Wahlkampf - Vom "Veggie-Day" über die "Schlandkette" bis zum "Stinkefinger" standen weiche Themen im Vordergrund

"Hätte, hätte, Fahrradkette"

Von 
Steffen Mack
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Berlin/Mannheim. Es war kein schlechter Sommer. Und in der Urlaubszeit hält sich das Interesse an der Politik in Grenzen. Daran lag es wohl auch, dass zwischendurch vom langweiligsten Wahlkampf aller Zeiten die Rede war. Wer so dachte, kann sich glücklich schätzen - er hat das Schlafwagen-Wettfahren zwischen Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier 2009 aus seinem Gedächtnis verdrängt. Damals hielt die Langeweile auch beim TV-Duell an. Diesmal war das Aufeinandertreffen zwischen Kanzlerin und Herausforderer ein Höhepunkt. Es blieb ohne klaren Sieger, aber Peer Steinbrück gewann Sympathien. Ob nun viele bis dato unentschlossene Wähler für ihn stimmen, erscheint zwar zweifelhaft. Aber er schaffte es erstmals, dass seine Partei richtig stolz auf ihren Kandidaten war. Das half der SPD bei der Mobilisierung in der heißen Phase ungemein.

Um Merkel zu schlagen, wird es dennoch nicht reichen. Die immens populäre Kanzlerin gab sich im Wahlkampf keine Blöße. Gegen den scharfzüngigen Steinbrück wehrte sie sich wacker, die Aufmerksamkeit vieler Zuschauer konzentrierte sich ohnehin auf ihren Halsschmuck. Das schwarz-rot-goldene Utensil wurde auf dem Boulevard als "Schlandkette" gefeiert. Ansonsten blieb der "King of Kotelett" in Erinnerung - wie Moderator Stefan Raab Steinbrück im TV-Duell nannte.

Weiche Themen dominierten auch, weil es kaum inhaltliche Kontroversen gab. Der meiste politische Streit entzündete sich an der Spähaffäre. Doch erstens verurteilten sowohl Regierung als auch Opposition - wenngleich in unterschiedlicher Intensität - die Praktiken der US-Geheimdienste. Zweitens ist Datenschutz vielen Bürgern egal.

Die Euro-Krise kochte nur hoch, als Wolfgang Schäuble Griechenland weitere Hilfen in Aussicht stellte. Falls die AfD in den Bundestag kommt, dürfte der Finanzminister noch einiges zu hören kriegen. Aber weil da Union, Liberale, SPD und Grüne weitgehend einer Meinung sind, gab es keine größere Kontroverse. Das Gleiche gilt für den Syrien-Konflikt. Auch die Wahlwerbung blieb belanglos - dass FDP und NPD in ihren Spots dieselbe Familie zeigten, war bezeichnend.

Trittin geht baden

Heftigst diskutiert wurde allein über den "Veggie-Day". Weniger, weil es zu einem fleischlosen Tag viel zu sagen gibt (in den meisten Kantinen ist er längst Realität), sondern weil die Grünen so ihr Oberlehrer-Image verstärkten. Noch negativer wirkten ihre Steuerpläne. Die sollen zwar nur 90 Prozent der Bürger treffen. Doch entstand der Eindruck, dass die Grünen die Mittelschicht belasten wollen. Da passte es, wie Spitzenkandidat Jürgen Trittin im Kajak unfreiwillig baden ging. Und Sigmar Gabriel wurde mit 180 auf der Autobahn gesehen. War erlaubt, aber eher unschicklich für einen SPD-Chef, der ein Tempolimit befürwortet.

Steinbrück unterliefen auf der Zielgeraden kaum noch Fehltritte - bis zum "Stinkefinger". Die unverschämte Geste auf eine freche Journalistenfrage, die der Kanzlerkandidat ohne Worte beantworten sollte, sorgte für Empörung. Vor allem indes bei Bürgern, die Steinbrück ohnehin kaum gewählt hätten. Manchem Anhänger dürfte derlei "Klartext" gefallen. Hängen bleibt auf alle Fälle, was der 66-Jährige zu solchen Konjunktiv-Spekulationen zu sagen pflegt: "Hätte, hätte, Fahrradkette."

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