Bad Lobenstein/Berlin. In der Nacht nach der großen Razzia brummen im Schlosspark die Stromaggregate. Hell erleuchtet ist das große Areal am Schloss Waidmannsheil, das noch am Vortag von einem Sonderkommando der Bundespolizei gestürmt wurde. Polizisten durchkämmen noch immer das Grundstück, hier im kleinen thüringischen Ort Saaldorf, nahe Bad Lobenstein. Sie suchen weiter nach Depots mit Waffen oder Sprengstoff. Sie forschen nach anderen Beweisen für die Terror-Pläne, die auch hier geschmiedet worden sein sollen.
In Auskunftsportalen für Firmen gibt es einen Eintrag zur „Schloß Waidmannsheil GdR“, die seit 2005 die Residenz verwaltet. Geschäftsführer aber ist der Diplom-Ingenieur Heinrich XIII. Prinz Reuß. Beruf: Fahrzeugtechniker. Wohnhaft in Frankfurt. Dort, im schicken Frankfurter Westend, nehmen Polizisten ihn am Mittwoch fest. Der Generalbundesanwalt sieht den Adligen als zentrale Figur eines mutmaßlichen rechtsterroristischen Netzwerks. Die mehr als 50 Beschuldigten sollen einen gewaltsamen Umsturz geplant haben, wollten laut Ermittlern eine „Übergangsregierung“ in Berlin einsetzen, einen „Rat“ gründen und einen neuen Staat schaffen.
Zu diesem Netzwerk gehörte nicht nur Reuß, sondern auch eine AfD-Politikerin: Birgit Malsack-Winkemann, Richterin in Berlin, bis zu ihrer Festnahme. Sie sollte im Plan der mutmaßlichen Terroristen laut Staatsanwaltschaft die „Justizministerin“ werden. Auch ein früherer Elitesoldat ist unter den Tatverdächtigen: Maximilian Eder. Weitere frühere und ein aktiver Bundeswehr-Soldat gehören zum Kreis der Verdächtigen.
Krude Verschwörungspropaganda
Als Oberhaupt der neuen Ordnung nach einem Umsturz sah die Gruppe laut Staatsanwaltschaft Reuß vor, 71 Jahre alt. Ein Mann, der sich „Prinz“ nennt und Teil einer früheren Fürstenfamilie ist, der eine ockerfarbene Cordhose und ein jägergrünes Tweed-Sakko trägt, als Polizisten ihn mit Handschellen abführen, die Haare nach hinten gegelt.
Reuß war bekannt – in der Region in Thüringen, in der Szene der sogenannten Reichsbürger und extremen Rechten. Reuß war zugleich Unternehmer, Geschäftsführer einer Immobilienfirma mit Sitz im thüringischen Bad Lobenstein. Er war im Vorstand des Vereins „Reußische Fürstenstraße e.V.“ und auch im Schützenverein in Gera. Reuß war gut vernetzt, politisiert, aus Sicht vieler Beobachter radikalisiert.
Sein Einfluss, sein Vermögen, seine radikale Ideologie und vielleicht auch sein symbolträchtiger Adelstitel machten ihn nach Einschätzungen von Mitarbeitern in Sicherheitsbehörden zum mutmaßlich führenden Kopf des Netzwerks. Und hier, im Schloss Waidmannsheil, soll es Treffen eben dieses Netzwerks an Extremisten gegeben haben. Im Schloss des „Prinzen“. Wie oft und was dort geplant wurde, ist bisher nicht bekannt. Die Ermittler nennen keine Details.
Zudem ist noch nicht bekannt, ob und welche Waffen auf dem Grundstück des Schlosses gefunden wurden. Der Generalbundesanwalt lehnt eine Antwort auf eine Anfrage mit Blick auf die laufenden Ermittlungen ab. Am Tag nach der Razzia ist das Gelände abermals gesperrt. Die Polizei lässt niemanden zu dem Anwesen. Es sind viele Fragen offen. Doch wer die Biografien der Beschuldigten verfolgt, erkennt die Spuren, die hier nach Bad Lobenstein führen. Von bislang 13 Durchsuchungen in Thüringen gab es allein zwölf in dem Landkreis.
Es ist das, was Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) im Gespräch mit dieser Redaktion als „gefährliche Vernetzung unterschiedlicher Szenen“ beschreibt, die vor allem durch die Demonstrationen in der Corona-Pandemie untereinander Verbindungen aufgebaut hätten. „Sie alle eint: die Ideologie von Verschwörungsmythen, die sie in ihrer Propaganda gegen den Rechtsstaat einsetzen“, sagt Maier.
Reuß ist eine Figur, die mit ihrem Auftreten und ihrer Propaganda für die Szene an Bedeutung gewann. Bei einem „Worldwebforum“ 2019 in Zürich eröffnet er krude Mythen über „Kriege“, die durch die jüdische Familie Rothschild finanziert würden. Ein weiteres Video gibt es vom Auftritt des „Prinzen“ in Genf. Eigentlich geht es um Menschen mit Behinderungen, aber Reuß redet auch über das „Deutsche Reich“, das niemals untergegangen sei und in dem noch „Menschlichkeit“ geherrscht habe. Anders als heute.
Das rechte Portal „Extremnews“ verbreitet das Video. Es wird mehrfach von reichweitenstarken Propagandakanälen wie dem Messengerdienst Telegram beworben und geteilt. Es ist der Punkt, an dem der „Prinz“ zu einem kleinen „Promi“ der verschwörungsideologischen Szene wird.
Es ist auch der Punkt, an dem er öffentlich mit seinem alten Leben bricht. Dabei war der „Prinz“ lange angesehener Thüringer, war Mitglied in der Privilegierten Schützengesellschaft Gera e.V., wurde beispielsweise beim „Reußischen Friedenszug“ des Nordwaldspektakulum bei Nordhalben hofiert.
Familie distanzierte sich
Reuß zeigte sich in Thüringen in der Nähe der Reichsbürger, in der Nähe der AfD. Seine Adelsfamilie Reuß hat sich nach eigenen Angaben von ihm distanziert, 14 Jahre habe es keine Kontakte gegeben. Der Schützenverein hat ihn erst jetzt, nach der Festnahme und dem Terrorverdacht, ausgeschlossen.
Was Reuß radikalisiert hat, bleibt offen. Manche sagen, es sei auch der verlorene Kampf in Gerichtsprozessen um das Erbe seiner Familie gewesen. Das Jagdschloss gehörte zu jenen Objekten, die er gleich nach Ende des DDR-Regimes zurück in den Familienbesitz holen wollte. Die damalige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, wonach die Bodenreform 1945 in der sowjetischen Besatzungszone rechtens sei, wollte Reuß nicht akzeptieren. Er empfand dies als „politische Lösung“, die nicht tragbar sei. Das sagte er in einem Interview, schon 1991. Acht Jahre später kaufte er das alte Schloss vom damaligen Besitzer zurück.
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