Gastbeitrag

Harald Christ: "Schützt unsere Schulen vor Populisten"

Populisten könnten bald unser Bildungssystem lahmlegen. Die demokratischen Parteien müssen sich vorbereiten und ihre Beißhemmung verlieren. Ein Plädoyer von Gastautor Harald Christ für eine souveräne Bildungslandschaft

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Harald Christ
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Harald Christ spricht sich für eine Stärkung der Schulen gegen Populisten aus. © Carsten Koall

Berlin. Manchmal tut Demokratie weh. Sie zeigt, was die Wählerschaft denkt. Und das ist nicht immer das, was sich die Mehrheit im Land wünscht. In Deutschland bedeutet Demokratie derzeit oft das Finden des kleinsten gemeinsamen Nenners. In Europa und den USA geht es um das Verhindern von Katastrophen. Dort drohen populistische Erdrutschsiege. Bei uns sind es Geländegewinne. Noch.

Noch regiert der Kompromiss. Parteien kooperieren, damit das Land vorankommt. Zumindest in der Theorie. Was aber, wenn manche Parteien nicht mehr mitspielen? Was, wenn von vornherein kein Vertrauen vorhanden ist, weil diese Parteien das System grundsätzlich in Frage stellen oder es sogar von innen heraus zerstören möchten? Welche Wege könnten sie dabei gehen?

Die Wahlen in diesem Jahr sind eine Belastungsprobe für die liberalen Demokratien des Westens
Harald Christ

Ein Weg führt über unsere Schulhöfe. Wobei man genauer sein muss: Er führt zuerst über unsere Wahlurnen.

Die Wahlen in diesem Jahr sind eine Belastungsprobe für die liberalen Demokratien des Westens. Bei der Europawahl fuhren sowohl die AfD als auch das BSW besorgniserregend gute Ergebnisse ein, in Frankreich konnte gerade so ein Premierminister des Rassemblements National verhindert werden (zum Preis eines Bündnisses von Linken mit Ultra-Linken) und die US-Präsidentschaftswahl, die nun im Herbst ansteht, könnte die weltweiten Machtverhältnisse grundlegend ändern.

Im Gegensatz dazu wirken die Wahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen beinahe unbedeutend. Doch das sind sie nicht. Die brandummauerte AfD liegt aktuell in allen drei Bundesländern zwischen 25 und 30 Prozent und das mindestens zweistellige BSW ist jedenfalls in Thüringen die rechnerisch einzig realistische Chance, die AfD zu verhindern. Populismus mit Populismus bekämpfen also. Der politische Schaden für die Bundesrepublik wäre enorm und die Auswirkungen in ganz Deutschland spürbar. Auch in der Bildungspolitik.

Harald Christ: Von der SPD in die FDP

  • Harald Christ, geboren am 3. Februar 1972 in Worms, bekleidete über 25 Jahre verschiedene Führungspositionen bei Banken und Versicherungen. Darüber hinaus gründete er eigene Unternehmen und ist Lehrbeauftragter an zwei Hochschulen.
  • In seiner politischen Laufbahn war er unter anderem im Schattenkabinett des SPD-Kanzlerkandidaten Frank Walter Steinmeier Kandidat als Bundeswirtschaftsminister.
  • Zudem war er Mitbegründer des Wirtschaftsforums der SPD sowie Mittelstandsbeauftragter des Parteivorstandes der SPD.
  • Nach seinem Austritt aus der Partei 2019 trat er Anfang 2020 in die FDP ein. Von September 2020 bis April 2022 war er Bundesschatzmeister der Liberalen.

Deutschland hat sich nach dem Nationalsozialismus auf den Bildungsföderalismus zurückbesonnen. Jedes Bundesland hat die Kontrolle über seine Schulen. So soll verhindert werden, dass im Falle einer totalitären Machtergreifung eine Partei ihre Propaganda zentral in allen Lehrplänen des Bundesgebiets verankert. Eine Schwäche hat das System aber: Die Kultusministerkonferenz.

Das Gremium ist der Zusammenschluss aller Kultusminister der Länder. Hier werden Bildungsstandards abgesprochen, Prüfungsanforderungen vereinheitlicht oder es wird über die Anerkennung von Abschlüssen beraten. Die Entscheidungen des Gremiums sind eine politische Verpflichtung und Handlungsempfehlung, rechtlich aber nicht bindend. Trotzdem halten sich die Bundesländer an sie. Die KMK ist der Versuch, einem Kleinklein von 16 Bundesländern zu begegnen und trotzdem die föderale Struktur zu wahren. Und genau da wird es gefährlich.

Denn noch herrscht in der KMK das Einstimmigkeitsprinzip bei wichtigen Entscheidungen. So zum Beispiel, wenn es ums Geld geht, um gemeinsame Einrichtungen oder die „Einheitlichkeit und Mobilität im Bildungswesen“.

Der Wormser Unternehmer und FDP-Politiker Harald Christ. © Michael Kappeler/dpa

Sollte Populisten oder Rechtsextreme also einen Kultusminister stellen, wäre ihnen ein Sitz in der KMK sicher und durch das Einstimmigkeitsprinzip ein Veto-Freifahrtschein. Ein Kultusminister von BSW oder AfD könnte somit das Fortkommen aller erschweren.

AfD-Kandidat Björn Höcke hat es auf die Schulen abgesehen

Vor kurzem tagten die Minister, um das Gremium zu reformieren. Wohl auch im Hinblick auf die Landtagswahlen im Herbst. So wurde beispielsweise beschlossen, dass sich die KMK künftig nicht mehr auflösen muss, wenn ein Land die Konferenz verlässt. Auch über das Einstimmigkeitsprinzip soll bis Ende des Jahres entschieden werden. Dabei wollen die Minister aber den Eindruck vermeiden, man arbeite an einer Lex-AfD.

Im MDR-Sommerinterview aus dem letzten Jahr ließ der Geschichtslehrer Björn Höcke erahnen, welchen Kurs die AfD in Sachen Bildung fährt. Er forderte im typisch faschistoiden Sound „gesunde Schulen“ in „gesunden Gesellschaften“. Was er damit meint: Das Ende der Inklusion, Leitkultur statt Vielfalt, weniger Schüler mit Migrationshintergrund. Ein besonderer Dorn in Höckes Augen: Die KMK. Die Konferenz versuche, “die Länderbildungspolitiken gleichzuschalten“, sagte Höcke gegenüber dem MDR.

Bildung schafft mündige Bürger. Die demokratischen Parteien müssen sich deshalb zusammenschließen und ein Bollwerk gegen Zukunftsangst und antidemokratische Umtriebe aufbauen.

Im Hinblick auf die Bildungspolitik unterscheiden sich Populisten und Rechtspopulisten wenig. Denn auch das BSW ist gegen den gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Förderbedarf, gegen kostenlose Sprachkurse für Geflüchtete unabhängig von der Bleibeperspektive und Smartphones und Tablets sollen mindestens aus der Grundschule verbannt werden.

Nun gibt es in unserem Bildungssystem tatsächlich Verbesserungsbedarf. Unsere Schulen sind nicht digital genug, in vielen Teilen Deutschlands - auch im Osten - mangelt es an Lehrern und die Ergebnisse der Pisa-Studie sind so schlecht wie nie. Allein für die Schulen beträgt der Investitionsrückstand in Deutschland 54,8 Milliarden Euro.
Dabei herrscht gerade in der Bildungspolitik angesichts der KI-Revolution momentan maximaler Entwicklungsdruck. Wir brauchen gut ausgebildete Fachkräfte, um unsere Wirtschaft zukunftsfest zu machen. Das fängt natürlich in unseren Schulen an.

Wir dürfen es den Populisten und Rechtsextremen nicht zu leicht machen

Das Bildungswesen ist aber nicht nur das Fundament unserer Wirtschaft, sondern auch die Basis unserer Staatsform. Bildung schafft mündige Bürger. Die demokratischen Parteien müssen sich deshalb zusammenschließen und ein Bollwerk gegen Zukunftsangst und antidemokratische Umtriebe aufbauen. Wir sollten uns trauen, das auch so zu benennen.

Wir brauchen keine Lex-AfD, wir brauchen eine Lex-Demokratie. Und das nicht nur in der KMK.
Die demokratischen Parteien sollten sich dazu verpflichten, das Bildungsressort nicht aus der Hand zu geben. Beim BSW droht diese Gefahr schon jetzt. Bei den derzeit schwächeren Umfragewerten der AfD ist die Frage nach der Standfestigkeit der Brandmauer nur kurzfristig aufgeschoben. Denn 45 Prozent der CDU-Mitglieder würden laut einer aktuellen Forsa-Umfrage eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht vollkommen ausschließen.

Bildung für Wohlstand und Standort Deutschland unabdingbar

Wir dürfen es den Populisten und Rechtsextremen nicht zu leicht machen. Die Ängste, die sie schüren, dürfen nicht verhindern, dass wir unser Bildungssystem auf die Herausforderungen der kommenden Jahre und Jahrzehnte vorbereiten. Für unseren Wohlstand und den Standort Deutschland ist Bildung unabdingbar.

„Ich für meinen Teil bin der Meinung, dass es nicht zum Begriff der Demokratie gehört, dass sie selbst die Voraussetzungen für ihre Beseitigung schafft. (...) Man muss auch den Mut zur Intoleranz denen gegenüber aufbringen, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie umzubringen.“

Die Diskussion über den Umgang mit Feinden der Demokratie erinnert an Max Frischs  “Biedermann und die Brandstifter”. Im Stück quartieren sich Hausierer auf dem Dachboden des Protagonisten ein. Von Anfang an ist klar, dass sie das Haus, dessen Schutz sie genießen, in Brand setzen werden. Aber der vermeintliche Hausherr Biedermann will möglichst jedem Konflikt aus dem Weg gehen. Am Ende hilft er ihnen, die Zündschnur zu vermessen und reicht ihnen die Streichhölzer.

Wir dürfen es den Populisten und Rechtsextremen nicht zu leicht machen. Die Ängste, die sie schüren, dürfen nicht verhindern, dass wir unser Bildungssystem auf die Herausforderungen der kommenden Jahre und Jahrzehnte vorbereiten. Für unseren Wohlstand und den Standort Deutschland ist Bildung unabdingbar.

Manchmal tut Demokratie weh. Manchmal versagt sie aber auch. Wir sollten dafür sorgen, dass Demokratie nicht mehr nur Demokraten weh tut. Oder wie Carlo Schmid es formulierte: „Ich für meinen Teil bin der Meinung, dass es nicht zum Begriff der Demokratie gehört, dass sie selbst die Voraussetzungen für ihre Beseitigung schafft. (…) Man muss auch den Mut zur Intoleranz denen gegenüber aufbringen, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie umzubringen.“

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