Berlin/Mannheim. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) spricht im Interview über den Bundestagswahlkampf und das Krisenmanagement in der Corona-Pandemie.
Herr Spahn, vor eineinhalb Jahren waren sie als Gesundheitsminister frei nach Franz Josef Strauß everybody’s darling, jetzt könnte man sagen, Sie sind everybody’s Depp. Wie kommen Sie damit klar?
Der Konservative
Jens Spahn wurde am 16. Mai 1980 in Ahaus (Nordrhein-Westfalen) geboren.
Der CDU-Politiker sitzt seit 2002 im Bundestag. Von 2015 bis 2018 war er Parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium. Im Mai 2018 wurde Spahn Gesundheitsminister. Seit Januar 2021 ist er stellvertretender Parteivorsitzender.
Spahn wird dem konservativen Flügel der CDU zugerechnet. Im Dezember 2018 kandidierte er für den CDU-Vorsitz. Er unterlag aber schon im ersten Wahlgang. Die Stichwahl gewann Annegret Kramp-Karrenbauer gegen Friedrich Merz.
Als AKK zurücktrat, wurde auch Spahn als Bewerber für den CDU-Vorsitz genannt. Spahn einigte sich aber vorab mit NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und begnügte sich mit dem Vize-Posten. Auch Spahns Verzicht auf die Kanzlerkandidatur war ein Teil des Deals. Laschet wurde im März 2021 zum Parteichef gewählt und setzte sich dann im April gegen seinen Widersacher Markus Söder (CSU) durch. wa
Jens Spahn: Die Pandemie ist für Gesundheitsminister kein Schonwaschgang. Die Regierung hatte am Anfang der Krise einen großen Bonus. Andersherum gab es während des langen Lockdowns im Winter auch viel Frust. Beides geht dann mit dem Gesundheitsminister nach Hause. Entscheidend ist für mich, dass wir Deutschland gut durch die Pandemie geführt haben. Mit allem anderen komme ich klar.
Sie haben während der Pandemie gesagt, es seien Fehler gemacht worden. Sie haben aber anders als Kanzlerin Angela Merkel nie gesagt: Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler. Gab es dazu nie einen Anlass?
Spahn: Natürlich. Ich hätte manche Dinge früher entscheiden müssen. Das habe ich aber auch schon eingeräumt. Zum Beispiel früher Masken kaufen. Wichtig ist, dass wir aus dieser Pandemie lernen und uns auf Notsituationen besser vorbereiten. Ich frage mich jeden Tag, was hätte besser laufen können. Ich weiß aber auch: Ich habe in der konkreten Situation jeweils nach bestem Wissen und Gewissen entschieden.
Sie haben vor einigen Tagen für erheblichen Wirbel gesorgt mit Ihrer Aussage, dass wir „noch einmal bis zum Frühjahr durchhalten müssen, weil die vierte Welle kommt“. Haben Sie da nicht ein bisschen Panikmache betrieben?
Spahn: Nein. Das Zitat stammt aus einer internen Sitzung der Fraktion und wurde aus dem Zusammenhang gerissen. Die Aussage bezog sich darauf, dass wir im Herbst und Winter noch Masken tragen müssen. Dass die vierte Welle kommt, kann man an den Infektionszahlen ablesen und in unseren Nachbarländern beobachten. Die Frage ist nur: Wie hoch wird die Welle und wie gefährlich ist sie? Und das haben wir in der Hand. Das Motto muss lauten: Impfen, impfen, impfen.
Und wenn das nicht reicht, gehen wir alle wieder in den Lockdown?
Spahn: Nein. Drei von vier Erwachsenen in Deutschland haben sich für eine Impfung entschieden. Für sie wird es keine zusätzlichen Kontakt- und Ausgangssperren geben. Das ist geltende Rechtslage. Die große Mehrheit hat sich in die Freiheit zurückgeimpft. Darüber hinaus müssen wir konsequent die 3G-Regel anwenden, wie es Baden-Württemberg ja gerade macht. Geimpft, genesen, getestet, das ist eine einfache Regel für die Innenbereiche. Und die Maske werden wir noch eine Weile tragen müssen, etwa in der Bahn oder im Supermarkt. Das ist nervig, aber notwendig.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder würde am liebsten aus der 3G- eine 2G-Regel machen.
Spahn: Bei Privatveranstaltungen und in der Gastronomie könnte das auch so kommen. Denn das ist eine Entscheidung der Privatwirtschaft, zu sagen: Wir lassen aus Sicherheitsgründen nur Geimpfte und Genesene ins Fußballstadion, ins Restaurant oder auf die Party. Das ist rechtlich erlaubt. Der Staat setzt aber auf Impfen, 3G, die Maskenpflicht und die AHA-Regel. Mit diesen Grundmaßnahmen können wir gut durch den Herbst und den Winter kommen. Allerdings verschärft sich die Lage gerade wieder. Auf den Intensivstationen gehen die COVID-19-Zahlen erneut hoch. Dort liegen zu 90 Prozent Nichtgeimpfte.
Lassen Sie uns über ein anderes Thema reden. Die Bundeswehr versucht verzweifelt, die afghanischen Ortskräfte auszufliegen. Halten Sie es für klug, dass CDU-Politiker wie Kanzlerkandidat Armin Laschet jetzt betonen, 2015 dürfe sich nicht wiederholen?
Spahn: Natürlich. Armin Laschet hat einen klugen Dreiklang angestimmt: Erstens müssen die Ortskräfte, die sich auf uns verlassen, gerettet werden. Die darf man nicht im Stich lassen . . .
. . . das sieht sogar AfD-Politiker Alexander Gauland so . . .
Spahn: . . . und natürlich müssen wir Menschen helfen, die die Taliban jetzt ermorden wollen. Gerade Frauen, die für ihre Rechte eintreten, sind in besonderer Gefahr. Zweitens, und darauf bezieht sich vor allem der Hinweis auf Syrien 2015: Wir müssen rechtzeitig vor Ort helfen. Afghanistans Nachbarländer brauchen unsere Unterstützung. Dafür muss Europa bereit sein, viel Geld in die Hand zu nehmen. Das wurde vor 2015 bei der humanitären Krise in und um Syrien versäumt. Umso höher waren die Kosten danach. Und schließlich müssen wir genau darüber reden, welche außenpolitische Rolle die Europäische Union in Zukunft einnehmen möchte. Unser Mandat in Afghanistan geht ja eigentlich bis 2022. Aber wir haben gar nicht die Fähigkeit, einen Militäreinsatz in einem solchen Land ohne die USA durchzuführen. Deshalb müssen wir über die Ausstattung unserer Streitkräfte reden.
Müssten jetzt nicht auch Köpfe rollen? In der Vergangenheit musste ein Verteidigungsminister ja schon wegen einer abgeschriebenen Doktorarbeit zurücktreten.
Spahn: Wir müssen jetzt erst einmal retten und helfen. Personelle Debatten tragen dazu nichts bei. Und dann müssen die Fehler aufgearbeitet werden.
Sie haben meine Frage nicht beantwortet.
Spahn: Ich finde doch.
Bald ist Bundestagswahl. Bereuen Sie es, dass Sie im Team Laschet spielen? Sie hätten sich als CDU-Chef bewerben können und wären vielleicht sogar Kanzlerkandidat.
Spahn: Nein. Ich würde heute wieder so entscheiden. Die CDU war damals innerlich zerrissen und es gab einen festgefahrenen Streit mit der CSU. Ich habe Armin Laschet unterstützt, weil er zusammenführen kann. Das hat er in Nordrhein-Westfalen gezeigt. Das müssen wir im Wahlkampf nur noch mehr herausstellen: Seit Armin Laschet in Nordrhein-Westfalen regiert, geht es dem Land besser. Nach der Flutkatastrophe konnte er keinen Wahlkampf machen. Da war er als Krisenmanager gefragt. Aber am Wochenende geht es richtig los. Da ist Wahlkampfauftakt. Die nächsten fünf Wochen zählen. Und sie sind wichtig: Die Bundestagswahl wird eine Richtungsentscheidung.
Schließen Sie es zu 100 Prozent aus, dass die Union noch ihren Kanzlerkandidaten wechselt und Markus Söder dann übernimmt?
Spahn: Ja. Und Sie würden auch von Markus Söder keine andere Antwort erhalten.
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