicht als Religionsgemeinschaften anerkennen. Das würde ihnen viel mehr Rechte geben. dpa
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