Berlin. Vor einigen Monaten taucht eine Meldung auf, die kaum beachtet wird. Die französische Polizei rückt aus, ein Einsatz in der Hafenstadt Marseille. Drei Kabel an einer Datenstation sind zerstört, sauber durchschnitten, absichtlich. Sabotage. „Die Arbeit von Profis“, sagt der Manager der französischen Telekommunikationsfirma Nesca Group. Zehn Internetanbieter sind betroffen, melden Störungen. Auch in Deutschland registrieren Techniker den Vorfall.
Marseille ist so etwas wie das digitale Tor Europas Richtung Nahost und Asien. Hier landen Unterseekabel an, die aus Ägypten kommen und bis nach China reichen. Hier kommt und geht Datenstrom in zentimeterdicken Kabeln unter Wasser bis auf andere Kontinente. Was in Marseille an Daten wiederum anlandet, läuft über Land auf Internetautobahnen durch die EU – auch nach Frankfurt, Deutschlands größtem Internetknotenpunkt.
Mehr als 95 Prozent des weltweiten Internetverkehrs laufen durch diese Unterseekabel. Knapp 500 Verbindungen verlaufen auf Meeresböden des Atlantiks, des Pazifiks, des Mittelmeers oder der Nord- und Ostsee, insgesamt mehr als 1,3 Millionen Kilometer. Die Kabel sind das „Rückgrat der globalen Wirtschaft“, wie ein EU-Bericht festhält. Ohne sie steht die Welt still. Schon der Ausfall des Netzes von nur einigen Minuten kann „verheerende Auswirkungen“ auf die Finanzwirtschaft haben – mit enormen Schäden.
Laufend debattiert die Politik über kritische Infrastruktur wie Terminals am Hamburger Hafen, die Regierung schützt das Bahnnetz und die Kraftwerke, der Generalbundesanwalt ermittelt zu den Anschlägen auf die Ostsee-Gaspipelines. Doch über die digitalen Internetautobahnen spricht kaum jemand. Und zugleich sind sie der wunde Punkt des Internets.
„Daten im großen Stil erfasst“
Der Cyberexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, Daniel Voelsen, sieht drei Gefahren für Deutschland: Spionage, Sabotage und zu große Abhängigkeit. „Wir haben durch die Enthüllungen von Snowden erfahren, dass Informationen und Daten im großen Stil durch britische und amerikanische Geheimdienste erfasst wurden. Wir müssen davon ausgehen, dass auch andere Staaten wie China und Russland über die Fähigkeit verfügen, Daten an Unterseekabeln abzugreifen“, sagt Voelsen im Gespräch mit dieser Redaktion. Beim großen NSA-Abhörskandal, der vor rund zehn Jahren bekannt wurde, beteiligten sich amerikanische und britische Untersee-Infrastruktur-Firmen an staatlicher Spionage.
Besonders gefährdet für Datenangriffe und Sabotage sind die Landestationen der Kabel. Wie etwa in Marseille. 250 Unterseeleitungen verbinden die EU mit dem weltweiten Internet.
Anfang 2022 schlagen britische Sicherheitsbehörden Alarm, weil sie „Unterwasseraktivitäten“ von russischen Spionageschiffen geortet hätten, die „direkt auf das Kabelsystem abzielen“. Ähnliche Warnungen kamen auch von US-Geheimdiensten und der Nato-Führung. Ein Szenario: Russische U-Boote könnten die Kabel durchtrennen. Beweise gibt es dafür bisher nicht. Die Technik ist den Amerikanern jedoch bekannt, sie selbst nutzen Spionage-U-Boote.
Immer wieder kommt es zu verdächtigen Ausfällen, so wie in Marseille. Zugleich kann die Polizei fast nie die Täter ermitteln. Und tatsächlich sind nicht selten Fischkutter mit ihren Netzen oder starke Unwetter verantwortlich für Schäden.
Immerhin: Seit März fallen zumindest die Betreiber der Landestationen unter die „kritische Infrastruktur“. Sie unterliegen einer Meldepflicht, müssen Sicherheitsstandards erfüllen, werden durch die Netzagentur beaufsichtigt. Aber reicht das? Der EU-Bericht sieht abseits von Frankreich, Portugal und Irland nur „begrenzte Aufmerksamkeit“ in den europäischen Staaten für die Kabelsicherheit.
Die Leichtfertigkeit ist bemerkenswert. Denn die USA und China pumpen gerade Milliarden in diese Kabel. Es ist ein Unterwasserwettkampf der beiden großen Volkswirtschaften ausgebrochen. „China expandiert und holt bei Marktanteilen auf“, sagt Experte Daniel Voelsen. „Vor allem der Markt in Afrika ist umkämpft.“ Deutschland müsse ähnlich wie bei Rohstoffen aufpassen, dass die Abhängigkeit zu China nicht zu groß werde. Welche Folgen das haben kann, erlebt Deutschland nach dem Ausbruch des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine auf dem Energiemarkt.
Auch IT-Konzerne mischen mit
Hinter dem Kampf um Marktanteile stehen nicht nur Regierungen, sondern auch IT-Konzerne. Amazon und Microsoft, aber auch Facebook und Google investieren nach der Einschätzung von Fachleuten in die Unterseekabel. China stand bei der Technik lange in Abhängigkeit westlicher Firmen. Doch das Blatt wendet sich. China kauft systematisch Schlüsseltechnologien auf. Und bietet günstige Preise, weil der Staat die Firmen mitfinanziert.
2018 begann ein Konsortium chinesischer Firmen den Bau des „Peace -Cable“, eines 15 000 Kilometer langen Unterseekabels, das am Ende Singapur mit Pakistan, Kenia und Europa verbinden soll. Der große Teil der Leitung ist fertig. Sie landet in Marseille an. Mit dabei: Unternehmen wie China Mobile und China Telecom – Firmen, die US-Behörden als „Bedrohung für die nationale Sicherheit“ bewerten.
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