Wirtschaftspolitik

Habeck sucht den Unabhängigkeitskurs von China

Der Minister will in Singapur neue Partner finden – damit Deutschland nicht in dieselbe Falle läuft wie bei Russland

Von 
Theresa Martus
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Wirtschaftsminister Robert Habeck (2.v.r.) nimmt an der 17. Asien-Pazifik-Konferenz der Deutschen Wirtschaft (APK) teil. © Britta Pedersen/dpa

Singapur. Ein bisschen sieht Robert Habeck aus, als wüsste er selbst nicht genau, was bei diesem Termin eigentlich seine Aufgabe ist. So richtig etwas zu tun gibt es für den Wirtschaftsminister nicht, während zwei Unternehmensvertreter aus Singapur und Deutschland vor Kameras eine offizielle Kooperationsvereinbarung unterschreiben. Also steht Habeck hinter dem schmucklosen Schreibtisch, die Hände verschränkt, guckt zu und wartet, bis er die beiden beglückwünschen kann. „Ein bisschen wie der Pate“, wie er später sagen wird.

Dass Biobot aus Singapur und Anna Technologies aus Deutschland in Zukunft ihre Fähigkeiten bei Robotik und künstlicher Intelligenz verbinden wollen, um ein gemeinsames System für Krebsdiagnostik zu entwickeln, ist eigentlich kein Vorgang, der unbedingt die Präsenz eines Bundeswirtschaftsministers erfordert. Doch es sind Kooperationen wie diese, die Habeck in Singapur fördern will, also wacht er gut gelaunt über die Unterzeichnungszeremonie.

Der grüne Wirtschaftsminister und Vizekanzler ist für die 17. Asien-Pazifik-Konferenz der deutschen Wirtschaft nach Singapur gereist, als Mitgastgeber des Treffens, bei dem deutsche Wirtschaftsvertreter in der Region zusammenkommen. Der Termin steht schon eine Weile im Kalender. Aber er passe auch sehr gut in die Zeit, sagt Habeck.

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Michael Backfisch
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Denn die Verbindungen der deutschen Wirtschaft nach Asien beschäftigen die Ampelkoalition derzeit intensiv. Unter erheblichen Blessuren hatte die Bundesregierung seit Februar gelernt, dass es möglicherweise kurzfristig profitabel, langfristig aber nicht unbedingt klug ist, sich in einem wichtigen Bereich allzu abhängig zu machen von einem einzigen großen Partner.

Noch einmal will man diese Erfahrung nicht machen – und schon gar nicht mit China, das Deutschlands wichtigster Handelspartner ist, zentraler Markt und gleichzeitig Produktionsstandort für zahlreiche große deutsche Unternehmen.

Vor seiner Ostasienreise hat Habeck mit deutlichen Worten gewarnt: „Deutschlands wirtschaftliche Abhängigkeit von China ist zu groß. Diese Abhängigkeit liegt in bestimmten Bereichen wie etwa kritischen Rohstoffen bei fast 100 Prozent“, sagte der Minister im Interview mit ntv. „Bräche China als Absatzmarkt weg, wäre das für einige deutsche Branchen nicht verkraftbar.“ Zu viele Jahre habe man in Deutschland „die niedrigen Produktionskosten für allein seligmachend gehalten“, so Habeck. Außenhandelspolitik müsse so ausgerichtet werden, „dass wir resilienter werden und Klumpenrisiken im volkswirtschaftlichen Budget vermeiden“.

Die zunehmenden Drohgebärden der Volksrepublik gegenüber Taiwan beobachtet man vor allem im Wirtschaftsministerium mit Sorge. Denn Sanktionen gegen China, die einem Angriff der Volksrepublik auf Taiwan folgen könnten, würden die deutsche Wirtschaft ungleich härter treffen als jene gegen Russland. In Singapur geht es deshalb vor allem um China und die Frage, wie schnell Deutschland weniger verwundbar werden kann. Es ist ein Indiz für die Dringlichkeit, die die Bundesregierung dem Thema beimisst, dass auch Bundeskanzler Olaf Scholz am Montag einen Stopp bei der Konferenz machen wird, bevor er weiterfliegt zum G20-Gipfel in Bali.

Verlassen, das betont Wirtschaftsminister Habeck, sollen Unternehmen China nicht. „Niemand, der bei Sinn und Verstand ist, redet davon, dass wir jetzt die Märkte komplett isolieren müssen“, sagte Habeck. Doch wenn es nach der Bundesregierung geht, sollten deutsche Unternehmen jetzt daran gehen, Strukturen auch in anderen Ländern Asiens aufzubauen.

Pünktlich zu Beginn der Reise am Freitag hatte das Bundeswirtschaftsministerium deshalb verkündet, dass die Bundesregierung die Spielregeln für staatliche Investitionsgarantien ändert: Unternehmensinvestitionen sollen nur noch mit bis zu drei Milliarden Euro pro Land und Unternehmen abgesichert werden. Bei Investitionen in Ländern, die mehr als ein Fünftel der gesamten Investitionsgarantien ausmachen, soll zudem die Prämie steigen, die Unternehmen für die staatliche Versicherung zahlen.

Die Änderungen sollen es für Firmen attraktiver machen, ihre Investitionen über mehrere Länder zu streuen. Gleichzeitig soll der Handel mit Chile und Mexico verstärkt werden, das Freihandelsabkommen CETA will die Ampelkoalition jetzt ratifizieren, nachdem man sich mit Kanada darauf geeinigt hat, dass die Regeln zum Investitionsschutz nicht genutzt werden sollen, um etwa den Klimaschutz zu torpedieren.

Der Wirtschaftsminister konnte deshalb mit dem Gefühl nach Asien reisen, dass eine Reihe von komplizierten Operationen erfolgreich verlaufen waren. Das war zwischen dem quälenden Koalitionsstreit um die Atomkraft und der Debatte um die Gaspreisbremse in Deutschland zuletzt eher selten geworden.

Entsprechend optimistisch tritt Habeck in Singapur auf. Ähnlich wie in Deutschland sehe man beim Gastgeberland, „dass man in bestimmten kritischen Sektoren nicht einseitige Abhängigkeiten von China sich leisten kann“, sagt Habeck am Rande eines Abendempfangs der Deutschen Bank. Hinter ihm leuchten die Bankentürme der Stadt. Mit Singapur unterzeichnete Habeck eine Vereinbarung, die die Grundlage für eine engere Zusammenarbeit in der Zukunft legen soll.

Der kleine Stadtstaat zwischen Malaysia und Indonesien gehörte zu den wenigen Ländern außerhalb Europas und Nordamerikas, die Russlands Invasion in der Ukraine laut verurteilten, und verhängte auch selbst Sanktionen. Das Land lebt vom Austausch und Handel mit seinen Nachbarn und anderen Teilen der Welt und ist angewiesen auf gute Beziehungen zu seinen Nachbarn. Eine regelbasierte internationale Ordnung sei ein „existenzieller Imperativ“ für das Land, wie S Iswaran, Minister für Handelsbeziehungen, am Sonntag betonte.

Wie viele Unternehmen den Vorstellungen der Bundesregierung zur Risikominimierung folgen werden, ist offen. Vor allem für die Automobilbranche ist das Geschäft in China zentral. BMW hat erst kürzlich ein neues Werk eröffnet, Audi baut derzeit eine Fabrik, in der in wenigen Jahren vollelektrische Modelle vom Band rollen sollen. BASF will in den nächsten Jahren zehn Milliarden Euro dort investieren, Vorstandschef Martin Brudermüller hatte der Bundesregierung kürzlich „China-Bashing“ vorgeworfen.

Und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) zählt für die Asien-Pazifik-Region neben Chancen auch einige Risiken auf, etwa schwankende Wechselkurse oder Störungen in den Lieferketten. In jedem Fall, sagt Siemens-Chef Roland Busch, gemeinsam mit Habeck Gastgeber der Konferenz, sei es keine Angelegenheit von wenigen Jahren, Lieferketten und Absatzmärkte umzustellen. Wer jetzt anfange, müsse hart arbeiten – und sehe die Auswirkungen in „vielleicht zehn oder 20 Jahren“.

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