Washington. Sechs Tage ist es her, seit Hillary Clinton ihre millionenteure Villa im Bundesstaat New York verließ, auf ihre bis zu 300 000 Dollar-pro-Auftritt-Reden erst einmal verzichtete und statt des sonst üblichen Privatjets einen umgebauten Kleinbus in Richtung Iowa bestieg, um dort als Amerikas Großmutter der Arbeiterklasse den langen Wahlkampf um die Präsidentschaft 2016 zu eröffnen und das Gespräch mit den Bürgern zu suchen. Die Nation erlebte dabei einen Kampagnen-Start, der sich zwischen gepflegter Langeweile und merkwürdiger Exzentrik bewegte.
Für den meisten Gesprächsstoff sorgte noch ein Medien zugespieltes, leicht unscharfes Foto einer Überwachungskamera in einem Schnellrestaurant, das die frühere Außenministerin der Vereinigten Staaten mit großer Sonnenbrille beim Bestellen ihres Mittagessens zeigt. Solche Bilder werden für gewöhnlich nur veröffentlicht, wenn ein Mensch auf der Flucht ist. Und die Geschichte wird auch nicht dadurch interessanter, dass der Restaurant-Manager später offenbarte, Hillary Clinton habe kein Trinkgeld gegeben.
Irgendwie ist es tatsächlich eine Flucht für die frühere First Lady - vor den Kritikern, die ihr seit der ersten Bewerbung für das Weiße Haus im Jahr 2008 vorhalten, im Umgang mit den Wählern distanziert und kühl zu wirken. Doch nun sollen die Bürger die - so heißt es in der Werbe-Kampagne - "wirkliche Hillary" erleben: mitfühlend und spontan.
Seit Jahrzehnten im Rampenlicht
Dabei muss sich die Kandidatin einer enormen Herausforderung unterziehen: Denn wie kann sich eine Politikerin als "neu" verkaufen, die seit Jahrzehnten im Rampenlicht der Öffentlichkeit steht, deren Biografie in allen guten und schlechten Details bekannt ist und die deshalb nun Gefahr läuft, sich als wenig authentisch anzupreisen? Hinzu kommt, dass immerhin 49 Prozent der Wähler sie Umfragen zufolge für nicht vertrauens- und glaubwürdig halten - denkbar schlechte Voraussetzungen also für eine überzeugende Wiedergeburt.
Die sich aufdrängenden Transformationsprobleme waren auch in Iowa sichtbar. Beim ersten Bürgergespräch las die Vollblutpolitikerin Notizen vom Blatt ab und wirkte dabei so ungelenk wie bei ihrer Pressekonferenz vor den Vereinten Nationen im April, als sie versucht hatte, die Privatisierung ihrer Dienst-Mails als US-Außenministerin zu erklären. Auch am nächsten Tag gab es nur Formeln vom Blatt - was eine CNN-Reporterin zu dem Kommentar veranlasste, die Menschen in Iowa seien "perplex", wie wenig sie tatsächlich mit den Menschen vor Ort rede.
Die Aussagen, die Clinton bei ihrem Kampagnenstart präsentierte, wirkten zudem größtenteils wie eine Fortsetzung der Obama-Politik, die zuletzt vor allem auf die Sorgen der Mittelschicht in Amerika und eine Umverteilung des Wohlstandes von oben nach unten setzte. Wie auch Obama nahm sie die Vergütung der Firmenmanager ins Visier und rügte, ein Vorstandschef verdiene heutzutage "300-mal so viel wie ein einfacher Arbeiter". Mit Klassenkampf zur Präsidentschaft?
Wie angreifbar sich die Präsidentschaftskandidatin mit solchen Floskeln macht, versuchte das "Wall Street Journal" jetzt in einem Rechenbeispiel zu zeigen: Wenn Clinton eine bezahlte Rede halte, verdiene sie in diesen 90 Minuten etwa 13 000-mal so viel wie ein Arbeiter, der mit 15 Dollar pro Stunde nach Hause gehe.
Und auch in Iowa zählte wieder - typisch Clinton - ein Drahtseilakt mit der Wahrheit zu den Auftritten. Alle ihre Großeltern seien Immigranten gewesen und hätten sich alles hart erarbeiten müssen, versuchte sie sich volksnah zu zeigen. Nur Stunden später wies die populäre Onlineseite "Buzzfeed" nach: Nur die Großeltern väterlicherseits wanderte in Amerika ein. Die Eltern ihrer Mutter, so die Rechercheure, kamen in den USA zur Welt.
Hillary Clinton
1947 in Chicago/Illinois als Hillary Diane Rodham geboren.
Ehefrau des früheren US-Präsidenten Bill Clinton und Mitglied der Demokratischen Partei.
Von 1993 bis 2001 First Lady.
Von 2001 bis 2009 Mitglied des US-Senats für den Bundesstaat New York.
Von 2009 bis 2013 Amerikas Außenministerin in der Regierung Barack Obama. eB
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